Für eine nachhaltige Entschleunigung

BLANCA BURRI
Wo ich hinhöre, tönt es gleich: «Eigentlich war der Lockdown in Ordnung, ich hatte mehr Zeit für mich.» «Ich habe die Zeit mit meinen Kindern in vollen Zügen genossen, das kann uns niemand mehr nehmen.» Und: «Keine Sitzungen, kein Stress.»

Mir ging es genau gleich. Als der anfängliche Schock und die darauffolgenden Unsicherheiten ausgestanden waren, habe ich mich mit meinem neuen Leben erst arrangiert und es dann zu lieben begonnen. Statt Traktandenlisten, Protokolle, Konzepte und Generalversammlungen standen plötzlich andere Dinge im Zentrum. Ich erinnere mich an lange Tischgespräche mit den Kindern, aus denen manchmal lustige Fantasiewelten entstanden, an lange Nachmittage mit tiefgehenden Freundinnengesprächen im Bergfrühling, an noch längere Nächte vor der Glotze, wo «Wadjda», die Geschichte über das saudi-arabische Mädchen, das sich nichts sehnlicheres als ein Fahrrad wünscht, über die Mattscheibe flimmerte. Unvergessen auch das «Platzspitzbaby», das ich in nur einem Nachmittag las, weil das Telefon schwieg und die Vereinsarbeit ruhte, und die Distanzgespräche mit lieben Menschen aus der Risikogruppe, für die ich einkaufte.

Jetzt, wo der Alltag allmählich zurückkehrt, kann ich es fast nicht glauben, dass ich zwei Monate lang nicht mehr in den privaten Terminkalender schauen musste. Ich spüre, wie gut es mir tat, wie ausgeglichen mein Temperament jetzt ist und wie viel Geduld ich mit mir und meinen Mitmenschen plötzlich habe. Deshalb nehme ich mir vor, mit der Zusage zu neuen Ämtli etwas vorsichtiger zu werden, denn es bringt nichts, tolle Projekte zu unterstützen und dabei sich selbst zu verlieren. Corona hat mir diese Erkenntnis gebracht und gleichzeitig wieder zerstört: Ich habe vor längerer Zeit zwei Freiwilligenengagements bei Jubiläumsanlässen angenommen, die dieses Jahr hätten gefeiert werden sollen. Aufgrund der Pandemie wurden sie verschoben und werden mich wie das gesamte OK somit ein weiteres Jahr beschäftigen …

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