Hat das Saanenland den Mountainbike-Tourismus verschlafen?

  30.06.2020 Gstaad

Thomas Binggeli, von Thömus Bike, sagte etwas provokativ, Gstaad habe den Mountainbike-Tourismus verschlafen. Tourismusdirektor Flurin Riedi entgegnet: «Wir haben viel geplant, jetzt geht es an die Umsetzung.» Der Bike Talk vom vergangenen Donnerstagabend im Bike Store im Erdgeschoss von Pure Snowboarding war spannend und aufschlussreich.

BLANCA BURRI
«Schöne Bikewege gehören heute zum Basisangebot einer Region», sagt Flurin Riedi, Tourismusdirektor der Destination Gstaad. Auch wenn in der Destination das Bikeangebot weiter ausgebaut werde, führe das nicht automatisch zu einem Ansturm, denn die meisten Tourismusregionen, allen voran das Wallis und Graubünden, hätten den Trend längst erkannt und bereits gehandelt.

Auch Gstaad habe diese Idee aufgegriffen, aber leider sei man nie über die Planungsphase hinausgekommen, sagt er weiter. «Jetzt aber ist es Zeit, Schaufel und Pickel in die Hand zu nehmen und bestehende Wege so zu unterhalten, dass sie von Bikern wie von Wanderern genutzt werden können», fordert er.

Da das Wanderwegnetz in der Verantwortung der Gemeinde liegt, ist der Einfluss von Gstaad Saanenland Tourismus (GST) aber begrenzt. Flurin Riedi bleibt aber optimistisch: «Die Gemeinde hat schon länger erkannt, dass gehandelt werden muss. Sie hat auch einen Plan, aber nun muss sie vorwärtsmachen und die Strukturen für die Umsetzung schaffen.» Flurin Riedi schwebt eine Trail Crew vor, die sich auf den Unterhalt der Wege für den Langsamverkehr konzentriert und zwar vor allem oberhalb von 1200 Metern über Meer, was logischerweise Kostenfolgen nach sich zieht.

Noch viel zu tun
Flurin Riedi meinte in seinem Inputreferat, dass die Destination sehr offen sei für Velofahrer und weil die Topografie dafür ideal sei, gebe es bereits viele Biker. Wenn er selbst im Sattel sitze, erlebe er viel Positives, da aber die Infrastruktur noch nicht überall ideal sei, könne man damit noch nicht spezifisch werben. Gstaad sei eine Bikedestination, die Infrastruktur für Wanderer und Biker sei aber leider an vielen Stellen nicht «Gstaad like». Das sahen die anwesenden Bikeguides, Hoteliers und Velohändler ebenfalls so. «Wir haben sehr viele Reklamationen wegen der Zaunquerungen», sagte ein Hotelier. Auch die Guides können ein Liedchen singen: «Ihr könnt euch nicht vorstellen, wie mühsam es ist, die schweren E-Bikes über die Zäune zu heben, weil die Türchen zu schmal sind.» Ein anderer fügte an: «Es gibt immer wieder Gruppen, die nicht mehr ins Saanenland kommen, weil die Wege und vor allem die Zaunquerungen nicht ihren Vorstellungen entsprechen. Das tut weh.»

«Ohne Biker geht es nicht»
Das Potenzial für Tourismusregionen sei nach wie vor riesig, sagte Thomas Binggeli. «Das Saanenland und die E-Biker passen 100prozentig zusammen: Das sind Genussmenschen!» Er kennt die Bikeszene in- und auswendig und bestätigt den in den Medien thematisierte Zweiradtrend. «Corona hat das noch gefördert.» Für Tourismusdestinationen sieht er gewaltige Chancen und sagt gar: «Ohne Biker geht es nicht.» Wegen der Klimaerwärmung brauche der Tourismus die Radfahrer. «Über kurz oder lang wird es zwischen 1000 und 2000 Metern über Meer nicht mehr genug Schnee fürs Skifahren haben. Deshalb wir der Sommertourismus immer wichtiger.» Er riet: «Gebt Gas und denkt gross!»

Fehler gemacht?
Die anwesenden Talkbesucher reflektierten die vergangenen Jahre kritisch. Es sei einiges schiefgelaufen. Zum Beispiel habe GST ein Downhill Biketeam gesponsert, das auf Weltklasseniveau fuhr. «Damit hat man eine total falsche Botschaft ausgesendet», waren sich einige Anwesende sicher. Denn das Saanenland verfüge über keine Downhill-Strecken, denn der Trail am Rellerli sei mit der Schliessung der Bergbahn auch wieder verschwunden. Ebenfalls wurde kritisiert, dass bei der Planung viel Freiwilligenarbeit geleistet worden und trotzdem noch kein Resultat erkennbar sei. «Den Biker interessieren die Pläne nicht, sie wollen Resultate sehen», sagte jemand.

Das Fazit des Bike Talks: Infrastruktur für Biker gehören heute zum Basisangebot einer Tourismusdestination. Grundsätzlich dürfen Biker in den Gemeinden Saanen, Lauenen, Gsteig aber auch in Zweisimmen die Wanderwege mit Respekt gegenüber den anderen Nutzern befahren. Knotenpunkte und vor allem Zaunquerungen stossen bei vielen Bikern auf wenig Gegenliebe. Ebenfalls sind die Trails oberhalb von 1200 Metern über Meer teilweise schlecht ausgebaut. GST sieht sich und die Gemeinden in der Pflicht, dass die Pläne nun umgesetzt werden.


MITTEN IM GEBURTSPROZESS

Im Kanton Graubünden gibt es eine Fachstelle für Langsamverkehr. Auf ihrer Website steht: «Langsamverkehr steht für die Fortbewegung zu Fuss, auf Rädern oder Rollen, angetrieben durch menschliche Muskelkraft.» Das Tiefbauamt des Kantons Graubünden hat schon länger erkannt, dass die Belange des Langsamverkehrs im Alltags- und Freizeitverkehr eine immer wichtigere Rolle spielt. Im Kanton Bern ist das noch anders. Die gesetzliche Grundlage fehle, damit sich der Kanton mit den Velofahrern auseinandersetzen könne, heisst es bei den zuständigen Stellen. Das macht vor allem die überregionale Planung nicht einfach und die ist vonnöten. Gstaad hat diesen Prozess zusammen mit anderen Regionen angestossen. Im Moment setzt sich zum Beispiel die Bergregion Obersimmental-Saanenland mit dem Thema auseinander. Die Prozesse sind allerdings langwierig. Dass die Mühlen im Kanton Bern langsam mahlen, kennt auch der Swiss Bike Park in Oberried. Seit der ersten Idee bis zur Eröffnung vergingen 18 Jahre! Den Velofahrer interessiert indes nicht, was im Hintergrund passiert, er möchte ganz einfach tolle Wege vorfinden.

GST bearbeitet seit sieben Jahren das Thema Bike aktiv. Im Herbst 2013 gründete er die Bike World GmbH (GST, Bergbahnen Destination Gstaad AG, Sportzentrum Gstaad AG, Alpinzentrum Gstaad GmbH und Hotelierverein Saanenland), die sich mit der Planung von Bikewegen, Flowtrails etc. auseinandersetzte. Dabei wurden auch die Rennvelos ins Visier genommen und diverse Trainingsstrecken in der Region beworben. Inzwischen wurde die GmbH wieder aufgelöst. Das Dossier liegt wieder bei GST.


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