«Spezielle Zeiten erfordern spezielle Massnahmen»

  24.07.2020 Interview

Welche Rolle spielt eigentlich die Gstaad Marketing GmbH in der Tourismusentwicklung in der Destination? Und was verspricht sie sich von der Botschaft «Id Rueh vor Natur»? Und warum muss der ohnehin gut besuchte Lauenensee auch noch für Werbezwecke im TV herhalten? Antworten auf diese und andere Fragen gibt Claudia von Siebenthal, stellvertretende Geschäftsführerin der Gstaad Marketing GmbH, im Interview.

JENNY STERCHI

Wann entstand die Idee für die diesjährige Sommerkampagne der Destination Gstaad?
Am ersten Tag nach dem Lockdown beziehungsweise mit der Schliessung der Bergbahnen. Wir von Gstaad Marketing hatten in den Monaten zuvor eine Kampagne erarbeitet, die mit allen Einschränkungen und Schliessungen aufgrund der Corona-Pandemie komplett ihre Bestimmung verloren hatte. Also musste schnellstmöglich eine neue Kampagne her, die sich in Strategie und Konzept an die sehr speziellen und ungewissen Umstände anlehnen musste.

Hätte die ursprüngliche Kampagne denn mit Menschenansammlungen im Saanenland geworben?
Nein, der Massentourismus war, ist und wird ganz sicher nie ein Bestandteil unserer Strategie. Aber wir wollten ursprünglich mit Bergwanderungen inklusive Bergbahnangeboten werben. Jedoch wusste in den ersten Wochen des Lockdowns niemand, wie und vor allem wann Touristen wieder empfangen und Anlagen geöffnet werden können.

Wie ging Gstaad Marketing mit dieser Ungewissheit um?
Wir orientierten uns in einer ersten Phase, wie viele andere Destinationen, an den Beschlüssen des Bundesrates und Empfehlungen des BAG. Dank enger Zusammenarbeit mit unseren vier Auftraggebern Gstaad Saanenland Tourismus (GST), Bergbahnen Destination Gstaad (BDG), dem Hotelierverein Saanenland und dem Gewerbeverein Saanenland konnten wir extrem schnell und vor allem situationsangepasst ein neues Konzept mit der Hauptbotschaft «Id Rueh vor Natur» entwickeln. Mit der Leitidee «Jetzt inspirieren lassen – später geniessen» haben wir die Aufmerksamkeit unserer Zielgruppe gewonnen. Für uns war klar, dass die Menschen, die jetzt daheim bleiben mussten, aufnahmefähig waren und Zeit hatten, um Medien zu konsumieren. Entsprechend schnell haben wir Werbeplattformen und Veröffentlichungen in verschiedenen passenden Print- und Onlinemedien gebucht.

War das Risiko nicht zu hoch in Anbetracht der unvorhersehbaren Entwicklung der Situation?
Ja, sicher sind wir ein gewisses Risiko eingegangen. Aber in diesem Fall machten wir uns in der ansonsten praktisch stillgelegten Tourismusbranche als eine der ersten Destinationen wieder sichtbar. Entsprechend gross war die Aufmerksamkeit der Schweizer Konsumenten. Allen war schnell klar, dass wir zu diesem Zeitpunkt keine konkreten Angebote vermarkten konnten. Durch den modularen Aufbau der Kampagne konnten wir äusserst agil und sehr spontan auf veränderte Umstände reagieren. So haben wir zu Beginn mit Berichten aus der Region das Produkt, sprich die Destination, in Geschichtenform schweizweit beworben. Bestes Beispiel ist der Bericht mit Martin Rufener als neuer CEO vom Gstaad Airport, der den Lesern der «Schweizer Illustrierten» erzählt, wie er im Saanenland zur Ruhe der Natur findet.

Welches Ziel verfolgt Gstaad Marketing mit dem Motto «Id Rueh vor Natur»?
Das ist unsere Leitidee, in die wir die drei Hauptthemen Genusswandern, Kulinarik und Wohlfühlen integriert haben. Die Botschaft «Id Rueh vor Natur» war genau das, was die Menschen gesucht haben nach dem Lockdown. Sie hatten schon Ruhe daheim, aber das war sicher nicht das, wonach sie gesucht haben.

Welche Rolle nahm Gstaad Marketing in dieser Zeit ein?
Am Ende war es wirklich eine Teamleistung. Jeder Schritt musste trotz grösster Unsicherheit sorgfältig geplant sein. Wir waren während dieser Zeit in Eventualitäten unterwegs gewesen, haben ständig jeden möglichen Schritt abgewogen. Bedenkt man die Finanzierung eines solchen kurzfristigen Strategiewechsels, muss man wissen, dass die Entwicklung einer solchen Kampagne durch eine externe Agentur sehr kostspielig gewesen wäre. Durch die Inhouseproduktion konnten die gesparten Mittel direkt in die Werbung investiert werden. In die erste Phase haben wir zwei Drittel vom Budget investiert und das zweite Drittel fliesst in die Phase, die den Herbst in der Destination bewerben wird.

Warum musste es ein Werbespot sein?
Die Kampagne ist auf weit mehr als einen TV-Spot abgestützt. Wir haben zahlreiche andere Medien für unsere Werbung eingesetzt. Neben Reportagen in der «Schweizer Illustrierten» und der «Handelszeitung» haben wir auch viel über Social Media, also unsere eigenen Kanäle, veröffentlicht. Eine kampagnegebundene Webpage mit relevanten Corona-Informationen und Angaben zu Öffnungszeiten des lokalen Gewerbes war bereits im April online. Und dann kommt noch viel PR-Arbeit hinzu, die uns ungeplante Möglichkeiten eröffnet, wie zum Beispiel der Besuch eines Journalisten der NZZ. Dieser verfasste eine Gratis-Berichterstattung über die Destination, die im Auftrag unbezahlbar gewesen wäre.

Aber ist es wirklich nötig, einen ohnehin gut besuchten Tourismusmagneten wie den Lauenensee in den Fokus zu stellen?
Es ist keinesfalls unser Ziel, mit dem Werbespot Tourismusscharen an den Lauenensee zu holen. Vielmehr möchten wir längerfristig potenzielle Gäste für die Region begeistern. Das Spannende daran ist, dass der Lauenensee im Spot gar nicht benannt wird. Es ist kein Werbefilm für den Lauenensee. Natürlich wissen die Einheimischen, wo das Ganze stattfindet. Wir wollen in den 15 Sekunden einzig dafür sorgen, dass die Menschen in die Destination kommen. Und hier gibt es ja weitaus mehr als einen Besuch am Lauenensee. Mit diesem schönen Fleck und den emotionalen Bildern wird die Aufmerksamkeit auf das Sommergefühl für Bergerlebnisse in der gesamten Destination gelenkt. Es gibt übrigens vier weitere Werbevideos für die Destination, die auf Social Media zu entdecken sind. Wir erhielten sehr viele Komplimente von Gästen, langjährigen Zweitwohnungsbesitzern und Entscheidungsträgern aus der Branche. Die Strategie ging somit voll und ganz auf. Spezielle Zeiten erfordern spezielle Massnahmen.

Und wie sieht Ihre Lösung für die Probleme in der Infrastruktur, genauer gesagt bei den Zufahrten zu Hotspots wie Lauenensee oder Arnensee, aus?
Unsere Aufgabe ist es, die Destination zu vermarkten und ins Gespräch zu bringen. Für die Organisation der Infrastrukturen und Verkehrsregelung in der Destination sind Gstaad Saanenland Tourismus und die lokalen Behörden in engem Austausch. Und schliesslich ist in der Umsetzung die Kommunikation und das Zusammenspiel zwischen Tourismus, Behörden und Vermarktung elementar.

Wie holt Gstaad Marketing den Schweizer Gast in die Destination?
Wir stellen fest, dass die Schweizerinnen und Schweizer momentan ihr Heimatland neu entdecken. Viele Schweizer sind zum ersten Mal hier und haben bis anhin die Destination als unnahbar wahrgenommen. Mit der Kampagne, die schon durch die Mundartbotschaft sehr authentisch ist, vermitteln wir unerwartet Bodenständiges. Die Menschen in den Ballungszentren sind in dieser Zeit sehr empfänglich für authentische Geschichten und richten ihren Ferienfokus neu aus. Das ist unsere Chance. Bereits seit rund vier Jahren steht das Gewinnen des Schweizer Gastes bei unseren Kampagnen an erster Stelle.

Wie finden Sie persönlich in die Ruhe der Natur?
Auf einer Biketour vom Turbach zum Hornberg hinauf. Das feine Essen dort oben lockt mich nach oben. Als Ausgleich zum Alltag benötige ich den Rückzug in die Natur und sportliche Aktivitäten. Dadurch kann ich das Bedürfnis der Gäste sowie Einheimischen nach Erholung und Ruhe in der Natur bestens nachvollziehen.

Bald sind die Schulferien vorbei, aber die Sommersaison läuft noch. Werden die Gäste weiterhin in die Destination kommen?
Unser Anliegen ist es, die Saison bis weit in den Herbst erfolgreich zu bewerben. Wir sprechen ganz konkret die Best Agers, die Gäste 50+, an. Ausserdem führen wir eine Influencer-Medienreise durch, auf der wir alle fünf Sinne des Menschen wecken. Die Destination soll mit allen Sinnen erlebt werden, dabei steht der Genuss im Fokus.

Wie lange kann die Destination von der Kampagne profitieren?
Die Massnahmen aus diesem Sommer sollen längerfristig fruchten. Wir führen die Botschaft weiter in den Herbst, da diese Jahreszeit immer mehr an Bedeutung gewinnt. Unsere Bildsprache wird jetzt wieder etwas aktiver, die Themen Genusswandern, Biken und Kulinarik begleiten uns in der Herbstkommunikation.


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