Über einen Impfzwang entscheidet der Gesetzgeber

  17.07.2020 Schweiz

Können sich Eltern bei gemeinsamer elterlicher Sorge nicht über die Impfung der Kinder gegen Masern einigen, muss gemäss Bundesgericht im Interesse des Kindeswohls das Gericht oder die Kindesschutzbehörde entscheiden. Richtschnur für den Entscheid sei dabei die Empfehlung des Bundesamtes für Gesundheit zur Durchführung der Masernimpfung, hält das Bundesgericht fest.

«Nach dem Willen des Gesetzgebers stehen Eltern bei gemeinsam ausgeübtem Sorgerecht in der Pflicht, alle Kinderbelange selbst zu regeln, ohne dass ein Elternteil einen Vorrang oder einen Stichentscheid für sich in Anspruch nehmen kann», schreibt das Bundesgericht in seinem Urteil. Dies ergebe sich aus der Überzeugung, dass die Familien- und Elternautonomie in Bezug auf Kinderbelange staatlichen Interventionen vorgehen soll.

Ein behördlicher Entscheid komme so nur dann in Frage, wenn die Meinungsverschiedenheit unter den Eltern zu einer Gefährdung des Kindeswohls im Sinne von Artikel 307, Absatz 1 des Zivilgesetzbuches führe. Von einer Gefährdung des Kindeswohls sei unter anderem dann auszugehen, wenn die ernstliche Möglichkeit einer körperlichen Beeinträchtigung des Kindes bestehe. «Nicht erforderlich ist, dass sich die Gefahr bereits verwirklicht hat.» Der gesetzliche Kindesschutz sei eine präventive Massnahme.

Gemäss den Informationen der Fachbehörden (Bundesamt für Gesundheit BAG und Eidgenössische Kommission für Impffragen, Empfehlungen zur Prävention von Masern) hätten Masern bei praktisch allen Erkrankten eine ausgeprägte Schwächung des Immunsystems zur Folge und führten in rund zehn Prozent der Fälle zu verschiedenen, teils schweren Komplikationen, schreibt das Bundesgericht. «Angesichts dessen erträgt die Frage, ob eine Masernimpfung durchzuführen ist, unter den Eltern keine Pattsituation. Können sich die Eltern über die Frage der Masernimpfung nicht einigen, hat deshalb die Kindesschutzbehörde oder das Gericht im Rahmen einer Kindesschutzmassnahme darüber zu entscheiden.» Empfehle das BAG als fachkompetente eidgenössische Behörde eine Masernimpfung, so soll diese Empfehlung für den Entscheid Richtschnur sein. Eine Abweichung davon sei nur im Fall allfälliger Kontraindikationen für die Masernimpfung bei den Kindern angezeigt.

Im konkreten Fall üben die getrennt lebenden Eltern die gemeinsame Sorge über ihre drei minderjährigen Kinder aus. Sie sind sich nicht einig, ob die Kinder gegen Masern geimpft werden sollen. 2019 beantragte der Vater – im Rahmen eines Scheidungsverfahrens –beim zuständigen Gericht, die Mutter zu verpflichten, die drei Kinder impfen zu lassen. Der Antrag wurde abgewiesen, was vom Kantonsgericht Basel-Landschaft bestätigt wurde. Das Bundesgericht heisst nun die Beschwerde des Vaters teilweise gut und weist die Sache zu neuem Entscheid ans Kantonsgericht zurück. Es wird insbesondere noch die Frage allfälliger Kontraindikationen bei den Kindern prüfen müssen.

Das Urteil des Bundesgerichts bedeute nicht, dass die Kindesschutzbehörde eine Masernimpfung auch anordnen könnte, wenn die Eltern übereinstimmend erklärten, ihr Kind nicht impfen zu wollen, hält das Bundesgericht seiner Medienmitteilung fest. «Über einen Impfzwang entscheidet der Gesetzgeber.»

PD/ANITA MOSER


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