Zeit ist relativ

ANITA MOSER

«Sind die Kinder erst mal im Schulalter, verfliegt die Zeit wie im Nu.» Sagt man. Ich teile diese Erfahrung nicht. Nicht, dass ich es kaum erwarten konnte, bis meine Kinder das Haus verliessen. Nein. Aber rasend schnell vergingen die Jahre nicht – auch rückblickend nicht. «Warte nur, wenn du erst mal 60 bist, vergeht die Zeit im Schnutz.» Sagt man. Auch das kann ich nicht unterschreiben. Nicht, dass ich auf die AHV plangen würde. Obwohl ich – ehrlich gesagt und gerade jetzt während Corona – manchmal schon etwas neidisch bin auf meine pensionierten oder frühpensionierten Freundinnen und Verwandten, die, wann immer es ihnen passt und wenn die Sonne scheint, draussen in der Natur etwas unternehmen können, während ich bei grösster Hitze im Büro vor dem Computer sitze.

Zugegeben, wenn ich am Sonntagabend jeweils meine Medikamentenbox für die kommende Woche auffülle, denke auch ich manchmal: Was, schon wieder eine Woche vorbei …? Und gefühlt «allpott» muss ich in die Apotheke, um Nachschub zu holen. Ja, Zeit ist relativ. Ist man spät dran, werden aus Minuten Sekunden. Muss man warten – zum Beispiel auf den Zug – ist es umgekehrt, die Zeit dehnt sich in die Länge. Manchmal unerträglich lang. Wie für jene junge Familie, deren Kleinkind kürzlich im Auto eingeschlossen war, der Schlüssel lag im Innern des Autos. Zum Glück brannte die Sonne nicht so heiss auf die schwarze Limousine. Und dennoch: Der Kleine schwitzte und weinte, während die verzweifelten Eltern vergeblich versuchten, die Autoscheibe mit einem Hammer zu zertrümmern. Immer wieder der ungeduldige Blick auf die Uhr: Wann kommt endlich die Feuerwehr? Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit – es waren aber bestimmt nur wenige Minuten. Zeit ist eben relativ …

PS: Dank dem Nothammer von einer Passantin konnte der Kleine – gleichzeitig mit dem Eintreffen der Feuerwehr – aus seiner misslichen Lage befreit werden. Nach einem Schluck Wasser lachte er schon wieder.

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