Unterwegs mit dem Pilzkontrolleur

  21.07.2020 Saanenland, Lauenen

Die Nebelschwaden ziehen über den spiegelglatten Lauenensee, die Amseln begrüssen hoch oben in den Tannen den regnerischen Tag. Ein Mensch mit Hut, Rucksack, guten, wasserdichten Schuhen und einem Korb in der Hand ist bereit zum Aufbruch. Was will dieser Mann mit einem Korb in der Wildnis des Lauenensees?

ERICH KÄSER
Er will heute seine enormen Kenntnisse über die Tausenden von Arten der Pilze weitergeben. Klaus Mösching, Pilzkontrolleur im Saanenland, «wetzt» wie ein 20-Jähriger über die rutschigen Wurzeln, die nassen Steine und das feuchte Gras. Bald sind ein paar Höhenmeter gewonnen und Mösching lässt sein Auge unentwegt über den Boden schweifen. Bereits steht er vor einer Ansammlung grauer Wulstlinge. «Die sind schon essbar, aber kulinarisch nicht sehr wertvoll, deshalb lasse ich sie lieber stehen», erklärt er. Ein paar Schritte dem lichten Waldrand entlang und schon hat er einen Perlpilz, einen Pantherpilz und einen grauen Wulstling in der Hand. Nur der Kenner kann diese Pilze auseinanderhalten. Alle drei sehen sich zum Verwechseln ähnlich. Der Pantherpilz ist sehr giftig. Daher bei Unsicherheit lieber die Hände weg. Knollenblätterpilze gibt es im Saanenland nicht, seine bevorzugte Baumart existiert bei uns fast nicht. In der Schweiz gibt es 500 bis 700 Pilzvergiftungen pro Jahr. Klaus Mösching ist froh, dass viele vernünftige Leute ihre gesammelten Pilze kontrollieren lassen!

Beim Hochsteigen – die Hosen und die Schuhe sind vom sehr feuchten Gras durchnässt – erzählt er, dass in einem guten Jahr die Pilze wie wild aus dem Boden spriessen. Zum Wachsen brauchen sie viel Wasser und Sonne, ist es zu trocken, bleiben die Körbe der Sammler leer. Gute und fruchtbare Plätze sind am Waldrand oder ein paar Meter davor und auf der Sonnenseite des Berges. «Pilze lieben eher magere Böden, daher wünsche ich mir, dass die Jauche und der Mist nicht zu nahe am Waldrand ausgebracht wird», sagt Klaus Mösching. Die Charakteristik des Waldes und der Wiesen sei entscheidend. Ein Birkenpilz wächst zum Beispiel nur in der Nähe von Birken. Die meisten hiesigen Pilzarten bevorzugen aber die Rottanne. Das Saanenland ist eine Hochburg für Pilze, es gibt viel Grünflächen und recht viel Niederschläge, dies im Gegensatz zum Wallis oder zu Graubünden.

Viele einheimische essbare Pilze haben keine kulinarische Bedeutung
Entweder schmecken die Pilze neutral oder sogar widerlich. Klaus Mösching pflückt einen Mehl-Räsling und gibt ihn mir zum Probieren. Die Überraschung gelingt, der Pilz schmeckt wirklich nach Mehl. Ein paar solcher Pilze in einem Gericht sind gut, aber nur mit anderen Pilzen. Er habe schon Gerichte gekocht mit 14 verschiedenen Sorten, aber mehr als acht Arten sollten es eigentlich nicht sein, so Mösching. Im nassen Gras steht ein Schönfuss-Röhrling, wir degustieren: Grässlich, wir spucken den äusserst bitteren Brei sofort wieder aus. In einem Gericht ist er nicht giftig, aber die Bitterkeit macht es völlig ungeniessbar.

Klaus Mösching putzt die gefundenen Eierschwämme und Steinpilze gleich vor Ort und trägt sie in einem Korb nach Hause. Diese zwei Sorten werden im Saanenland am meisten gesammelt. Pilze verderben sehr schnell. Werden sie in Plastiksäcken transportiert, ersticken sie und werden ungeniessbar. Es spielt keine Rolle, ob sie beim Sammeln ausgedreht oder abgeschnitten werden, die Samen (Sporen) werden in jedem Fall verteilt.

Für Frühaufsteher Klaus Mösching ist das Pilzsammeln ein Hobby, er hat es von seiner Mutter gelernt, und es lässt ihn nicht mehr los. Er geniesst die Natur, sieht viele Sachen, die man sonst nicht sehen würde. Einmal hat er eine junge Drossel, die aus dem Nest gefallen war, mit zwei Würmern aus dem Kuhdung gefüttert, diese nahm das sehr dankend an. Auch Rehe, Hirsche oder Gämsen haben schon oft seinen Weg gekreuzt.

Der grösste Fund war ein 14 Kilo schwerer Riesenbovist
«Im Vorbeifahren mit dem Auto entdeckte ich in einer Wiese einen grossen weissen Fleck. Bei näherer Betrachtung erwies sich dieser als ein 14 Kilo schwerer Riesenbovist», erzählt der Pilzkontrolleur. «Als ‹Schnitzel› auf dem Grill mit ein bisschen Salz und Olivenöl …herrlich!» Im Herbst ist es möglich, dass bis zu ein Kilo schwere, noch essbare Steinpilze gefunden werden. Diese wachsen bis auf die Höhe der Waldgrenze.

Es kann vorkommen, dass Klaus Mösching einen Pilz in seinem «Kosmos»-Buch nachschlagen muss. Die Auswahl an Pilzbüchern sei riesig, und es sei sehr schwierig, anhand des Buches den Pilz zu bestimmen. «Das Aussehen in der Grösse, des Alters oder des allgemeinen Zustands ist so sehr verschieden, dass nie alle Bilder gezeigt werden können.»

Und zum Schluss noch dies: Pilzsammler teilen nicht gerne das Revier. Als Klaus Mösching einmal beim Pilzsammeln war, sah er mehrere Personen unter einer Tanne hin und her laufen. Als er näher kam, stellte er fest, dass es nur eine Person war. Zur Rede gestellt, meinte die Person, sie wolle mit den verschiedenen Kopfbedeckungen mehrere Personen vortäuschen, sodass nicht noch jemand in «ihr» Revier komme!


PILZKONTROLLE

Klaus Mösching, Jahrgang 1954, wohnhaft in Lauenen. Die Ausbildung zum Pilzkontrolleur hat er an der Bauernschule in Landquart absolviert. Regelmässig besucht er Wiederholungskurse. Angestellt ist er von der Gemeinde Saanen.
Im Jahr 2019 hat er 83 Kontrollen mit Total 240 kg Pilzen durchgeführt. Tödlich giftige waren keine darunter, giftig waren 2 kg und ungeniessbar 10 kg.
Gewerbliche Sammler mit Bewilligung dürfen 6 kg Pilze sammeln, sonst höchstens 2 kg.


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