Das Bedanken

  08.09.2020 Leserbeitrag

Wer beim Jassen genügend Punkte für das vereinbarte Ziel erreicht hat und sich zuerst bedankt, hat die Partie gewonnen. Aber es geht nicht nur darum, sich schneller zu bedanken als die Gegner, sondern man sollte auch ganz sicher sein, dass man tatsächlich genügend Punkte hat, um sich zu bedanken. Denn sobald ein Teammitglied sich bedankt, wird nicht mehr weitergespielt. Und wer sich bedankt, aber das vereinbarte Ziel nicht erreicht hat, verliert die Partie auch dann, wenn dem gegnerischen Team noch sehr viele Punkte fehlen. Auch dann, wenn man bereits gekehrte Karten umdreht, um die Kartenpunkte zu zählen, verliert man die Partie, wenn die vereinbarte Punktezahl noch nicht erreicht worden ist. Denn es könnte ja sein, dass jemand nicht nur die Punkte zählt, sondern zugleich auch noch nach «Bockkarten» sucht. Man muss also die Situation am Ende einer Partie gut bedenken, bevor man sich bedankt.

Danken und denken gehören zusammen. Sie haben den gleichen Ursprung. Und wer beim Bedanken bedenkt, warum man beim Jassen das Ziel vor den anderen erreicht hat, denkt vielleicht sogar daran, dass man das nicht nur dem eigenen Können zu verdanken hat, sondern auch dem Kartenglück oder den Fehlern, die den Gegnern passiert sind. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, mitzuteilen, dass man das Ziel erreicht hat. Zum Beispiel: «Wir sind draussen.» «Wir haben genug.» «Wir sind fertig.» «Wir habens geschafft.» Oder eben: «Wir bedanken uns.» Alle diese Aussagen sind im Spiel gleichwertig und haben zur Folge, dass die Punkte gezählt werden und nicht mehr weitergespielt wird. Im Gegensatz zu den anderen Aussagen enthält die Aussage «Wir bedanken uns» aber zugleich auch noch etwas Wohltuendes und Heilsames. Denn sie erinnert ganz allgemein an die Dankbarkeit. Und die Dankbarkeit kann den Alltag grundlegend verändern. Dankbarkeit ist nämlich das Tor zur Zufriedenheit.

Hirnforscher und Psychotherapeuten bestätigen, dass Menschen, die sich nicht nur beim Jassen, sondern auch im Alltag bedanken, meistens zufriedenere Menschen sind als andere. Es sind vor allem drei Gründe, warum die Dankbarkeit den Menschen wirklich gut tut:

1. Dankbare Menschen sehen immer auch über den Horizont hinaus und denken daran, dass es nach «schlechten Karten» auch wieder einmal «bessere Karten» geben wird. Sie vergessen im Leben nie, dass alle Wolken weiterziehen (Stähli, «Ä gschänkte Tag»).

2. Dankbare Menschen können sich auch am kleinen Glück erfreuen und müssen nicht auf das grosse Glück warten, das vielleicht gar nie eintreffen wird.

3. Dankbaren Menschen gelingt es besser, sich selbst, die eigenen Möglichkeiten und Fähigkeiten nicht allzu wichtig zu nehmen. In der Dankbarkeit steckt ja auch eine natürliche Bescheidenheit, die davor bewahrt, belehrend und überheblich zu wirken. Und Mitspieler, die beim Jassen nicht belehrend und überheblich wirken, werden von den allermeisten Mitspielenden ganz besonders geschätzt.

Das Jassreglement bestimmt: Sobald sich ein Mitspieler bedankt, ist die Partie zu Ende. Die Erfahrungen im Alltag zeigen noch etwas anderes: Sobald man sich für irgendetwas bedankt, fängt die Zufriedenheit im Leben erst richtig an.

ROBERT SCHNEITER


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