Matsch und Kontermatsch

  22.09.2020 Leserbeitrag

Jassen ist keine Wohltätigkeitsveranstaltung, an der darauf geachtet wird, dass auch die, die nichts haben, etwas bekommen. Man schaut wohl, dass alle Teilnehmenden gleich viele Karten bekommen. Aber mehr Geschenke darf man von einem gegnerischen Team nicht erwarten. Von guten Jassern darf man beim Spielen zwar vieles erwarten, nur keine Geschenke. Man wird höchstens ganz unfreiwillig beschenkt, wenn zum Beispiel das gegnerische Team einen Fehler macht oder schlechte Karten hat. Es gehört zum Wesen des Jassens, dass man ohne bösen Willen einander nichts gönnt – keine guten Karten und auch möglichst keine Punkte. Jassen ist ja schliesslich auch nur dann spannend, wenn jedes Team fair kämpft und möglichst viele Punkte holen will. Zum Jassen gehört auch ein gewisses Quantum Egoismus. Es ist darum völlig in Ordnung, wenn man beim Jassen für einmal ein bisschen egoistisch ist. Doch das Wort «Egoismus» an sich hat im Alltag einen faden Beigeschmack. Als Egoist bezeichnet zu werden gilt für gewöhnlich als Beleidigung, obwohl man auch im Alltag nicht ganz ohne gesunden Egoismus durchs Leben kommt. Denn an sich selbst zu glauben, sich gut um sich selbst zu kümmern, auf die eigenen Wünsche und Bedürfnisse zu achten und Zeit für sich selbst freizuhalten, ist wichtig, sonst fühlt man sich plötzlich ausgenutzt oder ausgebrannt. Doch manchmal ist es recht schwierig, die richtige Lebensbalance zu finden zwischen dem gesunden Egoismus und der Selbstlosigkeit. Jeremias Gotthelf hat es so gesagt: «Schwer ist es, die rechte Mitte zu finden; das Herz zu härten für das Leben und es weich zu halten für die Liebe.»

Diese Schwierigkeit kennt man beim Jassen zum Glück nicht. Da muss man das Herz – oder besser die Konzentration – «härten» für das Gewinnen. Und das ganz besonders dann, wenn sich die Möglichkeit abzeichnet, einen Matsch oder sogar einen Kontermatsch zu machen. Denn einen Matsch oder Kontermatsch gibt es ja nur, wenn man alle Stiche macht und den anderen nichts gönnt. Und wenn man auf diese faire Art und Weise dem gegnerischen Team gar nichts gönnt, kann man nicht nur 157 Punkte schreiben, sondern man bekommt auch noch eine Matschprämie von 100 Punkten. Das heisst: Wer hat, dem wird auch noch gegeben.

In den meisten Fällen hat das Team, das bei einem Matsch leer ausgeht, im Laufe des Spiels kaum eine Chance, Gegensteuer zu geben. Manchmal könnte man zwar einen Matsch verhindern, wenn man auf sicher spielen und die erstbeste Gelegenheit, einen Stich zu machen, wahrnehmen würde. Aber man möchte sein Pulver ja auch nicht zu früh verschiessen. Denn vielleicht kommt ja noch eine bessere Gelegenheit. So oder so: Für das verlustreiche Team, das keinen einzigen Stich macht, gelten die Worte von Wilhelm Busch: «Wir mögens keinem gerne gönnen, dass er was kann, was wir nicht können.» Und diese Worte gelten erst recht, wenn man an der Reihe ist, die Trumpfansage zu machen und so unglücklich ausspielt, dass man schliesslich keinen einzigen Stich ins Trockene bringt und den andern sogar ein Kontermatsch gelingt. Solch bittere Niederlagen verkraftet man wohl am besten, wenn man bedenkt, dass die anderen nicht einfach besser sind, sondern dass es vor allem die guten Karten sind, die einen Matsch oder Kontermatsch möglich machen. Für beide Parteien, für die siegreiche und die verlustreiche, gilt darum, dass man einen Matsch oder Kontermatsch nicht überbewerten sollte. Denn das Kartenglück spielt ja beim Jassen immer eine viel wichtigere Rolle als das Können.

ROBERT SCHNEITER


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