Verdacht wegen Menschenhandels erhärtet

  22.09.2020 Saanenland

Der Verdacht wegen Menschenhandels im Zusammenhang mit dem im Januar 2020 festgenommenen serbischen Ehepaar im Saanenland erhärtet sich. Laut dem Obergericht des Kantons Bern wurde die Untersuchungshaft verlängert. Zeugenaussagen erscheinen glaubhaft und es drohen im Falle einer Verurteilung empfindliche Freiheitsstrafen.

KEREM S. MAURER
Im Januar wurde im Saanenland ein serbisches Ehepaar und die Tochter der Ehefrau verhaftet (wir haben berichtet). Den Eheleuten wird Menschenhandel, Erpressung, Nötigung, gewerbsmässiger Wucher sowie Handlungen gegen das Ausländer- und Integrationsgesetz vorgeworfen, worauf es für eine Dauer von vorerst drei Monaten bis am 13. April in Untersuchungshaft genommen wurde. Mittlerweile hat die Kantonale Staatsanwaltschaft eine Verlängerung der Untersuchungshaft um weitere sechs Monate, also bis am 13. Oktober, 2020 erwirkt. Gegen diese Verlängerung hat sich das beschuldigte Ehepaar erfolglos gewehrt.

Anonyme Schreiben deckten auf
Laut dem Obergericht des Kantons Bern wird dem inzwischen 70-jährigen Ehemann, der ursprünglich aus Serbien stammt, jedoch schon lange in der Schweiz lebt und die Niederlassungsbewilligung hat, vorgeworfen, im Zusammenhang mit der Stellung seiner Ehefrau als Arbeitgeberin für serbische Reinigungs- und Haushaltsangestellte bei Menschenhandel zwecks Ausbeutung der Arbeitskraft mitgewirkt zu haben – derzeit in der Rolle als Mittäter, jedoch mindestens als Gehilfe. Gleichzeitig wird ihm eine mittäterschaftliche Beteiligung an gewerbsmässigem Wucher und in mindestens einem Fall an Erpressung und Nötigung vorgeworfen. Daneben soll er zusammen mit seiner Ehefrau qualifizierte Widerhandlungen gegen das Ausländer- und Integrationsgesetz, Erleichtern des illegalen Aufenthaltes mit Bereicherungsabsicht sowie Beschäftigung von Ausländerinnen und Ausländern ohne Bewilligung begangen haben. Der beschuldigte Ehemann bestreitet die Vorwürfe weitgehend, während die Ehefrau laut dem Obergericht des Kantons Bern zugegeben hat, während einer «langen Zeit und in grosser Anzahl, Frauen aus Serbien ohne Bewilligung zu nicht marktgerechten Konditionen beschäftigt zu haben». Die Machenschaften des serbischen Ehepaars wurden aufgrund von zwei anonymen Schreiben ruchbar, die Anfang des Jahres 2019 bei der Kantonspolizei Bern eingegangen waren.

Schwere Anschuldigungen
Eine betroffene Serbin gab anlässlich ihrer Einvernahme vom 6. Juni 2020 an, die beschuldigte Ehefrau habe sie in Serbien für Reinigungs- und Kinderhütedienste angeworben. Ihr sei ein Lohn von monatlich 1500 Franken, drei Mahlzeiten pro Tag sowie die Übernahme der Reisekosten und der Kosten für eine Kranken- und Unfallversicherung versprochen worden. Vereinbart worden sei eine tägliche Arbeitszeit von 8 Stunden an 6 Tagen pro Woche. In Wahrheit hätte sie jedoch während 7 Tagen pro Woche zwischen 10 und 12 Stunden täglich arbeiten müssen. Ohne Freizeit. Und zu essen habe sie nur zweimal täglich bekommen, meistens Teigwaren und Eier. Weiter gibt sie an, Putzarbeiten hätte sie früh am Tag, um 6 Uhr, verrichten müssen, um möglichst von niemandem gesehen zu werden. Dasselbe galt für Aussenarbeiten wie Fensterputzen oder Terrassenreinigungen. Wenn sie in Chalets von Kunden des serbischen Ehepaares arbeiten musste, sei sie in den betreffenden Häusern eingeschlossen worden. Nachts hätte sie im Keller Wäsche waschen und nicht selten bis morgens um 3 Uhr in Hotels Kinder hüten müssen, um später gegen 6 Uhr wieder mit Putzarbeiten zu beginnen. Letztlich sei sie knapp zwei Monate geblieben und habe dafür nur 2700 Franken bekommen.

Eine zweite Serbin sprach ausserdem von psychologischen Tricks, die angewendet worden seien. Demnach hätte die Ehefrau versucht, die Serbinnen gegeneinander auszuspielen mit Aussagen, wonach nur die bessere von ihnen die Stelle behalten könne, was die Angestellte sehr gestresst habe. Sogar krank oder mit Verletzungen wäre sie zur Arbeit erschienen, aus Angst, die Stelle zu verlieren. Ebenfalls hätte man ihnen gedroht, sie bei der Polizei als illegal in der Schweiz lebend zu denunzieren. Und eine dritte Serbin gab an, dass man ihr den Pass weggenommen habe.

Die Anschuldigungen der Serbinnen seien durch die Aussagen einer Nachbarin gestützt worden, heisst es im entsprechenden Bericht.

Aussagen erscheinen glaubhaft
Das Zwangsmassnahmengericht begründet den dringenden Tatverdacht des Menschenhandels damit, dass die Ehefrau in Serbien Frauen aus prekären finanziellen Verhältnissen für Haushaltstätigkeiten in der Schweiz angeworben habe. Dabei soll die Ehefrau diesen Frauen ein unzutreffendes Bild von Art und Umfang der anfallenden Arbeiten gezeichnet haben. Aufgrund der – auf den ersten Blick glaubhaften – Aussagen der betroffenen Serbinnen, seien die in der Schweiz angetroffenen Arbeitsbedingungen als ausbeuterisch zu bezeichnen. Ebenso müsse aufgrund der drei Klägerinnen und der Nachbarin sowie der Ermittlungen der Strafverfolgungsbehörden davon ausgegangen werden, dass sich die Zahl der Opfer noch erhöhen wird, wie das Obergericht festhält. Mit dem Tatbestand des Menschenhandels ist die Ausbeutung als solche nicht abgegolten. Wer tatsächlich ausbeutet, erfüllt zusätzliche Tatbestände. Vorliegend relevant sind Erpressung, Nötigung und Wucher. Im Falle einer Verurteilung drohen den serbischen Eheleuten laut dem Obergericht «empfindliche» Freiheitsstrafen,

Angst vor Repressalien
Die Verlängerung der Untersuchungshaft lasse sich mit dem Haftgrund der Kollusion begründen, heisst es im Entscheid des Obergerichts. Kollusionsgefahr liege dann vor, wenn ernsthaft zu befürchten ist, dass die Beschuldigten Personen beeinflussen oder auf Beweismittel einwirken, um die Wahrheitsfindung zu beeinträchtigen. Gemäss Staatsanwaltschaft muss im vorliegenden Fall aufgrund des bisherigen Verhaltens der beschuldigten Eheleute und der Tochter ernsthaft damit gerechnet werden, dass sie auf die mutmasslichen Opfer einwirken, um sie von belastenden Aussagen abzuhalten. Ausserdem hätten neben den bereits bekannten Arbeiterinnen weitere potenzielle Opfer identifiziert werden können, die grundsätzlich zu Aussagen bereit wären. Dass die Angst vor Repressalien nicht aus der Luft gegriffen ist, zeigt ein protokolliertes Drohgehabe des Ehemannes, wonach er eine Arbeiterin massiv beschimpft und ihr zudem gedroht habe, sie zu töten, falls sie zur Polizei gehe. Auch die beschuldigte Ehefrau soll damit gedroht haben, die Familie einer Arbeiterin in Serbien zu töten und deren Haus anzuzünden. Bleibt die Frage, warum die Tochter der Ehefrau, die als Mitwisserin und Gehilfin ebenso mitschuldig ist, aus der Untersuchungshaft entlassen worden ist. Gemäss Ausführungen der Staatsanwaltschaft in ihrer Stellungnahme vom 18. Mai 2020 soll der Entlassungsgrund einzig und allein darin gelegen haben, dass es keine geeignete Einrichtung für Beschuldigte in Untersuchungshaft mit Kleinkindern gebe. Laut der Medienstelle der Kantonspolizei Bern sind die polizeilichen Ermittlungen noch im Gang, das Verfahren ist noch nicht abgeschlossen, ein Termin für eine etwaige Verhandlung daher noch nicht sicher.


MENSCHENHANDEL

Des Menschenhandels macht sich schuldig, und wird mit Freiheitsstrafe oder Geldstrafe bestraft, wer als Anbieter, Vermittler oder Abnehmer mit einem Menschen Handel treibt zum Zweck der sexuellen Ausbeutung, der Ausbeutung seiner Arbeitskraft oder zwecks Entnahme eines Körperorgans. Das Anwerben eines Menschen zu diesen Zwecken ist dem Handel gleichgestellt. Strafbar ist auch der Täter, der die Tat im Ausland verübt.
StGB, SR 331.9


ERPRESSUNG

Der Erpressung macht sich schuldig und wird mit Freiheitsstrafe bis zu 5 Jahren oder mit einer Geldstrafe bestraft, wer in der Absicht, sich oder einen anderen unrechtmässig zu bereichern, jemanden durch Gewalt oder Androhung ernstlicher Nachteile zu einem Verhalten bestimmt, wodurch dieser sich selber oder einen andern am Vermögen schädigt.
StGB, Art. 156, Abs.1


WUCHER
Wer die Zwangslage, die Abhängigkeit, die Unerfahrenheit oder die Schwäche im Urteilsvermögen einer Person dadurch ausbeutet, dass er sich oder einem anderen für eine Leistung Vermögensvorteile gewähren oder versprechen lässt, die zur Leistung wirtschaftlich in einem offenbaren Missverhältnis stehen, macht sich des Wuchers strafbar.
StGB, Art. 157


NÖTIGUNG

Den Tatbestand der Nötigung erfüllt, wer jemand durch Gewalt oder Androhung ernstlicher Nachteile oder durch andere Beschränkung seiner Handlungsfreiheit nötigt, etwas zu tun, zu unterlassen oder zu dulden. Freiheitsstrafe bis zu 3 Jahre oder Geldstrafe.
StGB, Art. 181


AUSLÄNDER- UND INTEGRATIONS-GESETZ

Der Widerhandlung gegen das Ausländer- und Integrationsgesetz macht sich schuldig, wer als Arbeitgeber/in vorsätzlich Ausländer/innen beschäftigt, die in der Schweiz nicht zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit berechtigt sind. Als Sanktionen folgen Freiheitsstrafen in schweren Fällen bis zu drei Jahren, ausserdem ist mit einer Freiheitsstrafe eine Geldstrafe zu verbinden.
AIG, Art. 117, Abs.1


Möchten Sie weiterlesen?

Ja. Ich bin Abonnent.

Haben Sie noch kein Konto? Registrieren Sie sich hier

Ja. Ich benötige ein Abo.

Abo Angebote