Das «Gold» unserer Alpen: Wie erfolgreich ist die Vermarktung unseres Alpkäses?

  09.10.2020 Landwirtschaft

Wir haben uns diesen Sommer – während der Herstellungshochsaison von Käse auf unseren Alpen – eingehend mit der Frage auseinandergesetzt, ob Alpkäse eigentlich gesund ist (siehe AvS vom 17. Juli). Nun, nachdem die Älplerinnen und Älpler mit ihrem geschmückten Vieh wieder ins Tal gezogen sind und sich die produzierten Käselaibe im Reifelager türmen, haben wir die Molkeristen von Gstaad und Schönried gefragt, wie der Handel mit dem «Gold» unserer Alpen abläuft und wie erfolgreich es vermarktet wird.

MARTIN GURTNER-DUPERREX
Es riecht stark nach Salz und Käse im Käsereifungslager im Grund. In unzähligen Korridoren türmen sich Alpkäselaibe mehrere Meter hoch, Regal um Regal, bis unter die Decke. «Hier reifen jährlich um die 180 Tonnen Alp- und Hobelkäse AOP», sagt René Ryser, Geschäftsführer der Molkerei Gstaad, nicht ohne Stolz. «Das Käsereifungslager ist eine Aktiengesellschaft von Käseproduzenten von 93 lokalen Alpen und den Molkereien Gstaad und Schönried.»

Im Saanenland habe man im Gegensatz zum restlichen Berner Oberland, wo die Alpen im Besitz von Gemeinden oder Kooperativen sind, die ihren Käse weitgehend selber verkaufen, eine spezielle Situation, so Ryser. «Bei uns kaufen nämlich die zwei Molkereien fast zwei Drittel – rund 10’000 Laibe – des im Sommer von ihren Genossenschaftern auf den Alpen produzierten Käses ab und vermarkten ihn.» Dies erkläre sich dadurch, dass 90 Prozent der Alpen unserer Region in Privatbesitz sind und die Bauern neben der Bewirtschaftung des Talbetriebs mit ihren Familien selber «z Bärg» gehen. «Auch sie haben nur 24 Stunden am Tag und irgendwann geht ihnen die Zeit aus. Daher wurde 1976 das Reifungslager gebaut, um die Pflege und später auch die Vermarktung des Käses auszulagern», erklärt René Ryser weiter.

Geteiltes Risiko: das Genossenschaftsprinzip
«Ab dem 1. November nehmen wir jeweils von den Alpkäsern, die gleichzeitig unsere Genossenschaftsteilhaber sind, den während des Sommers produzierten Alpkäse zu einem vereinbarten Richtpreis pro Kilo ab», sagt Reto Siegrist, Geschäftsführer der Molkerei Schönried. Obwohl der Käse von nun an das Eigentum der Genossenschaft – also der Molkerei – ist, trage der Produzent als Genossenschafter natürlich weiterhin auch ein Risiko. Doch er habe grosse Vorteile, denn die Molkereien «übernehmen die Lagerungs- und Pflegekosten sowie die Leichtung, das heisst den Gewichtsverlust während der Reifeprozesses, da der Käse dabei Wasser verliert».

Noch auf der Alp wird ausserdem bei allen Genossenschaftern eine Qualitätstaxation durchgeführt, bei der zwei Kontrolleure der Sortenorganisation CasAlp im Beisein des Käufers mindestens zehn Prozent des im Sommer produzierten Käsebestandes unter die Lupe nehmen. René Ryser zufolge werden die mit einem Bohrer entnommenen Proben nach vier Kriterien geprüft: Äusseres wie Flecken oder schiefe Form, die Lochung, die im Gegensatz zum Emmentaler nicht vorhanden sein darf, Textur und Teig sowie Aroma und Geschmack.

Auf die Frage, ob denn genauso streng wie beim benachbarten L’Étivaz AOP hingeschaut werde, antwortet René Ryser ohne zu zögern klipp und klar: «Bei ihren Visiten prüfen die Taxateure anhand der Checkliste die Qualität des Käses gewissenhaft, auch die Einhaltung anderer Pflichtenheftvorgaben werden wie beim L’Étivaz von einer externen unabhängigen Verifizierungsstelle, dem OIC in Lausanne, im Auftrag des Bundesamtes für Landwirtschaft ständig kontrolliert.»

Die Molkerei wird nicht steinreich
«Wegen der Höhe des Richtpreises von 12 Franken 80 pro Kilo, den wir unseren Genossenschaftern für den Alpkäse anbieten, gibt es schon manchmal Auseinandersetzungen», meint Reto Siegrist nüchtern. «Aber wenn man ihn mit anderen marktüblichen Preisen von jungem, etwa viermonatigem Käse vergleicht, ist das ein sehr guter Preis.» Der Ladenverkaufspreis für einjährigen Alpkäse beträgt gemäss seinen Worten zwischen 23 und 25 Franken das Kilo, für zweijährigen Hobelkäse am Stück je nach Qualität zwischen 30 und 35 Franken, gehobelt, als Rölleli angeboten, sogar 48.50 Franken. «Wir versuchen schliesslich, das Beste herauszuholen, damit wir den Genossenschaftern wieder etwas zurückgeben können.»

Aussenstehende könnten den Eindruck erhalten, dass die Molkerei bei diesem Ankaufspreis steinreich werden sollte, sinniert René Ryser. Aber was dazwischen als Aufwand betrieben werde, sähen sie nicht: mindestens 18 Monate Lagerung und Pflege für den Hobelkäse, Reifungsverlust, Verlust beim Entrinden, die Hoblerei, Abreste – die als Reibkäse verarbeitet werden müssen –, die Verpackung, die Maschinen … «Und schliesslich braucht man ebenfalls eine kleine Marge für das Geschäft», stellt der Gstaader Molkerist klar.

Trotz knapper Ressourcen
Neben dem Marketing und der Verkaufsförderung des Alp- und Hobelkäses AOP, dessen Marken- und Branding-Pflege sowie der Beratung und Taxation spiele für sie CasAlp vor allem auch als politischer Vermittler und Koordinator der Kontakte zu anderen Partnerorganisationen eine wichtige Rolle, resümiert Reto Siegrist die Aufgaben und Funktion der Sortenorganisation CasAlp im Berner Oberland.

Auf die Frage, wie sie die Effizienz und Nützlichkeit von CasAlp einschätzten, meint René Ryser, der mit Reto Siegrist selber im Vorstand dieser Organisation sitzt: «Es stimmt wohl, dass die Marketing- und Werbemassnahmen bescheiden sind.» Er gibt aber zu bedenken, dass jeder Käseproduzent als Mitglied gerade mal 2,5 Rappen pro Liter verarbeitete Milch – was ca. 30 Rappen pro Kilo Käse entspricht – ans Budget von CasAlp beiträgt. «Es ist schwierig, mit solch einem Betrag mehr herauszuholen.» Aber: «Trotz der schwierigen Umstände und des kleinen Marktanteils machen wir sehr viel daraus», beteuert er.

Bei anderen Käsesorten zahlt der Produzent gemäss Ryser bis zu einem Franken und mehr pro Kilo. So können diese bis zu 4,5 Millionen Franken ins Werbebudget investieren, während es bei CasAlp gerade mal 130’000 Franken sind.

Ist Berner Alpkäse nicht exportfähig?
«Dieser Käse ist so gut, den essen wir selber!», lacht René Ryser auf die Frage, warum der Berner Alpkäse AOP eigentlich – ausser in Einzelfällen – nicht exportiert wird. Bislang habe man nie Schwierigkeiten gehabt, den Käse auf dem hiesigen Markt loszuwerden. Exporte drängten sich daher nicht auf. «Es nützt nichts, in München Werbung zu machen, wenn das Produkt zu teuer ist und man es dort auch nirgends kaufen kann», so Ryser. «Da müsste schon eine gut koordiniert Strategie dahinterstecken – und dazu fehlen schlicht die Ressourcen.» Dazu komme, dass auch die Importländer Anforderungen stellen, wie zum Beispiel die USA, die mit Rohmilch hergestellte Käsesorten nur unter hohen Auflagen importieren.

«Natürlich könnten wir die Strategie ändern und den Alpkäse günstiger bei den Produzenten einkaufen, damit er preislich exportfähig wird», erwidert Reto Siegrist. Aber das Produkt habe auf dem Schweizer Markt Tradition, da müsse man nicht auf Teufel komm raus günstiger exportieren wollen, wehrt er sich. «Lieber das Produkt auf dem hiesigen Markt festigen, als auf den Preis zu drücken und ihm zu schaden», ist er überzeugt. Ein entscheidender Punkt ist seinen Worten zufolge auch, dass der Berner Alp- und Hobelkäse im Gegensatz zu den Hartkäsen Gruyère und L’Étivaz im Ausland nicht so beliebt ist, weil er zuerst gehobelt werden muss.

CasAlp ist aber trotzdem Mitglied der Switzerland Cheese Marketing AG, welche die Aufgabe hat, den Absatz von Schweizer Käse im Ausland zu fördern, wie René Ryser bestätigt. «Das macht die SCM jedoch nicht gratis.» Dies bedeute, dass die grossen Sorten wie Gruyère, Emmentaler oder Sbrinz, die viel bezahlen, schliesslich auch bevorteilt werden, meint er illusionslos.

Verkaufsschlager Hobelkäserölleli
«Ohne die Hobelkäserölleli würden wir unseren Käse nie wegbringen», rechnet René Ryser aus. «Bei der Molkerei Gstaad werden bis zu 85 Prozent des Alpkäses zu Hobelkäse ausgereift und zu Röllchen verarbeitet.» Für die Hobelkäserölleli sei die Migros Aare mit über 50 Prozent der Hauptkunde, dicht gefolgt von Coop, wo sie zwar schweizweit gelistet seien, aber eher in der Region Bern verkauft würden, analysiert Ryser weiter. «Unser grösster Verkaufsmarkt ist klar Bern, Solothurn und Aargau – was links und rechts davon ist, ist schwierig, da jede Region ihre eigenen Käsesorten hat.»

Neben den Grossverteilern und anderen Detaillisten verkauften sie das Produkt natürlich auch im eigenen Laden, wo neben über 200 Käsesorten selbst hergestellter Bergkäse – also Käse, der ganzjährig von den Molkereien in den Dörfern der Bergregion hergestellt wird – gehandelt wird, so der Geschäftsführer der Gstaader Molkerei.

Auch die Molkerei Schönried liefert gemäss Reto Siegrist an die gleichen Hauptkunden, wobei aber der Schnittkäse mit einem Anteil von 60 Prozent deutlich grösser ist.

Convenience-Food gefragt
«Wenn wir im Laden Alpkäse verkaufen, stellt ich fest, dass die meisten interessierten Konsumenten eher älteren Semesters sind», meint der Schönrieder Molkerist nachdenklich. Da gebe es noch einiges Potenzial bei den jüngeren, weniger traditionsbewussten Generationen, die eher Convenience-Food – also praktische essbereite Lebensmittel – und wiederverwertbares Verpackungsmaterial schätzten.

Auf die Bemerkung, ob nicht edleres Verpackungsmaterial anstatt kommuner Plastik den Absatz fördern könnte, kontert Siegrist: «Man kann nicht alles in Gold einpacken, nur damit es edel daherkommt.» Und die Hobelkäseschäleli mit den Röllchen seien schliesslich ästhetisch, zweckmässig und sogar wieder verschliessbar. Er verrät jedoch: «Wir sind aktiv daran, ein neues Produkt zu entwickeln, das dem Zeitgeist entspricht und nächstes Jahr auf den Markt kommt: in ein Palmblatt verpackter gemöckelter Käse.»

Obwohl gemäss den Molkereien die Geschäfte mit Alpkäse während der Sommersaison dank der Schweizer Touristen hervorragend liefen, weiss man nicht genau, welche Konsequenzen die Corona-Krise längerfristig auf den Markt und die Kaufkraft der Konsumenten haben. Einig sind sich die beiden Molkeristen, dass es von Vorteil ist, innovativ in die Alpkäsevermarktung zu investieren und sich offensiv zu positionieren, damit die heurigen 180 Tonnen im Käsereifungslager wie üblich abgesetzt werden können und diese jahrhundertealte Erfolgsstory auch bei jüngeren Generationen noch lange anhält. Die Vermarkter, Händler und nicht zuletzt die Produzenten, die Senner und Sennerinnen auf unseren Alpen, hätten dies ohne Zweifel verdient.


ZUR PERSON

Der 56-jährige René Ryser ist verheiratet und wohnt in Château-d’Oex. Er hat eine Berufslehre als Käser und Molkerist gemacht und an der Molkereischule Rütti in Zollikofen das Meisterdiplom erworben. Danach arbeitete er in leitenden Positionen in der Milch- und Käseindustrie, bis er 2011 Geschäftsführer der Molkerei Gstaad wurde. Er ist ebenfalls als Berufsschullehrer und Prüfungsexperte tätig. Er ist Vorstandsmitglied bei Cas Alp und im Berufsverband Molkereifachleute sowie Präsident des Nationalen Milchwirtschaftlichen Museums in Kiesen. MARTIN GURTNER-DUPERREX


ZUR PERSON

Aufgewachsen ist Reto Siegrist in Stetten (AG). Der 36-Jährige ist verheiratet, hat drei Kinder und wohnt im Grund. Nach seiner Lehre und den Wanderjahren als Käser arbeitete er neun Jahre in der Molkerei Gstaad und machte die Weiterbildung zum eidgenössisch diplomierten Käsermeister. Seit Anfang 2017 ist er Geschäftsführer der Molkerei Schönried. Er ist Vorstandsmitglied bei Cas-Alp, Sortenorganisation für Berner Alp- und Hobelkäse AOP.

MARTIN GURTNER-DUPERREX


CHRONIK EINER JAHRHUNDERTEALTEN ERFOLGSSTORY

Schon in der Chronik von Johannes Stumpf von 1548 wurde der Saaner Käse als «allerbester käss» gerühmt. Die Produktionsweise des Labkäses, sozusagen des Urahnen unseres heutigen Alpkäses, war bereits im 15. Jahrhundert wohl durch italienische Hirten auf unsere Alpen gebracht worden. Das Verfahren war revolutionär, denn es ermöglichte den Sennen nun, ungesäuerte Milch mithilfe des Labs – eines aus Kälbermägen gewonnenen Enzyms – bei ca. 32 Grad Celsius zur Gerinnung zu bringen und einen Hartkäse herzustellen. Da damals das Saanenland und das Pays-d’Enhaut noch Teil der Grafschaft Greyerz waren, kann davon ausgegangen werden, dass dieser «Urkäse» in der ganzen Region ähnlich war. Auch der Simmentaler Alpkäse, der als Nachbar vom ausgezeichneten Ruf des Saaner Käses profitierte und sogar manchmal als solcher ausgegeben wurde, dürfte zu dieser Kategorie gehört haben. Durch die Art der Herstellung, die Milchtemperatur, die Nachbehandlung mit Salz und die Länge der Lagerung entstanden jedoch mit der Zeit unterschiedliche Käsesorten. Belegt ist, dass nach 1550 die Labkäseproduktion durch Sennen aus der Region Greyerz bis ins Emmental und in Unterwalden bekannt wurde, wo in der Folge der Emmentaler und der Sbrinz entstanden.

Die Labkäserei machte es durch Lagerung und Salzen möglich, den Käse haltbar und durch die harte Rinde transportfähig zu machen, was mit Ziger, Frisch- und anderen Sauermilchkäsen, die schon lange vorher bekannt waren, nicht möglich war. Ab dem 17. Jahrhundert wurde der Export von Saaner Alpkäse in grossem Stil von der Berner Herrschaft gefördert. In Fässern, sogenannten «Lageln», wurde er auf den Rücken von Maultieren, so wie der Greyerzer auch, über den Col de Jaman nach Vevey transportiert und über den Genfersee vor allem nach Frankreich sowie Savoyen, aber auch nach Oberitalien weiterverfrachtet. Auf der Rhone gelangte er ebenfalls in die Hafenstadt Marseille, von wo er als nahrhafter und haltbarer Schiffproviant auf die Weltmeere und sehr wahrscheinlich nach Übersee gelangte. Dieser Handel wurde zeitweise sogar so weit getrieben, dass in Bern Buttermangel herrschte. Aus diesem Grund verdrängten Milchviehzucht und Graswirtschaft allmählich den Getreidebau in unseren Bergtälern, auf den Alpen wurde Wald zur Gewinnung von Weiden gerodet.

Der Höhenflug des Alpkäses wurde jedoch durch das Aufkommen der Talkäsereien im 19. Jahrhundert allmählich unterbrochen. Nun wurde in den Dorfkäsereien durch verbesserte Technik ganzjährig und preiswert Käse in grösseren Mengen hergestellt. Dadurch war die Produktion von Käse auf den Alpen nicht mehr rentabel, umso mehr als der Schokoladehersteller Nestlé in Vevey ab den 1870er-Jahren begann, die Milchproduktion aus der Region aufzukaufen.

Erst in den letzten 50 Jahren erlebte das schmackhafte, handgemachte Naturprodukt unserer Alpbetriebe infolge der Milchkontingentierung eine Renaissance und wurde als Berner Alp- und Hobelkäse ab 1993 durch die Sortenorganisation CasAlp gefördert. Geschützt durch das Label AOP war er ab 2004 vor allem auf dem Regionalmarkt und sogar in der ganzen Schweiz erfolgreich – genauso wie der L’Étivaz AOP aus der welschen Nachbarschaft heute in Frankreich wieder sehr beliebt ist.

MARTIN GURTNER-DUPERREX

Quelle: ROTH-Stiftung Burgdorf, Ernst Roth


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