Ein Ehepaar, das Gstaad veränderte

  23.10.2020 Gstaad

Viel ist über das Gstaad Palace, das Wahrzeichen Gstaads, bekannt; ganz im Gegensatz zu der Geschichte jenes Ehepaars, welches dieses Fünfsternehotel einst durch eine Krise nach der anderen manövrierte. Die Kulturjournalistin Franziska Schläpfer fördert in ihrem Buch «Die Liebe ist ein schreckliches Ungeheuer» zutage, wie die weniger rosigen Zeiten des Palace ausgesehen haben – und wie das Ehepaar Scherz es damals vor dem Untergang bewahrte.

NADINE HAGER
Das Gstaad Palace ist vom «heimeligen» Bild der Gstaader Promenade nicht wegzudenken, so unübersehbar und imposant setzt es der Postkartenidylle die Krone auf. Und nicht nur seine Erscheinung ist beeindruckend, sondern auch die Erfolgsgeschichte, die es bis heute geschrieben hat. Was seinem Anblick und Image jedoch nicht auf Anhieb anzumerken ist: Das Fünfsternehotel hat turbulente Zeiten durchgemacht. Sein Erfolg ist keineswegs eine Selbstverständlichkeit.

Palace in der Krise
Zu Beginn des Zweiten Weltkriegs steckte das Palace in tiefen finanziellen Schwierigkeiten – der Krieg und die Weltwirtschaftskrise hinterliessen klaffende Wunden in der Kasse des Fünfsternehotels. Doch genau zu Zeiten der Unsicherheit und des augenscheinlich vorprogrammierten Bankrotts trat ein junges Ehepaar auf den Plan: Silvia und Ernst Scherz übernahmen die Direktion des sinkenden Schiffs. Die Voraussetzungen waren aber nicht einfach nur schlecht, sondern sie wurden zunehmend prekärer. Bereits 1939, ein Jahr nach Antritt des Direktorpostens, musste Ernst Scherz in die Armee einrücken – der Grossteil des Personals ebenso. Die Gäste verliessen das Hotel und jene, die blieben, erwarteten tadellosen Luxus. «Überfluss statt Krise» war deren Devise – und so erwarteten sie beispielsweise eine Fünfsterneküche mit rationierten Lebensmitteln.

Silvia Scherz hält die Stellung
Da Ernst Scherz nur ab und an im Urlaub ins Palace zurückkehren durfte, war seine Ehefrau gezwungen, die Stellung allein zu halten. Dort kämpfte sie mit aller Kraft dafür, ihre Gäste trotz allem zu verwöhnen. Da diese weisse Sauce verlangten, das Hotel jedoch bloss dunkles Mehl als Zutat vorrätig hatte, erbettelte die Direktorin Weissmehl bei weit entfernten Bäckereien. Um die Rationierungsbestimmungen zu umgehen, richtete sie eine kleine Hühnerzucht ein und verwandelte den ganzen heutigen Parkplatz in einen Garten. Auch sonst packte sie überall mit an, wo sie konnte, ob in der Wäscherei oder bei der Betreuung der Gäste. Ihr Gatte eroberte ab und an gutes Fleisch zu exorbitanten Preisen, wenn er vom Militär Urlaub bekam. Das Direktionspaar pflückte sogar einmal Alpenrosen während des Krieges und verschickte diese zu Marketingzwecken an seine Gäste.

Die Trickkiste
Auch nach dem Krieg wurde die Lage keineswegs einfacher – wenigstens war nun Ernst Scherz da, um seiner Frau unter die Arme zu greifen. Zur Rettung des Gstaad Palace griffen die beiden tief in ihre Trickkiste.

Dank der Anstellung von Charles Adrien Wettach, der als Clown Grock weltberühmt war, konnten die beiden 1946 das Hotel füllen. Es war sogar derart ausgebucht, dass sie für den royalen Gast König Leopold mitsamt Hofstaat keinen Platz mehr finden konnten. Kurzerhand zogen sie mit ihren Kindern in ein Angestelltenzimmer um und überliessen dem König ihr eigenes Haus.

1947 wurden Silvia und Ernst Scherz zu den Besitzern des Palace. Sie liessen anschliessend nicht nur ihren Festsaal umbauen, um eine exquisitere Atmosphäre zu schaffen, sondern setzten erneut auf berühmte Persönlichkeiten als Gästemagneten – mit Erfolg. Zuerst Maurice Chevalier und dann Louis Armstrong wurden zu schwindelerregenden Summen engagiert und zogen die High Society der ganzen Welt an.

In den folgenden Jahren blieb das Gstaad Palace langsam aber sicher konstant gefüllt. Auch dann jedoch war sich das Ehepaar Scherz nie zu schade, ihre Gäste mit allen Mitteln zu verwöhnen. Auf Wunsch liessen sie einmal sogar einen berühmten Sänger während dessen Tournee in der Bretagne kurz ein- und wieder ausfliegen, und zwar für ein Livekonzert, das auf der Stelle von einem Gast gewünscht worden war. Ganz nach dem Motto: «Nichts ist unmöglich im Palace.» Genau diese Strategie war es, die den beiden schliesslich zum Erfolg verhalf.

Ein besonderes Ehepaar
Das Ehepaar Scherz steckte seine ganze Energie in das zum Scheitern verurteilt erscheinende «Projekt Palace». Nicht selten kamen Silvia und Ernst Scherz dabei selber zu kurz; beispielsweise mit ihren vier Kindern im unbeheizten Angestelltenzimmer. Das Gstaad Palace ist ihr gemeinsames Lebenswerk – nur zu zweit haben sie es so weit bringen können.

Kein Zweifel: Dieses Ehepaar war eines der ganz besonderen Sorte. Erstmals in alle Tiefen recherchiert und schliesslich erzählt wurde dessen gemeinsame Geschichte von der Autorin und Journalistin Franziska Schläpfer aus St.Gallen für ihr Buch «Die Liebe ist ein schreckliches Ungeheuer». Neben Silvia und Ernst Scherz finden noch acht weitere illustre Liebespaare Platz in diesem Buch und bilden gemeinsam aus unterschiedlichsten Beziehungsformen ein Mosaik der Liebe. In ihrem Vorwort schreibt die Kulturjournalistin: «Sie [die Porträts] bezeugen die Vielfalt der Möglichkeiten, mit dem Leben und der Liebe zurechtzukommen, ihnen etwas Höchstpersönliches abzugewinnen, etwas Originelles.» Die Beziehungsgeschichte des Ehepaars Scherz ordnet die Autorin folgendermassen in das Gesamtwerk ein: «Sie [Silvia und Ernst] waren vollendete Gastgeber; ihre Liebesgeschichte ist die Erfolgsgeschichte des ‹Palace›».

Informationen zu «Die Liebe ist ein schreckliches Ungeheuer»: Autorin: Franziska Schläpfer Verlag: HIER UND JETZT

ISBN: 978-3-03919-470-4
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SILVIA UND ERNST SCHERZ

Mit dem Direktionsposten des untergehenden Gstaad Palace trauten sich Silvia und Ernst Scherz einiges zu – Letzterer war bei Stellenantritt noch keine 30 Jahre alt. Doch das Ehepaar brachte gute Voraussetzungen mit.
1935 verlobten sich die Hotelière Silvia Brezzola und der Bankierssohn Ernst Scherz. Er war bereits in vielen Luxushotels herumgekommen, sogar in London und Kairo. Ein Jahr darauf heirateten die beiden und packten noch im selben Jahr ihr erstes gemeinsames Projekt in St. Moritz an: die turbulente Direktion des «Carlton». Dieses Luxushotel stand kurz vor dem Konkurs. Silvia und Ernst Scherz übernahmen dessen Direktion und richteten ihr Leben während der nächsten beiden Jahre ganz auf dessen Rettung aus. Dank Ernst Scherz’ Risikobereitschaft und Einfallsreichtum hatte das Ehepaar tatsächlich Erfolg: Die Anstellung einer in weiten Kreisen berühmten Sopranistin lockte Gäste aus ganz Europa in das Hotel und sorgte für unbezahlbare Werbung.
Dennoch hielt es das Ehepaar Scherz nicht länger als zwei Jahre im «Carlton», da es von dem Hauptaktionär so lange schikaniert wurde, bis es überstürzt kündigte.
Um eine wichtige Erfahrung reicher, stolperten Silvia und Ernst Scherz dann über ein Stelleninserat für den Direktionsposten des Gstaad Palace – und die Arbeit an ihrem gemeinsamen Lebenswerk konnte beginnen.

Quelle: «Die Liebe ist ein schreckliches Ungeheuer»


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