Lieber Qualität anstatt Tiefpreisstrategie

  09.10.2020 Interview

Gabi Dörig-Eschler ist seit Jahrzehnten in der Vermarktung von Regionalprodukten tätig. Sie verrät uns, was CasAlp tut und nicht tut, wie der hiesige Alpkäse vermarktet wird, wer seinen Preis bestimmt, wo er verkauft wird, warum er in Zürich wenig Erfolg hat, kaum ins Ausland exportiert wird ... und Amerikaner mit dem Hobelkäse ein Problem haben. Ebenfalls zur Sprache kommen die negativen Auswirkungen der Corona-Krise auf die Vermarktung.

MARTIN GURTNER-DUPERREX

Gabi Dörig-Eschler, wie gut kennen Sie als Kommunikationsverantwortliche von Cas-Alp/Sortenorganisation Berner Alp- und Hobelkäse AOP die Realität der Sennerinnen und Senner auf der Alp?
Es ist mir ein grosses Anliegen, die Alpen persönlich zu besuchen, um die Wünsche, Sorgen und Gedanken unserer Mitglieder zu «spüren» und den Austausch zu pflegen. Es ist mir wichtig, dass sie sich getragen und verstanden fühlen. In einem Praktikum während meiner Studienzeit an der ETH habe ich erlebt, was es heisst, früh aufzustehen, zu melken, immer dranzubleiben. Ich bin also nicht bloss eine «Schreibtischtäterin». Es ist fantastisch zu erleben, mit welchem Stolz, welcher Freude und Leidenschaft die Älplerinnen und Älpler das Käsehandwerk pflegen!

Wie viele Tonnen Berner Alpkäse AOP gehen eigentlich jährlich durch Ihre Hände?
Scheinbar ordnen Sie die Sortenorganisation Berner Alp- und Hobelkäse AOP nicht korrekt ein. CasAlp macht keine Vermarktung eins zu eins, wir haben kein Kilogramm Käse in der Hand. Gemäss Statuten betreibt CasAlp keinen Handel und keine direkte Vermarktung.

Da habe ich mich wohl ungenügend informiert …
Da sind Sie bei Weitem nicht der Einzige! Ich habe das Gefühl, dass viele Leute nicht genau wissen, was wir tun. Sogar Älpler haben schon angefragt, ob wir nicht ihren Käse vertreiben könnten. Dies ist definitiv nicht unserer Aufgabe! Natürlich unterstützen wir unsere Mitglieder trotzdem und geben ihnen mögliche Adressen von Abnehmern weiter.

Wer verkauft den Alpkäse?
Überraschenderweise finden 85 Prozent der rund 1200 Tonnen Berner Alpkäse AOP, die jeden Sommer auf fast 500 Berner Alpen produziert werden, den Weg zum Konsumenten über die Direktvermarktung. Das heisst, sie werden direkt vom Produzenten von der Alp, vom Hofladen, an Märkten, aber auch im lokalen Detailhandel wie bei Volg oder anderen Lebensmittelgeschäften verkauft. Im Gegensatz dazu wird im Saanenland der grösste Teil des Käses von den Molkereien aufgekauft und vermarktet.

Und die restlichen 15 Prozent?
Die werden vom Fachhandel ab der Alp übernommen, gelagert, gepflegt und auch vertrieben, also wie gesagt im Saanenland von den Molkereien Gstaad und Schönried. Von den Molkereien gelangt der Alpkäse auch zur Migros Aare im Raum Bern, Solothurn und Aargau und zu Coop. Bei Coop sind beispielsweise die bekannten Hobelkäserollen im Schäli schweizweit im Sortiment.

Jetzt haben wir begriffen, was Sie nicht tun. Erklären Sie uns bitte, welches denn die Aufgaben von CasAlp sind.
Wir kümmern uns um die Absatzförderung des Berner Alp- und Hobelkäses AOP, ohne selber Handel zu treiben. Wir stellen Werbemittel, unter anderem Tragtaschen und Etiketten für unsere Mitglieder – rund 470 Alpen und die Handelsbetriebe – her, schalten Inserate und PR-Texte und unterstützen Buchprojekte wie das gerade erschienene Buch «z’Alp». Wir organisieren Anlässe wie die Berner Alpkäsemeisterschaft, die Olma-Alpkäseprämierung oder Auftritte an der OHA und BEA, inklusive Sponsoring. Dann koordinieren wir Degustationen bei Coop und Migros am Verkaufspunkt POS, was sehr wichtig für unser Produkt ist. Wichtig ist auch die Pflege der Social Media. Die User und Konsumenten lieben die Geschichten, die hinter jeder Alp stecken, und die Bilder der Alpabfahrten, denn das ist gelebte Tradition. So positionieren wir den Berner Alp- und Hobelkäse AOP als natürliches Qualitätsprodukt der Berner Alpen auf dem Markt. Jeder Laib ist – abhängig vom Zeitpunkt der Alpsaison und damit der Alpenflora sowie der Exposition einer Alp – einzigartig. Die Beratung und Qualitätskontrolle sind nebst der Kommunikation das zweite Standbein, das CasAlp seinen Mitgliedern anbietet.

Suchen Sie auch die Zusammenarbeit mit anderen Organisationen?
Die Vernetzung hat bei mir einen sehr hohen Stellenwert. Wir koordinieren unsere Arbeit mit Organisationen wie «Schweizer Alpkäse», «Das Beste der Region» und der Schweizerischen Vereinigung der AOP-IGP. Wir müssen in der Tat Synergien nutzen, denn gebündelte Kräfte sind wichtig. Wir können nicht immer wieder neu das Rad erfinden oder eine eigene Schiene fahren.

Man hört öfters, der Preis für Milch sei zu tief, andererseits, dass der Käsepreis zu teuer ist. Wie werden die Preise festgelegt und welchen Einfluss übt CasAlp darauf aus?
Ach ja? CasAlp darf Preisempfehlungen nicht mehr publizieren, da uns die Wettbewerbskommission illegale Preisabsprachen vorgeworfen hat. Im Mai konnten wir aber in Zusammenarbeit mit der Hochschule für Agrar-, Forstund Lebensmittelwissenschaften HAFL in Zollikofen und dem Amt für Landwirtschaft und Natur eine geniale Kalkulationshilfe für den Produzenten herausgeben, die ihm hilft, auszurechnen, was sein Produkt wert ist. Dieses Instrument ist einfach zu bedienen und berücksichtigt alle Faktoren der Produktion. So kann der Alpkäser berechnen, welchen Preis er dem Konsumenten verrechnen darf – die Mindestangabe ist dabei 28 Franken pro Stunde Arbeit –, um schliesslich einen fairen Verkaufspreis für sein Produkt zu erhalten. Viele berechnen nämlich ihre Arbeit nicht ein und setzen die Preise zu tief an. Wir sollten nicht eine Tiefpreisstrategie fahren, sondern eine Qualitätsstrategie – es handelt sich immerhin um ein äusserst exklusives Naturprodukt, das ausschliesslich auf den Alpen aus Alpmilch hergestellt werden darf.

Wo wird der Berner Alp und Hobelkäse AOP hauptsächlich vermarktet?
Bei der Kommunikationstätigkeit konzentrieren wir uns vor allem auf den Kanton Bern, weil hier der grösste Teil des Berner Alpkäses abgesetzt wird. Wir haben es mit mässigem Erfolg auch in anderen Regionen wie Zürich oder der Ostschweiz versucht, aber da ist die Konkurrenz des Bündner Alpkäses oder vom Sbrinz zu gross. Auch im Welschland haben wir wegen dem Gruyère und dem L’Étivaz-Käse keine Chance. Bei der Migros Vaud konnten wir einmal eine Osteraktion bestreiten, aber seither läuft da leider nichts mehr. Jede Region hat halt ihre Spezialitäten und es ist gut, wenn wir die Märkte unserer Region pflegen! So ist es wertvoll, dass unter anderem zur Absatzförderung auf lokaler Ebene die Molkerei Gstaad regelmässig Führungen in der Käsegrotte Gstaad anbietet.

Und warum nicht nach Deutschland oder Amerika?
Ausser in Einzelfällen ist das kein Thema, da nur schon der Transport sowie die Logistik unökonomisch wären. In Skandinavien und Deutschland haben wir es versucht, aber ohne grossen Erfolg, weil wir zu teuer sind und schwer mit den dortigen Preisen mithalten können. Einige unserer Mitglieder beteiligen sich jedoch regelmässig an deutschen Weihnachtsmärkten oder liefern an ausgewählte Läden. Was Amerika betrifft, so sind die Zölle zu hoch. Ausserdem haben die Amerikaner keine Ahnung, wie man Extrahartkäse isst. Stellen Sie sich vor, wenn sich jemand beim Hobeln schneiden würde … Man könnte die Produkte auch gemöckelt oder schon gehobelt exportieren, aber dann haben wir ein Problem mit der Frische und der Haltbarkeit.

Welches sind in Anbetracht der Corona-Krise Ihre wichtigsten Herausforderungen?
Wir sind mit der aktuellen Situation sehr gefordert. Fast alle Anlässe, an denen die Produzentinnen und Produzenten normalerweise ihren Alp- und Hobelkäse verkaufen können, wurden und werden abgesagt – unter anderem die OHA und BEA, die Weihnachtsmärkte, der Salon des Goûts et Terroirs und so weiter. Der Alpkäse- und Glockenmarkt in Saanen war eine erfreuliche Ausnahme. Selbst die Degustationen bei Migros und Coop wurden bis Januar abgesagt. Aber niemand weiss, was im Januar sein wird … Sie sehen, die Planung ist schwierig. Wir versuchen, Alternativen zu finden wie Onlinesupport und Werbemittel, die unsere Mitglieder in der Direktvermarktung einsetzen können, oder Firmen anzuschreiben, um unser Produkt als Weihnachts-, Kunden- oder Personalgeschenk anzubieten. Wenn man überzeugt und mit Leidenschaft für die Sache aktiv ist, dann ist der Weg sicher richtig.


ZUR PERSON

Gabi Dörig-Eschler ist 1967 geboren und in Appenzell Ausserrhoden aufgewachsen. Ihre Familie stammt ursprünglich aus Boltigen im Simmental. Heute lebt sie mit ihrem Mann und Sohn in Heiligenschwendi, wo sie Gemeinderätin ist. Die ausgebildete Diplombibliothekarin hat an der ETH Zürich Agrarwirtschaft studiert. Seit Jahrzehnten ist sie in der Regionalvermarktung tätig, zuerst im Emmental, später im Berner Oberland. Bei der Sortenorganisation CasAlp ist sie Koordinatorin und Kommunikationsverantwortliche im Teilpensum von 35 Prozent, wobei ihr gemäss ihren Worten von der Geschäftsleitung, dem Vorstand und dem Präsidenten Hans Kohler viel Freiheit und Vertrauen entgegengebracht werden. In den Ferien ist sie mit ihrer Familie und dem Hund gerne sportlich in den Bergen und auf den Alpen unterwegs.

MARTIN GURTNER-DUPERREX


CASALP

CasAlp, die Sortenorganisation Berner Alp- und Hobelkäse AOP, wurde 1993 als Verein gegründet und unterhält eine Geschäftsstelle auf dem Hondrich am Inforama Berner Oberland, wo sich auch die Verwaltung befindet. Der Name geht zurück auf das lateinische «caseus», was Käse bedeutet. Die Sortenorganisation hat zum Ziel, die Qualität und den Absatz dieser Naturprodukte der Berner Alpen zu fördern. Dabei bietet sie nebst Werbung auch Kommunikationsmittel für die Mitglieder und Beratung an. Finanziert wird sie durch Abgaben von Produzenten, Handelsbetrieben, Organisationen und Einzelmitgliedern.

Produkte mit einer Bezeichnung AOP (Appellation d’Origine Protégée, geschützte Ursprungsbezeichnung) sind traditionelle Spezialitäten, die eine starke Verbindung zu ihrer Ursprungsregion haben und vom Schweizer Gesetz geschützt werden. Bei ihrer Verarbeitung kommen alle Rohstoffe bis zum Endprodukt aus einer klar definierten Ursprungsregion. Das Qualitätszeichen bietet Gewähr, dass die Produkte dort erzeugt, verarbeitet und veredelt werden.

PD


Image Title

1/10

Möchten Sie weiterlesen?

Ja. Ich bin Abonnent.

Haben Sie noch kein Konto? Registrieren Sie sich hier

Ja. Ich benötige ein Abo.

Abo Angebote