«Der Gast muss im Vordergrund stehen!»

  03.11.2020 Tourismus, Destination

Gäste, die ihre Ferien im Saanenland verbringen, kennen keine Grenzen. Sie setzen sich ins Auto, in den Zug oder aufs Rad und erkunden die Gegend. Hier orten die drei Nachbarsdestinationen Gstaad, Lenk-Simmental und Pays-d’Enhaut Région Potenzial. Sie sind bestrebt, öfter und intensiver zusammenzuarbeiten.

BLANCA BURRI
Myriam Dégallier, Albert Kruker und Flurin Riedi sitzen am grossen Holztisch im Sitzungszimmer von Gstaad Saanenland Tourismus. Die Tourismusdirektorin und die Tourismusdirektoren stehen für die Destinationen Pays-dEnhaut Région, Lenk-Simmental und Gstaad. Der «Anzeiger von Saanen» bat sie zum Gespräch mit der Frage: «Ist es sinnvoll als Nachbarsdestinationen näher zusammenzurücken?»

Keine Konkurrenten mehr
Klassische Destinationen haben zwar keine Passkontrollen oder Zölle, jedoch klare Grenzen. In diesem Perimeter bündeln sie Angebote, entwickeln welche und setzen ihre Gelder ein. Der Gast, der beispielsweise in Saanen residiert, interessiert das wenig. Er konsumiert destinationsübergreifend, was ihm gefällt. Diesen Aktivitätsradius nennen die Fachleute Erlebnisraum oder Erlebnisradius. Früher waren die Nachbarsdestinationen Konkurrenten, heute sind es die Strandferien und der Städtetourismus.

Gemeinsames Projekt
Die drei Destinationen gedenken eine gemeinsame digitale Gästekarte auf den Markt zu bringen. Mit dieser lassen sich die Erlebnisse ganz leicht buchen: Bergbahnen, Postauto, Zug, Kutschenfahrt, Skilehrer, Restaurants und vieles mehr. Die Karte wird analog aber vor allem digital auf dem Smartphone erhältlich sein. Der Launch ist im Sommer 2021 geplant. Eine fixe Drei-Destinationen-Projektgruppe oder ein Budget für gemeinsame Aktivitäten ist jedoch weder installiert noch geplant. «Wir arbeiten projektbezogen», hält Riedi fest, «die Gästekarte könnte jedoch eine Vorreiterrolle für eine intensivere Zusammenarbeit spielen.» Flurin Riedi denkt an bestehende Produkte wie die Tour du Wildhorn oder Rundreisetickets für Wanderer. «Hier können wir vor allem in der Kommunikation zusammenspannen», regt er an. Albert Kruker betont, dass Lenk-Simmental Tourismus bereits begonnen habe, über die Destinationsgrenze hinaus zu kommunizieren. «Wichtige Angebote zeigen wir in der digitalen Kommunikation bereits auf.» Die drei Tourismusfachleute stecken ihre mit Masken geschützten Köpfe zusammen und schauen sich das konkret auf einem Smartphone an.

Zusammenarbeit steht und fällt mit Personen
Die Stimmung am Konferenztisch ist gut. Doch sollte ein solcher Austausch nicht einfach selbstverständlich sein? Albert Kruker klärt auf: Eine nachbarschaftliche Kooperation sei nicht neu, doch sie stehe und falle mit den Tourismusdirektoren. «Weil die Geschäftsführer in Gstaad und Château-dOex wechselten, gab es eine längere Pause», blickt er zurück. Kruker ist seit acht Jahren im Amt, Flurin Riedi seit eineinhalb Jahren und Myriam Dégallier erst seit vergangenem Mai. Die drei bedauern, dass ein regelmässiger Austausch im Alltagsgeschäft manchmal vergessen gehe.

Politische Grenzen sind nicht immer touristische
Laut den drei Experten ist es jedoch schwierig, den politischen Anspruch mit dem touristischen zu vereinen. «Wenn der Kanton Geld spricht, erwartet er einen direkten innerkantonalen Output», sagt Myriam Dégallier. Da sei es egal, ob die Zusammenarbeit zwischen dem Pays-dEnhaut und Orten wie Les Mosses oder Leysin überhaupt Sinn mache. Das sei extrem schade, müsse aber in der Arbeit berücksichtigt werden. Dementsprechend versucht Dégallier, wo es Sinn macht, mit den Alpes Vaudoises an einem Strick zu ziehen und so die politischen Aspekte zu berücksichtigen. Trotzdem ist sie etwas frustriert: «Das Tal gibt die naturgegebene Verbundenheit mit dem Saanenland vor und dennoch weisen touristische Infotafeln bei Les Moulins und Château-dOex auf Attraktionen in Leysin und Aigle hin, nicht aber auf das Saanenland.» Trotzdem bleibt sie pragmatisch: Wenn es um Events, Wander-, Biker- oder MOB-Angebote gehe, spanne sie wenn immer möglich mit dem Saanenland zusammen.

Auch die Herren in der Diskussionsrunde haben mit ähnlichen Problemen zu kämpfen. Albert Kruker: «Oftmals berücksichtigen die politischen Vorgaben den Aktionsradius nicht eins zu eins. Aber der Gast muss zwingend im Vordergrund stehen, damit wir erfolgreichen Tourismus betreiben können!»

Zusammenarbeit macht nicht immer Sinn
Im Rahmen der kantonalen Tourismusförderung wurden in den vergangenen Jahren fünf grossflächige Destinationen definiert. Lenk-Simmental Tourismus gehört der Tourismusdestination Adelboden-Lenk-Kandersteg (TALK) an. Wie erklärt Albert Kruker TALK nun die Zusammenarbeit mit der Destination Gstaad? «Grundsätzlich verschwimmen die Grenzen durch die Digitalisierung immer stärker.» Wander-, Bike- und Strassenkarten werden heute meist digital konsumiert. Darauf sind keine Destinationsgrenzen aufgezeichnet, was die Aussage Krukers stützt. Er verweist darauf, immer dort zusammenzuarbeiten, wo es Sinn mache. Zum Beispiel wendet er sich im Wandersektor ans Saanenland und an Adelboden. Beim Skifahren bleibt Lenk nach wie vor bei Adelboden: «Das ist unser Hauptprodukt, aus Lenker Sicht. Bei St. Stephan sieht das schon wieder anders aus.» Er betont, dass jegliche Zusammenarbeit jederzeit flexibel, unkompliziert und bedürfnisgerecht funktionieren müsse und das Produkt immer aus der Sicht des Gastes entwickelt werden müsse.

Verschiedene Kulturen
Der Tourismusdirektor aus Lenk erklärt anhand eines Beispiels: «Die drei Destinationen bereichern sich gegenseitig, denn die Gäste erleben im Saanenland oder im Pays-dEnhaut eine andere Mentalität, eine andere Kultur und sogar eine andere Sprache als bei uns an der Lenk.» Erstaunlicherweise wird die Sprachgrenze nie als Hindernis dargestellt. Darauf angesprochen, sagt Myriam Dégallier in perfektem Hochdeutsch: «Wir sind Touristiker und kennen somit keine Sprachbarrieren.» Im Gegenteil. Im Pays-dEnhaut gebe es extrem viele Deutschschweizer Gäste … «Und bei uns sehr viele Französisch sprechende», fällt ihr Albert Kruker lachend ins Wort.

Verbindende Elemente
Natürlich gebe es auch verbindende Elemente wie die Via Alpina, die regionalen und nationalen Velo- und Bikerouten, die Scherenschnittkunst oder die Alpwirtschaft. «Erstaunlich viele Landwirte gehen in den Nachbarskantonen z Bärg», weiss Flurin Riedi. Ein Vorzeigeevent findet Kruker das Gstaad Menuhin Festival. «Die Austragungsorte erstrecken sich vom Pays-dEnhaut bis an die Lenk. Drei Destinationen – zwei Kantone. Das ist einfach beispielhaft.»

Für den Tourismus ist die MOB wie eine Ader, die durch alle drei Destinationen pulsiert. «Die MOB ist eine touristische Bahn – man könnte schon fast von einer Erlebnisbahn sprechen. Auf jeden Fall ist sie keine typische Pendlerbahn, denn sie wartet mit Panorama- und Schokoladenzügen auf und besticht durch ihr auffälliges Äusseres», hält Flurin Riedi fest. Es ist ihm wichtig, diese in der erwähnten Gästekarte zu inkludieren.

Nicht jede Destination braucht alles
Nicht alle Destinationen müssten in jedem Gebiet stark sein, sagt Flurin Riedi. Es brauche im Saanenland keine Schokoladenfabrik und auch keine Showkäserei à la Etivaz. Aber jeder Region habe seine Leuchtturmprojekte, auf die sie sich konzentrieren solle. Alles andere könne man in weniger als einer Autostunde ausserhalb erleben. «Ich finde, wir müssen grossflächiger denken als bisher.» Gleichzeitig würden Gäste aus den anderen Regionen für einen Tagesausflug in die Destination reisen, um eben die Angebote der Destination Gstaad zu erleben. Zum Beispiel ein Menuhin-Konzert, ein Besuch auf dem Golfplatz oder ein Mittagessen in einem der preisgekrönten Restaurants.


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