Offener Brief an Pfarrer Bruno Bader

  27.11.2020 Leserbriefe

Sehr geehrter Herr Pfarrer Bader
Mit Ihrem Fernsehauftritt als Gegner der Konzernverantwortungsinitiative (= KVI) sind Sie berühmt geworden, und in den Sog Ihrer Berühmtheit gerät nun auch die Kirchgemeinde von Saanen. Wegen meiner engen familiären Bindung an Saanen lassen mir Ihre Äusserungen jedoch keine Ruhe. Mit Ihrer Behauptung, die KVI-Befürworter unterstellten allen Unternehmern «kriminelle Energien», tun Sie den Angeschuldigten Unrecht. Der Befund, bei dem die KVI ansetzt, lautet nämlich: Nachlässigkeit, Schlendrian, kurz Unverantwortlichkeit in der Zentrale multinational vernetzter Unternehmen begünstigen Menschenrechtsverletzungen und massive Umweltschäden durch abhängige Firmen im Ausland. Unter den KVI-Befürwortern besteht ein breiter Konsens darüber, dass die grosse Mehrheit der in der Schweiz ansässigen Firmen nicht nur gute Arbeit leistet, sondern auch sozial engagiert und für Umweltstandards sensibilisiert ist. Es gibt aber – leider! – ein paar schwarze Schafe, die zum Teil beträchtlichen Schaden anrichten. Weil der Appell an das Prinzip der Selbstverantwortung in diesen Fällen bisher wirkungslos verpuffte, braucht es eine gesetzliche Regelung, wie sie die KVI vorschlägt und wie sie inzwischen auch ähnlich in Deutschland und in der EU als ganzer verhandelt wird.

Davon, dass man Unternehmern da generell «kriminelle Energie» unterstellt, kann also keine Rede sein. Die Frage stellt sich, ob nicht Sie es sind, der hier den Befürwortern der KVI – in vielleicht nicht sehr «christlicher Weise» – niedrige Instinkte unterstellt? Vielleicht haben Sie schon von der russischen Firma Nornickel (berüchtigt wegen der Ölpest in Sibirien, Mai 2020) gehört, die ihr Standbein in Zug hat, oder von der Firma Transocean (Urheberin der gigantischen Ölpest im Golf von Mexiko, 2010) mit Hauptsitz in Steinhausen (ZG). Sollten diese Firmen und andere dieser Art bei Annahme der KVI ihren Sitz ins Ausland verlegen, wäre das doch absolut zu begrüssen! Das Argument, das man hierzulande häufig hört – diese Schäden ereignen sich ja sehr weit weg von uns, dafür bringen uns diese Firmen Steuern und Arbeitsplätze – ist zynisch, und mit dieser Haltung handeln wir uns im Ausland den Ruf ein, ein Volk von Hehlern zu sein.

Leider gingen Sie, Herr Pfarrer, mit Ihren fernsehwirksamen Äusserungen aber noch sehr viel weiter und setzten die KVI-Befürworter mit den Taliban gleich. Damit begaben Sie sich in der Auseinandersetzung um die KVI auf ein bisher unbetretenes, sehr riskantes Terrain. Mit dem Stichwort «Taliban» assoziiert man gewöhnlich grausame Terroristen, denen nur mit Waffengewalt beizukommen ist. Und die KVI-Befürworter? Soll man auch gegen sie bewaffnet einschreiten? Ich weiss, Herr Pfarrer, das haben Sie nicht gesagt, zum Glück nicht, und ich will gerne glauben, dass Sie nicht einmal an die Möglichkeit gedacht haben, so etwas zu sagen. Aber indem Sie Ihre KVI-Kritik im Taliban-Vergleich gipfeln liessen, riefen Sie bei manchen Zuhörern/innen wahrscheinlich genau diese Assoziation wach. Es dürfte Ihnen kaum entgangen sein, welche Schlammschlacht seit ein paar Wochen gegen die KVI-Befürworter/innen im Gang ist. Ihre Taliban-Pointe passt dazu wie der Funke zum Pulverfass. Denn das Gebräu aus Halbwissen, Arroganz und tiefer Gehässigkeit gegen die KVI, das wir in einigen Onlinemedien finden, ist durchaus explosiv. Dazu eine Kostprobe aus über 100 Kommentaren zu einem Artikel der Rechtsprofessorin Monika Roth (vom 13.November) zugunsten der KVI1: «Frau Dr. iur. Roth möchte die Schweiz am liebsten in Richtung Venezuela katapultieren.» «Ihr Neid, ihre Scheinheiligkeit und Naivität scheinen grenzenlos zu sein. Sie sollte sich mal um die Lügen und Betrügereien der Initiative kümmern.» «Links-grün, NGOs und andere Spinner stehen in den Startlöchern: es wird Klagen hageln wie blöd … Ein weiterer Schritt in Richtung Abgrund.» «Die Winkelanwälte und die NGOs machen fifty/fifty und der Rubel wird rollen, vor allem für die Juristen.» «Die Juristerei ist reine Paragraphenwischerei, mehr nicht.» «Diese Moralapostel und juristische Besserwisserei ist einfach nur noch peinlich.» «Die Überheblichkeit und die scheinheilige Moralisierung aller Lebensbereiche durch Gutmenschen ist nur noch zum Kotzen.» «Hauptsache, man kann den Grossen, den Konzernen, der Wirtschaft ans Bein pinkeln. Kindisch und unreif.» «Alles will der linke Abschaum regulieren.» «Sollen mit den Fakeplakaten endlich aufhören.»

Dieser Mix von Wutausbrüchen zeugt von einer geballten unterschwelligen Aggressivität. Durch unsere Gesellschaft geht offenbar eine tiefe Kluft. Statt dass Sie diese überbrücken helfen, zündeln Sie mit Sprengstoff.

Mit Ihren schweizweit ausgestrahlten Äusserungen zur KVI haben Sie, Herr Pfarrer, als theologische Autorität eine grosse Verantwortung übernommen. Ihr Einfluss auf die Bevölkerung im Saanenland und Obersimmental ist wohl kaum zu unterschätzen. Auf die Kirche von Saanen – eine der ältesten, würdigsten und schönsten Kirchen unseres Kantons! – und ihre Gemeinde werfen Ihre Äusserungen nun aber meines Erachtens einen tiefen Schatten. Ich würde mir wünschen, Sie würden Ihre Äusserungen nochmals überdenken.
Mit vorzüglicher Hochachtung
THOMAS KESSELRING, PROF. DR. HABIL (PH) UND
PD DR. (UNIV.) FÜR PHILOSOPHIE UND ETHIK, BERN

1Nachzulesen unter: https://insideparadeplatz. ch/2020/11/13/ausgerechnet-die-cs-wettertgegen-die-konzern-verantwortung


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