Wie schätzen sich die Jugendlichen selbst ein?

  11.12.2020 Interview

Marco Knubel ist 17 Jahre alt und wohnt in Zweisimmen. Er arbeitet in Gstaad bei Chaletbau Matti als Zeichner im dritten Lehrjahr. Schon seit Langem ist er so politikinteressiert, dass er es kaum erwarten kann, ins Abstimmungsalter zu kommen.

Marco Knubel, wie engagieren Sie sich für die Politik?
Seit diesem Sommer bin ich bei der Grünliberalen Partei (glp) engagiert. Kantonal und national bin ich noch nicht so aktiv, doch in der Ortssektion habe ich bereits eine Sitzung besucht. Abgesehen davon diskutiere ich gerne: Beispielsweise poste ich viele Anregungen auf Twitter oder versuche auch, Kompromisse mit Leuten zu finden, die eine andere Meinung haben als ich.

Woher kommt dieses grosse Politikinteresse in so jungen Jahren?
Das Lustige ist: In meinem näheren Umfeld ist niemand gross politisch engagiert. Ich schon, besonders bei Themen wie beispielsweise der Klimaerwärmung. Wenn es Missstände gibt, muss man sich dafür einsetzen, etwas zu verändern.

Gibt es spezifische Themen, welche Sie besonders ansprechen?
Spezifisch der Umweltschutz, die Elektromobilität, die liberale Gesellschaft und eine weltoffene, vernetzte sowie progressive Schweiz sind mir wichtig.

Finden Sie, dass es wichtig ist, Politikinteresse bei Jugendlichen zu wecken?
Ja. Schliesslich geht es um ihre Zukunft. Sie sollten mitgestalten können, wie diese aussieht. Deshalb bin ich dafür, dass man bereits ab 16 Jahren abstimmen und wählen darf.

Erleben Sie ähnliches Interesse in Ihrem gleichaltrigen Umfeld?
Allgemein würde ich sagen, dass die Jugendlichen in den letzten Jahren interessierter geworden sind. Ich erlebe viele Diskussionen mit meinen Kolleginnen und Kollegen.

Können Jugendliche besser fürs Abstimmen motiviert werden?
Ja, ich denke schon. Die Digitalisierung spielt eine wichtige Rolle darin, wie Jugendliche abgeholt werden können. Es gibt noch immer keine Möglichkeit, online abzustimmen – das wäre bestimmt ein guter Punkt. Und auch der politische Diskurs ist für Jugendliche eher unattraktiv, weil dieser so elitär ist.

Auf welchem Weg informieren Sie sich?
Wenn mich ein Thema interessiert, gehe ich ins Internet oder frage Fachleute und sammle Informationen dazu. Das habe ich schon mit 15 gemacht und mich teilweise sorgfältiger informiert als meine Eltern.

Und was begeistert Sie so an der Politik, dass Sie sich die Zeit dafür nehmen?
Dass man in kleinen Schritten überall die Welt etwas besser machen kann. 


DEA MÜLLER IM INTERVIEW

DEA Müller studiert Biomedizin an der Universität Zürich und ist 21 Jahre alt. Sie ist in Gstaad aufgewachsen und wohnt unter der Woche in einer Wohngemeinschaft in Zürich. Sie stimmt so häufig ab wie möglich.

Dea Müller, stimmen Sie häufig ab?
Ja, ich versuche wirklich, regelmässig abzustimmen. Wenn ich das einmal vernachlässige, dann, weil ich nicht zu Hause war und deswegen die Unterlagen nicht hatte, oder wenn ich in den Ferien bin.

Ist es in diesem Fall nicht vom Thema der Abstimmungsvorlage abhängig, ob Sie an die Urne gehen?
Nein, ich gebe eigentlich überall meine Stimme ab. Manchmal ist es einfach fundierter und manchmal etwas weniger, je nach Interesse.

Über welche Kanäle informieren Sie sich?
Sehr häufig über das «Echo der Zeit», ein Sendungsformat des SRF. Manchmal google ich Hintergrundwissen aber auch direkt. Und auch EasyVote ist eine gute Plattform, die ich nutze. Ich habe nicht so viel Zeit, nehme mir diese aber schon genügend, um mich schnell und präzise zu informieren.

Sie haben das Abstimmungsbüchlein nicht erwähnt. Lesen Sie dieses nicht?
Nein. Wenn ich das durchlese, braucht das viel Zeit und ich verstehe die Hälfte nicht auf Anhieb. Zu Beginn habe ich die Büchlein noch angeschaut, doch dann habe ich bemerkt, dass das einfach zu viel ist und zu komplex darlegt, worum es geht. Deshalb benutze ich andere Kanäle.

Wenn Jugendliche also nicht abstimmen, weil sie die Unterlagen zu kompliziert finden, verstehen Sie das?
Absolut. Es ist gut, dass es das Abstimmungsbüchlein gibt, doch ich denke, dass nicht nur junge Erwachsene besser abstimmen würden, wenn es verständlicher geschrieben wäre, sondern auch ältere Erwachsene.

Sie haben aber genügend politisches Interesse, um sich die Zeit zu nehmen, sich andersweitig zu informieren.
Ja, ich bin geprägt von unserem Sekundarlehrer. Er legte uns immer ans Herz: «Dass wir eine so niedrige Stimmbeteiligung haben, liegt daran, dass es uns gut geht. Doch wir müssen auch etwas dafür tun, damit es uns weiterhin gut gehen wird.» Das habe ich mir zu Herzen genommen, denn wenn ich schon die Möglichkeit habe, möchte ich sie auch nutzen. Deshalb nehme ich mir die Zeit, mich damit auseinanderzusetzen.

Erleben Sie ähnlich grosses Engagement auch von Ihrem Umfeld?
In der Familie definitiv. Wir diskutieren ab und an am Esstisch, denn meine Eltern sind sehr politikinteressiert. Gerade bei Fragen zu Abstimmungsvorlagen auf der Gemeindeebene kann ich mich an sie wenden – denn da kann ich mich natürlich nicht über SRF informieren. Mein Umfeld von Gleichaltrigen an der Uni findet es ebenfalls wichtig, abzustimmen. Manchmal diskutieren meine Kollgen und ich auch über die Vorlagen.

Möchten Sie noch etwas anfügen?
Ja: Ich finde es wirklich wichtig, dass junge Erwachsene an die Urne gehen. Deshalb fände ich es gut, wenn die Politik die Grundlagen – wie beispielsweise das Abstimmungsbüchlein – jugendgerechter gestalten würde. Dazu könnte auch gehören, bereits in der Oberstufe mit der politischen Grundbildung zu beginnen und beispielsweise darauf aufmerksam zu machen, dass es Easy-Vote gibt.


MICHELLE REICHENBACH IM INTERVIEW

Michelle Reichenbach ist 22 Jahre alt und in Gstaad aufgewachsen – jetzt wohnt sie in Lauenen und arbeitet als Verkäuferin im Dorfladen in Feutersoey sowie als Tiermedizinische Praxisassistentin in der Bergpraxis Animal. Gerne würde sie fleissig abstimmen, doch so weit ist sie noch nicht.

Michelle Reichenbach, gehen Sie häufig an die Urne?
Nein, ich stimme sehr selten ab – eigentlich nur auf der Gemeindeebene. An kantonalen und nationalen Abstimmungen nehme ich nicht teil.

Weshalb?
Aufgrund der Abstimmungsunterlagen kann ich mir nicht guten Gewissens eine Meinung bilden. Ich probiere es immer wieder, doch anhand der Texte im Stimmcouvert verstehe ich die Vorlagen nicht – die Erklärungen sind mir zu komplex formuliert. Und dann gebe ich mir auch nicht die Mühe, selber nachzuforschen. Das liegt daran, dass ich noch nicht allzu interessiert bin und ich mir die Zeit nicht nehme.

Kennen Sie EasyVote? Das ist eine Plattform, welche nationale Abstimmungsvorlagen einfach erklärt in ein Video verpackt.
Nein, das kenne ich nicht – doch ich werde definitiv mal reinschauen, denn eigentlich möchte ich gerne abstimmen. Ich habe jeweils einfach Respekt davor, eine «falsche» Entscheidung zu treffen, deshalb lasse ich es jeweils lieber sein.

Das bedeutet, dass Ihr Abstimmungsverhalten nicht von den Themen, sondern von der Komplexität abhängig ist?
Genau. Auf der Gemeindeebene verstehe ich, wovon gesprochen wird und worum es geht, weshalb ich es einfacher finde, mich zu entscheiden. Ausserdem weiss ich, wen ich fragen kann für eine Erklärung. Für nationale und kantonale Abstimmungen ist das schwieriger – und obwohl ich weiss, dass es um meine Zukunft geht, habe ich momentan noch andere Interessen.

Könnte sich dies mit zunehmendem Alter für Sie ändern?
Ja, ich habe die Hoffnung, dass mit der Zeit mehr Interesse entsteht. Wenn ich mal Kinder habe, möchte ich ihnen erklären können, wie das funktioniert.

Wie sieht es mit dem Interesse Ihres Umfelds aus?
Unter meinen gleichaltrigen Kolleginnen und Kollegen ist es etwa halb-halb. Die einen stimmen ab, die anderen interessieren sich ebenso wenig dafür wie ich. Wir sprechen auch sehr selten über dieses Thema – wenn wir uns sehen, reden wir nicht über Politik.


Nicola Buchs wohnt an der Lenk und ist 20 Jahre alt. Seit dem Abschluss des Gymnasiums absolviert er ein Zwischenjahr und nach der Rekrutenschule wird er eine verkürzte Banklehre beginnen. Es zieht ihn eher selten an die Urne.

Nicola Buchs, wie oft stimmen Sie ab?
Im Grunde genommen sehr selten. Das hängt davon ab, ob ich mich mit dem Thema identifizieren kann und ob es mich aus meiner Sicht direkt betrifft oder nicht.

Welche Themen sprechen Sie direkt an?
Ich bin leidenschaftlicher Sportler, deshalb würde ich bestimmt abstimmen, wenn es irgendwie um Sport ginge. Doch ich finde, Themen wie Flüchtlinge oder Militär kommen nicht wirklich auf den Punkt – ich bin von diesen Diskussionen etwas übersättigt.

Hat die Komplexität der Abstimmungsvorlage einen Einfluss auf Ihr Abstimmungsverhalten?
Nicht unbedingt. Es gibt ja sehr verständliche Erklärungen von EasyVote, über diesen Kanal informiere ich mich. Komplexität ist dementsprechend nicht das Problem. Auch wenn zu Hause Abstimmungsunterlagen herumliegen, werfe ich einen Blick hinein – und wenn nicht, dann informiere ich mich auch nicht wirklich von mir aus.

Stimmt Ihr Umfeld ebenfalls selten ab?
Nein, im Gegenteil, ich bin diesbezüglich in meiner Familie ein bisschen das schwarze Schaf: Mein Onkel ist Gemeindepräsident in der Lenk und meine Familie allgemein sehr politikinteressiert. Etwas anders sieht es aber bei meinen gleichaltrigen Kolleginnen und Kollegen aus – wir sprechen eigentlich nie über die Abstimmungen, also nehme ich an, dass sie auch nicht viel interessierter sind als ich.

Können Sie sich vorstellen, in fünf bis zehn Jahren regelmässig abzustimmen?
Ja, das bestimmt. Wenn man noch so jung ist, hat man je nachdem andere Interessen. Später im Leben wird das sicher ein Thema, um das man sich mehr kümmert.

 

 

 


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