Zwischen Gabe und Tausch – die schwierige Kunst des Schenkens

  24.12.2020 Region

Wie halten Sie es mit Weihnachtsgeschenken? Schenken ist nämlich eine ziemlich schwierige Angelegenheit. Kaufen Sie selber ein oder delegieren Sie? Schicken Sie jetzt ein Stossgebet in den Himmel und danken für jemanden an Ihrer Seite, welcher die heikle Kunst des Schenkens für Sie übernimmt? Hand aufs Herz, richtig froh macht diese Delegation nicht.

Es ist schon interessant, auf was für Ausflüchte wir uns verlegen, um der schwierigen Kunst des Schenkens zu entgehen. Vielleicht kennen Sie Mitmenschen, die mit todernstem Gesicht erläutern, warum sie sich in diesem Jahr gar nichts schenken («Wir haben schon alles!»). Andere üben sich in Konsumkritik und verkünden mit grosser Geste: «Ist doch eh alles nur Kommerz!» Es soll Familien geben, in denen nur Geschenke im Wert von je Fr. 10 getauscht werden. Damit alles schön gerecht zugehe. Das ist private Verteilungsgerechtigkeit, die noch aus der wunderbarsten Gabe ein Tauschobjekt macht.

Schenken ist heikel
Schenken ist in der Tat eine heikle Angelegenheit. Denn Geschenke können unter Druck setzen: Was will mir der Schenkende sagen? Und was fordert er bei nächster Gelegenheit zurück? In der Welt der Politik und der Wirtschaft wird das Geschenk zur Affäre. Geschenke gebrauchen wir als Bestechung, als Handel, als Tausch, als Erpressung oder als Überzeugungsstrategie. Aber: Wer glaubt, Geschenkpolitik sei nur eine Angelegenheit für Finanzminister, der fasse sich ruhig an die eigene Nase. Derlei Praktiken gibt es auch im feierlich geschmückten Wohnzimmer. Es gibt zwar keine Statistik für innerfamiliäre Bestechungsskandale, aber wir ahnen, dass Geschenke gezielt eingesetzt werden und als handfeste symbolische Kommunikation dienen können.

Ja, die Schenkkultur ist eine heikle Praxis: Das Schmuckstück für die Freundin, die sich nicht zum Ja-Wort durchringen kann. Die Klavierstunden für die Tochter, weil die Mutter selbst immer Klavier spielen wollte. Die Bücher für den Lesemuffel. Fussballschuhe für den Enkel, der lieber in den Ballettunterricht ginge. Schenken und beschenkt werden ist erwartungsintensiv und enttäuschungsanfällig: Die Dessous sind zu aufdringlich, der Sprachkurs zu pädagogisch und die Pralinen zu einfallslos. Schenken hält vielerlei Tücken bereit.

Wie Kinder annehmen
Martin Luther hatte einen guten Blick für unsere Schwierigkeiten, mit Geschenken umzugehen. Er sagt: «Die ganze Welt ist toll und töricht. Sie kann sich der Gaben nicht freuen. Sie ertragen es nicht, dass sie die Nehmenden sind. Sie wollen nichts umsonst haben.»

Das Weihnachtsfest ist die Urszene der Gabe, die keine Gegengabe erfordert, weil keine Gegengabe ausreicht, um das überbordende Geschenk Gottes an den Menschen zu vergelten. Nochmals Luther: «Der Geber ist unermesslich gross. Was gibt Gott? Seinen Sohn. Das heisst: Er gibt nicht einen Groschen, ein Pferd oder ein Königreich, auch nicht den Himmel mit der Sonne und den Sternen, sondern seinen Sohn, der so gross ist wie er selbst.»

Im Weihnachtsfest kommen der Handel und das Geschäft aus Gabe und Gegengabe zu einem Ende. Wir können nur staunend dastehen wie Kinder und annehmen, was uns in die Hand gedrückt wird: das Versprechen Gottes, dass wir selbst nicht aufgehen in dem, was wir tauschen, leisten oder aus uns zu machen vermögen.

Ein Symbol für die Würde
Und wenn wir uns an Weihnachten beschenken, erinnern wir uns daran, dass auch jene, die wir lieben, mehr sind als das, was sie leisten oder vermögen. Unsere Geschenke an sie verkörpern diesen Überschuss; sie sind Symbole der Würde des Beschenkten – auch dann, wenn sie Geld gekostet haben.

Weihnachten reisst heraus aus dem vertrackten Kreislauf, der alles und jedes zur Ware macht. Das Fest lehrt uns: Schenken erzeugt Beziehungssinn. Im gelungenen Geschenk erfährt sich der Beschenkte als erkannt und geschätzt. So ist er vielleicht um ein Buch oder einen Schal, vor allem aber um eine Anerkennung reicher.

Kinder können das. Sie haben noch kein Problem, Geschenke anzunehmen, ohne sofort die Gegengabe zu kalkulieren. Wir Erwachsenen müssen es wieder lernen.

BRUNO BADER


Image Title

1/10

Möchten Sie weiterlesen?

Ja. Ich bin Abonnent.

Haben Sie noch kein Konto? Registrieren Sie sich hier

Ja. Ich benötige ein Abo.

Abo Angebote