Eine haarige Geschichte

  12.01.2021 Interview

Haare sind uns allen extrem wichtig fürs Wohlbefinden. Coiffeur Heinz Marti weiss das und liebt gerade deshalb seinen Beruf. Nach bereits 40 Jahren in seinem Salon in Saanen kann er haargenau berichten, was sich in der Branche verändert hat oder was alte Zöpfe sind.

SONJA WOLF

DER BERUF

Warum wird man Coiffeur?
Für mich ist es einer der schönsten Berufe der Welt. Emotionell stimmt es einfach: Wir haben die Kunden 30 Minuten bis vielleicht vier Stunden am Platz, da entstehen ein Vertrauensverhältnis, Intimität und Emotionen, wie zum Beispiel bei Hochzeitsfrisuren. Die Menschen gehen glücklich nach Hause. Wegen dem neu gestylten Kopf, aber auch wegen dem sozialen Aspekt. Viele Kunden mögen es, wenn man mit ihnen spricht und witzelt. Und es freut mich, wenn sie sagen: «Bei euch ist immer eine positive Atmosphäre.» Gerade jetzt zu Corona-Zeiten darf man nicht unterschätzen, dass wir für ältere Leute teilweise der einzige Ausgang sind, den sie noch haben. Deshalb möchten wir ihnen die Zeit, die wir gemeinsam verbringen, so angenehm wie möglich gestalten.

Gibt es inzwischen mehr Männer im Coiffeurberuf?
Leider nein, unser Beruf ist immer noch eine Frauendomäne. Schweizweit gibt es kaum fünf Prozent männliche Lehrlinge. Und wenn sich Männer bewerben, dann Ausländer: Italiener, Türken. Das ist wohl kulturell bedingt. Wir selbst haben bereits 35 Lehrlinge erfolgreich ausgebildet – alle Frauen! Die Starcoiffeure dieser Welt sind dann aber wieder eher Männer: zum Beispiel Maurice Franck, Jean Louis David, Alexandre de Paris und vor allem Vidal Sassoon,der den geometrischen Haarschnitt lanciert hat. Das war damals revolutionär!


DIE FRISUREN

Sie leiten Ihren Salon Intercoiffure Marti bereits seit Oktober 1980. Was hat sich in den 40 Jahren bezüglich der Frisurenmode geändert?
In den Achtzigerjahren war die Tendenz bekanntermassen hinten lang, vorne kurz. Auch die Dauerwelle war sehr en vogue. In Spitzenmonaten haben wir bis zu 60 Dauerwellen gelegt! Zum Vergleich: Heute sind es höchstens zwei bis drei im Monat. Dafür waren damals Färben und Mèches keine grossen Themen. Heute dagegen wollen 80 bis 90 Prozent der Frauen eine Farbveränderung.

Wie entstehen eigentlich solche Modewellen?
Das hat sich im Lauf der Jahre stark verändert. Früher gab es pro Jahr zwei Modelinien: eine Sommer- und eine Wintermode, streng geheim vom Circle de Haute Coiffure Française in Paris unter Ausschluss der Öffentlichkeit kreiert. Modedirektoren haben die Frisuren mit der Haute-Couturier-Szene in Paris abgestimmt. An einem genau definierten Stichtag wurde die Mode dann freigegeben. Art Directors eines jeden Landes reisten nach Paris, brachten diese Moderichtungen in ihre Länder mit und gaben sie in Fachgruppen und Trainings weiter.

So trugen damals also zum Beispiel alle Frauen Minijupe, unabhängig von ihrem Körperbau, oder sie trugen eben alle «curly». Heute rückblickend würde ich das eher als Katastrophe bezeichnen (schmunzelt).

Und wie ist es heute?
Das Schlagwort heute heisst «personalizing». Sicherlich gibt es immer noch die Modevorgaben aus Paris, aber die Menschen sehen mithilfe der Social Media selbst, was «in» ist und kommen mit bestimmten Vorstellungen zu uns in den Salon. Die Mode ist auch wesentlich breiter gefächert. Für jeden Menschen gibt es eine typgerechte Frisur und wir bemühen uns, diese mit ihm herauszufinden und zu realisieren.


DER SALON

In Ihrem Salon arbeitet ein relativ grosses Team.
Ja, unser Team besteht aktuell aus sieben Mitarbeitern, einschliesslich einer Lehrtochter. Alle sind topmotiviert, setzen unsere Philosophie voll und ganz um und tragen somit viel zum Erfolg bei. In Spitzenzeiten hatten wir drei Lehrlinge, also insgesamt sogar neun Leute im Team. Damit gehören wir zu den 15 Prozent grössten Salons der Schweiz.

Sah der Salon schon immer so aus wie jetzt?
Nein, keineswegs. Der Laden wurde bereits viermal umgebaut, das letzte Mal vor fünf Jahren. Auch hier ändern sich natürlich die Zeiten: Früher waren zum Beispiel Wandbezüge aus Kork, Trennwände und viele Frisurenposter modern. Die niedrige Decke in diesem altehrwürdigen Gebäude war sicher kein Vorteil. Heute versuchen wir, mit einer entsprechenden Beleuchtung, grossen Spiegeln, hellen Wandfarben und ohne Poster den Raum grösser wirken zu lassen.

Am wichtigsten ist mir persönlich im Salon die Sauberkeit. Die Umbauten unterstützen dieses Bild der Hygiene zusätzlich. Denn für Erstkunden entscheiden die ersten Sekunden, der erste Eindruck beim Betreten des Salons.


«GSTAAD SPECIAL»

Intercoiffure ist eine Vereinigung für Salons mit hohem Qualitätsanspruch. Sie zählt 3000 Mitglieder auf fünf Kontinenten und in 55 Ländern, 105 Salons gibt es in der Schweiz. Was ist nun die Besonderheit eines Intercoiffure-Salons in Saanen gegenüber eines anderen in Zürich zum Beispiel?
Saanen scheint gegenüber der Weltstadt Zürich klein, wir in der Destination Gstaad haben im Vergleich zu den grossstädtischen Kollegen aber sicher ein interessanteres Kundensegment. Wir zählen so einige Berühmtheiten zu unseren Kunden. Was uns megastolz macht: Wir bedienen die Prinzessin genauso wie die Raumpflegerin, den Wirtschaftsmilliardär wie den Arbeiter, den Bergbauern wie den Filmstar. Es ist ein Spagat zwischen der intentionalen High-Class-Kundschaft und den ganz normalen Einheimischen. Sie sitzen im Salon nebeneinander und sind es auch gewöhnt nebeneinanderzusitzen. Die Stars schätzen die Diskretion in der Region und bewegen sich relativ frei.

Können Sie Beispiele für prominente Kunden nennen?
Wegen der von allen geschätzten Diskretion eben lieber nicht. Höchstens einige, die leider nicht mehr unter uns weilen: Sean Connery zum Beispiel war unser Kunde oder Gunter Sachs. Gunter Sachs habe ich übrigens sehr geschätzt. In der Presse wurde oft nur sein Lebemann-Lebensstil zur Schau gestellt, dabei war er ein erfolgreicher Fotograf, ein Mathematiker und Wirtschaftswissenschaftler. So durfte ich ihn kennenlernen. Aber prominent oder nicht, jeder Kunde ist ein Star oder – anders gesagt – jeder Kunde ist König und wir bedienen alle mit derselben Passion und Aufmerksamkeit.

Und wie geht das Personal mit der Prominenz um?
Ganz natürlich. Unser Team bestand in all den Jahren meist aus Einheimischen. Denn die meisten Lehrlinge, die wir ausgebildet haben, kamen aus der Region und sind nach Lehrabschluss zum Teil auch bei uns geblieben. Ich bin froh darum, denn für die Einheimischen ist der Kontakt mit dem internationalen Publikum geläufig, sie sind an die Sprachenvielfalt gewöhnt und sprechen daher oft besser Französisch und Englisch als Bewerber aus dem Unterland.

Stolz bin ich auf unsere Lehrlinge übrigens auch deshalb, weil sie beim Fantasiewettbewerb des Hair Events Berner Oberland bereits zehn Mal gewonnen haben. An diesem Wettbewerb können Auszubildende im dritten Lehrjahr aus dem ganzen Oberland – also von Thun, Interlaken usw. – teilnehmen. Da sind schon so einige sehr exklusive Haarkreationen dabei herausgekommen.


WAS IST INTERCOIFFURE?

Intercoiffure ist der grösste private, weltweite Zusammenschluss von Coiffeuren, die sich «Besonderem» verschrieben haben. Kontinuierliche Qualitätskontrollen (Salontests), die durch neutrale Testpersonen durchgeführt werden, garantieren die hohen Standards. Ähnlich wie bei den Lions Clubs oder den Rotariern wird man in die Intercoiffure-Familie berufen. Fortbildungen können in der Zentrale in Paris in verschiedenen Sprachen (auch deutsch) absolviert werden. Alle vier Jahre veranstaltet Intercoiffure einen Weltkongress mit Starfriseuren und Topmodels, wo sich die Mitglieder Inspirationen holen können. Im Rahmen des Projekts «education for life» unterstützt Intercoiffure junge Leute, die nicht auf der Sonnenseite des Lebens stehen. So wurden beispielsweise sechs Schulen in Brasilien, Herzegowina und Südafrika gegründet, wo jungen Frauen aus dem Drogenoder Prostitutionsmilieu durch finanzielle Mittel und qualifiziertes Training eine Perspektive für ihre Zukunft gegeben wird.


HEINZ MARTI UND INTERCOIFFURE

Heinz Marti engagiert sich in allen Intercoiffure-Belangen: Er ermöglicht seinem Team Fortbildungen in Paris, unterstützt «education for life» und nimmt an den Weltkongressen, an Intercoiffure-Fachveranstaltungen sowie an den zweijährlich stattfindenden Salontests zur Qualitätskontrolle teil. Am Salontest 2020 hat Intercoiffure Marti Saanen mit drei weiteren Coiffuregeschäften – alle aus dem Raum Zürich – mit der Bestpunktzahl von 250 Punkten abgeschnitten.


Frisuren im Wandel der Zeit! Haben Sie zu Hause Fotos mit Alltagsfrisuren aus vergangenen Jahrzehnten? Frisuren, die damals topmodern waren, die Sie aber heute nicht mehr tragen würden? Dann senden Sie uns gerne Ihre Fotos an [email protected] oder bringen Sie sie vorbei!


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