Gelebte Begeisterung

  12.01.2021 Porträt

Mit ihren zwölf Jahren zeigt Lynn Hefti für sehr vieles Begeisterung – und dies nicht immer für Bereiche, die man erwarten würde. Genug gruslig kann es ihr zum Beispiel nie sein.

NADINE HAGER
Lynn Hefti empfängt mich allein an einem ihrer schulfreien Nachmittage bei sich zu Hause in Schönried und mustert mich etwas unsicher. «Nervös?», frage ich sie. «Ja, schon.» Sie lächelt. Mit einem Glas Wasser am Esstisch des grossräumigen Wohnzimmers löst sich die Anspannung jedoch bald in Luft auf und macht Lynns Begeisterung Platz. «Ich reite, tauche, schreibe, fahre Ski und treffe mich gerne mit meinen beiden Freundinnen», erklärt die 12-Jährige kurz und knapp, während sie beide Hände an ihr Trinkglas legt. «Letzten Sommer habe ich mein zweites Tauchbrevet gemacht und vor Kurzem habe ich die erste Reitprüfung geschafft.»

Während sie weiterfährt und mir erzählt, dass sie sowohl die Grundlagen des Dressur- als auch des Springreitens lernen werde, komme ich für mich zum Schluss, dass das Reiten perfekt zu Lynn passt – allein ihre beiden, eng geflochtenen Zöpfe, die sich von der Stirn bis in den Nacken ziehen, erwecken für mich den Eindruck, dass sie sich jederzeit auf einen Pferderücken schwingen und hinfort galoppieren könnte. Abwegig ist das nicht: Sie zählt bereits vier Jahre Reiterfahrung. «Ich habe immer viele Geschichten gelesen, in denen das Reiten eine Rolle spielte, deshalb wollte ich es selbst versuchen», erklärt sie.

Ich nicke. Und was hat es mit dem Tauchen auf sich? Lynn rutscht auf ihrem Stuhl in eine bequemere Position. «Ich besuche die Tauchschule im Freibad Saanen. In einem See in Frankreich war ich auch schon mal!» Sie grinst verlegen. «Oder nein, wahrscheinlich war das in der französischen Schweiz. Ich habe keine Ahnung.» Auch in anderen Seen sei sie bereits getaucht, wenngleich sie sich nicht an deren Namen erinnern könne – nicht so beim Thunersee. Bei diesem Stichwort beginnt sie, von dessen schönen Schwefelquellen zu schwärmen. Von dieser Vorstellung lässt sich die Zwölfjährige forttragen und malt ein Bild von der Ruhe unter Wasser mit unzähligen Fischen. «Ich möchte unbedingt einmal in einem Meer tauchen gehen, um Korallenriffe zu sehen.» Dann erklärt mir Lynn, dass sie durch ein Hörspiel der drei Fragezeichen – eines fiktiven Detektivtrios aus Kalifornien – auf dieses Hobby gestossen ist. Beinahe falle ich ihr als grosser Fan dieser Hörspiele um den Hals. Wir verwickeln uns in eine lebhafte Diskussion und können uns vor Begeisterung kaum retten – doch Lynn ist sogar mir als Riesenfan voraus. Sie kennt bereits jedes Einzelne der rund 200 Hörspiele.

Es dauert eine Weile, bis wir unser Gespräch fortsetzen können, wo wir stehen geblieben waren: bei den Hobbys.  «Du schreibst schon fleissig in deiner Freizeit», stelle ich fest.
Schnell relativiert Lynn meine Aussage. «Mit acht oder neun Jahren habe ich aber nur kurze Texte geschrieben und die ergaben nicht wirklich Sinn. Jetzt schreibe ich eher gruslige und unheimliche Dinge», meint sie geheimnisvoll lächelnd. Sie schaut auf die Tischplatte und sucht nach einer Erklärung für ihren Stil, der zu makaberen Morden statt zu rosa Liebes- und Pferdegeschichten tendiert. Sie greife oft zu einem Krimi, den ihre Mutter habe lesen wollen und mache einen weiten Bogen um Bücher für Zwölfjährige, erklärt sie mir schliesslich. Schreiben würde sie Krimis jedoch eher selten, sondern habe stattdessen einige Fantasy-Romane begonnen. Lynn beugt sich etwas zu mir, ihre Augen strahlen. Sie erzählt mir von Vampiren, selbst erfundenen Monstern und dunklen Kräften, die sie in ihren Texten zum Leben erweckt – ich hänge gebannt an ihren Lippen. «Ich habe kein fertiges Buch, sondern sehr viele Projekte begonnen und dann ab einem gewissen Punkt wieder gestoppt. Die Mitte zu schreiben, muss ich noch lernen», stellt sie fest. Was nicht ist, wird sicher noch werden, geht es mir durch den Kopf.

Ich will von ihr wissen, ob sie sich vorstellen könnte, das Schreiben zu ihrem Beruf zu machen. Ihr «Ja» kommt wie aus der Pistole geschossen. «Schriftstellerin, Regisseurin oder Schauspielerin, das kann ich mir sehr gut vorstellen!» Im nächsten Atemzug erklärt sie mir, wie sehr sie Filme begeistern. Sie zählt reihenweise Filme und Schauspieler auf, die ihr gefallen. Ich nicke immer wieder aufmerksam – doch Lynn durchschaut meine wissende Tarnung sofort. «Du bist überfordert, oder?» Sie fixiert mich halb amüsiert und halb kritisch. Nach einem Moment der Perplexität wegen dieser Direktheit breche ich in Gelächter aus und gebe ihr recht. «Ich kenne keinen einzigen deiner Schauspieler, die du genannt hast, weil ich absolut keine Ahnung von Filmen habe», gebe ich bereitwillig zu. Ebenfalls lachend winkt Lynn ab und erklärt sich mit einem Schmunzeln: «Du musst wissen, ich bin eine sehr ehrliche Person. Und manchmal bin ich sehr direkt: Wenn mich zum Beispiel jemand fragt, ob mir der Pullover gefällt, dann sage ich auch gerade heraus, wenn dem nicht so ist.» Sie fixiert mich mit ihrem Blick. «Ausserdem bin ich von meinem Standpunkt überzeugt, bis er eindeutig widerlegt ist – selbst wenn im Mathematikunterricht alle ein anderes Resultat haben als ich, bleibe ich dabei, bis ich den Lösungsweg sehe.» Ich freue mich über das Selbstbewusstsein dieser jungen Person und mache kein Hehl daraus. Lynn lacht und sagt: «Ich habe meine Meinung und sage sie halt auch – das bin nun einmal ich.»
Wovon träumen die jungen Menschen des Saanenlandes und wie gestalten sie ihr Leben? Die Serie «Jung und ...?» gibt ihnen eine Stimme. Die Porträtierten wählen selbst eine Nachfolgerin oder einen Nachfolger. Lynn Hefti hat als Nächstes Nils Romang nominiert.


ZUR PERSON

Lynn Hefti ist zwölf Jahre alt und gemeinsam mit ihrer 14-jährigen Schwester in Schönried aufgewachsen. Sie begeistert sich nicht nur für ihre Hobbys, sondern auch für die Schauspiel- und Filmkunst sowie für Bücher. Lynn kann sich gut vorstellen, entweder Schriftstellerin, Regisseurin oder Schauspielerin zu werden.

 


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