Klage gegen Le Grand Bellevue abgewiesen

  22.01.2021 Gstaad

Der Fall, der mit dem Titel «Die bestohlene reiche Deutsche in der Gstaader Glitzerwelt» durch die Boulevardmedien gegangen war, kam anfangs Woche vor Gericht. Die Anschuldigungen der deutschen Geschäftsfrau Adriana von Baillou erwiesen sich als haltlos, ihre Klage gegen das Le Grand Bellevue Gstaad wurde weitgehend abgewiesen.

KEREM MAURER
Am Ende eines zähen Verhandlungstages am Regionalgericht Thun fasste die Gerichtspräsidentin die Fakten zusammen: Die Klägerin Adriana von Baillou aus Köln logierte vom 19. bis 21. August 2016 im Le Grand Bellevue Gstaad. Während eines Aufenthaltes am 20. August im Spa des beklagten Hotels – sie hatte ihren Zimmerschlüssel an der Réception des Spas hinterlegt – wurde aus einem Schrank in ihrem Zimmer, nicht aus dem Safe, Modeschmuck im Wert von (angenommenen) 6200 Franken gestohlen. Der genaue Betrag konnte bis heute nicht eruiert werden. Der Täter, Mohamed E. H., ein in Marseille wohnhafter Franzose tunesischer Herkunft, war offenbar in den letzten Jahren bereits mehrfach als Einschleichdieb in verschiedenen Gstaader Hotels in Aktion getreten. Schliesslich wurde er 2017 in Gstaad angehalten. Obschon er die ihm zur Last gelegten Taten nie gestanden hatte, wurde er zur Bezahlung einer Busse verurteilt. Adriana von Baillous Forderungen an den Täter wurden auf den Zivilweg verwiesen.

Zimmertüre war nicht abgeschlossen
In der Folge forderte die deutsche Geschäftsfrau von der Le Grand Bellevue SA die Summe von insgesamt 19’800 Franken auf dem rechtlichen Weg ein. Das Gstaader Nobelhotel wehrte sich gegen diese plötzlich viel höhere Forderung und bot der Klägerin einen Vergleichsvorschlag in der Höhe von 2000 Franken an. Dieser wurde von der Klä- gerin ausgeschlagen. Bei der Hauptverhandlung Anfang der Woche ging es darum, wem eine fahrlässige Nachlässigkeit nachzuweisen war, aufgrund derer sich der Dieb Zugang zu Zimmer 106, in dem Adriana von Baillou logierte, verschaffen und die Klägerin bestehlen konnte. Fakt ist, dass die entsprechende Zimmertüre keine Einbruchspuren aufwies. Die Klägerin bezeichnete sich selber als «nahezu paranoid», weil sie als Einwohnerin einer deutschen Grossstadt immer mehrmals kontrolliere, ob sie ihre Haustüre nach Verlassen ihres Hauses auch wirklich abgeschlossen hat. Mit diesem Verhalten, dass sie auch in den Ferien nicht ablegen könne, wollte sie glaubhaft machen, ihr Hotelzimmer abgeschlossen zu haben. Dem widersprach allerdings die Auslesung des elektronischen Schliesssystems des Hotel, wie ein Zeuge, der während der fraglichen Zeit als Vizedirektor im Le Grand Bellevue arbeitete, glaubhaft darlegte. Obschon das defekte Display des Auslesegerätes aufgrund von Pixelfehlern das Datum der aufgezeichneten Daten nicht anzeigen konnte, überzeugte dieser Zeuge das Gericht, die Daten für den fraglichen Zeitraum zweifelsfrei ausgelesen zu haben. Die Vorsitzende sah es letztlich als erwiesen an, dass die Klägerin es versäumt hatte, ihr Hotelzimmer während ihres Spa-Besuches abzuschliessen.

Keine Komplizin im Hotel
Folglich gab es für die Gerichtspräsidentin auch keine Komplizin im Hotel, wie es der Anwalt der Klägerin darstellte. Diese Komplizin hätte an der Réception des Spas gearbeitet, der Klägerin während ihres Spa-Besuches den Schlüssel abgenommen und ihn dem Täter zur Verfügung gestellt. Gegen eine solche Komplizenschaft sprach nicht zuletzt auch das mittlerweile bekannte Vorgehen des Täters. Videoaufnahmen eines anderen Hotels zeigten, wie Mohamed E. H. als grossgewachsene, schlanke, adrett gekleidete Erscheinung, die im Umfeld eines 5-Sterne-Hotels äusserlich kaum auffiel, auf den Zimmeretagen von Tür zu Tür schlich und Klinken drückte, in der Hoffnung, eine offene Türe vorzufinden. Demnach sah es das Gericht als erwiesen an, dass der Täter alleine arbeitete und als klassischer Einschleichdieb einen Teil seines Einkommens – gemäss Polizeibericht arbeitet er als Koch in Südfrankreich und hat drei Kinder – bestritt.

Unplausible Wertsteigerung
Ursprünglich machte die Klägerin bei der Polizei einen Schaden in der Höhe von 6200 Franken geltend. Im Lauf der Zeit vervielfachte sich die Schadenssumme infolge einer «wachsenden Erinnerung an weggekommene Schmuckstücke», wie sie sich ausdrückte auf über 19’000 Franken. Diese Wertsteigerung war für das Gericht nicht nachvollziehbar und weckte den Verdacht, die Klägerin möchte sich an der Sache bereichern. «Ich musste doch das Hotel verklagen, denn bei dem Koch ist ja nichts zu holen», betonte Adriana von Baillou. Sie berief sich dabei auf den Beherbergungsvertrag, den sie schliesslich mit dem Hotel und nicht mit dem Täter abgeschlossen habe und der ihre Person und ihr Hab und Gut während eines Hotelaufenthaltes vor Ungemach schützen sollte.

Klage wurde abgewiesen
Das definitive Urteil steht zwar noch aus, doch die Gerichtspräsidentin gab vorab eine mündliche Erklärung ab, wie das Urteil, welches bis Ende der Woche den Parteien schriftlich eröffnet wird, zu verstehen ist. Auch sie stützt sich auf den Beherbergungsvertrag nach Obligationenrecht Artikel 487, wonach sich eine Haftpflicht eines Hoteliers gegenüber seinen Gästen ergibt. Dieser Artikel statuiert eine Kausalhaftung des Gastwirtes für die eingebrachten Sachen des Gastes von maximal 1000 Franken. In welcher Form diese Forderung zur Geltung kommt ist allerdings noch unklar, da die Forderung in Euro besteht und die Kausalhaftung in Schweizer Franken ausgedrückt ist. Alle anderen Punkte der Klage wurden abgewiesen. Dazu die Klägerin direkt nach der Verhandlung: «Ich bin masslos enttäuscht.» Im Zentrum ihres Ärgers steht das defekte Display des Auslesegerätes, auf welchem das Datum der Schlüsselbewegungen nicht angezeigt werden konnte. Sie will sich genau überlegen, ob sie in Berufung gehen und das Urteil an das Obergericht weiterziehen soll.

Wermutstropfen trotz gewonnenem Prozess
Für Daniel Koetser, Verwaltungsratspräsident der Grand Bellevue Gstaad SA, bleibt trotz allem ein Wermutstropfen, denn für ihn ist Adriana von Baillou ein geschätzter Hotelgast, wie jeder andere auch. Er bedauert die Vorkommnisse sehr und sagte nach der Verhandlung: «Wenn ein Gast unzufrieden ist, sind wir nicht glücklich.» Eine gewisse Genugtuung mag für ihn darin liegen, dass seinem Hotel in Sachen Sicherheitsdispositiv keinen Vorwurf gemacht werden kann. Koetser: «Natürlich schauen wir jeden Tag, was wir zum Wohle und zur Sicherheit unserer Gäste stetig verbessern können.» Und letztlich ging es ihm um ein Prinzip, nicht um Geld: Es soll nicht einfach möglich sein, ein Hotel aufgrund von persönlichem Unmut auf die Rückzahlung von Geldern zu verklagen. Ebenso stört er sich an der Unterstellung, seine Mitarbeitenden seien nicht vertrauenswürdig. Die Mitarbeiterin, die in das Fadenkreuz des Anwaltes der Klägerin geriet, habe vor dem Vorfall schon im Hotel gearbeitet und arbeite heute noch dort. Koetser versichert, sie sei wie alle anderen seiner Crew zuverlässig und vertrauenswürdig.


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