«Der Bundesrat soll im Moment in der Kantine essen!»

  09.02.2021 Interview, Hotellerie / Gastronomie

Kurt Mösching ging in Schönried zur Schule, kickte beim FC Sarina und trug Milch aus. Nach der Kochlehre zog es in fort. Seit über zwanzig Jahren lebt er im Seeland, wo er gemeinsam mit seiner Frau Iris die «Sonne» in Scheunenberg führt. Im Interview sagt er, dass die Spitzenküche interessanter geworden ist und weshalb er für den Bundesrat keine Schildkrötensuppe kochen würde.

BLANCA BURRI

Herr Mösching, Sie sind in der Molkerei in Schönried aufgewachsen. Haben Sie Ihren Eltern oft geholfen?
Ja, daran kann ich mich gut erinnern. Ich habe oft die Produkte im Laden aufgefüllt. Am Sonntagabend füllte ich regelmässig Nidle ab und bereitete die Bestellungen der Hoteliers vor. Manchmal war ich auch bei der Milchauslieferung dabei. Wir füllten die Milch in kleine Milchkannen bei den sogenannten Milchhüsli und trugen die Menge ins Milchbüechli ein.

Woran erinnern Sie sich, wenn Sie an die Lehre im Hotel Alpin Nova zurückdenken?
Damals war das Alpin Nova ein sehr gutes Viersternehotel. Es ergänzte das Angebot im Dorf. Bereits vor der Lehre durfte ich im Alpin Nova schnuppern und dann blieb ich grad den ganzen Sommer über und half aus. Ich hatte einen sehr guten Chef. Er hat mir am Wochenende immer freigegeben. Seine Begründung lautete: «Nach der Lehre wirst du am Wochenende nie mehr frei haben.»

Weshalb haben Sie das Saanenland verlassen?
Ich bin nicht gerne gegangen, aber ich wollte mein eigener Herr und Meister sein. Und da es im Saanenland sehr schwierig war – und immer noch ist –, einen eigenen Betrieb zu kaufen, suchte ich nach Alternativen. Das hat sich für mich gelohnt. Die «Sonne» in Scheunenberg war schon immer eine gute Adresse, wo Bundesräte dinierten. Die «Sonne» ist geschichtsträchtig und einzigartig. Sie ist der schönste Betrieb im Seeland!

Was sind die Vorteile des Seelandes?
Das Simmental rauf- und runterzufahren vermisse ich nicht! (lacht) Es ist halt schon schön, an einem Ort zu leben, wo man schnell in anderen Ortschaften ist. Biel, Bern und Solothurn sind nah. Gerade fürs Einkaufen ist das praktisch. Immer ein wenig schmunzeln muss ich, wenn mich meine Familie und Verwandten aus dem Saanenland besuchen. Ich finde es amüsant, wenn sie am Abend unbedingt wieder im eigenen Bett schlafen müssen und nicht bei uns übernachten möchten. Als ob in Spiez zu einer gewissen Uhrzeit eine Barriere geschlossen würde. Fairerweise muss ich sagen, dass es diese tiefe Verbundenheit zum Wohnort nicht nur im Saanenland gibt.

Vor bald 21 Jahren haben Sie die das Restaurant Sonne in Scheunenberg gekauft. Fühlen Sie sich als Einheimischer?
Das kann man so sagen. Ich fühle mich hier sehr wohl und habe einen Freundeskreis. Trotzdem bin ich mit dem Saanenland noch immer verbunden. Lassen Sie mich den Grund erklären: Unsere Gäste kommen aus Bern, Solothurn, Biel und sogar aus Zürich. Nicht wenige von ihnen besitzen ein Chalet im Saanenland und sind dadurch am täglichen Geschehen sehr interessiert. Dadurch unterhalten wir uns oft über meine alte Heimat. Obwohl ich nicht mehr oft im Saanenland weile, bin ich also immer im Bild. Wenn ich zwischendurch hochfahre, dann durchs Simmental. Zurück gehts dann meistens über das Pays-d’Enhaut. Das erinnert mich an meine Zeit in Château-d’Oex, wo ich ein Jahr lang zur Schule ging. Eine Lehrerin, die damals frisch an der Schule begonnen hatte und heute noch dort unterrichtet, war letzthin Gast in der «Sonne». Die Welt ist einfach klein.

Wie hat sich die Spitzenküche verändert?
Früher gab es einen einzigen besten Koch in der Schweiz. Das war Frédy Girardet in Crissier. Heute gibt es sehr viele sehr gute Restaurants mit spannenden Menüs, wo der Chef seine eigene Handschrift hinterlässt. Die Küche ist internationaler, interessanter und diverser geworden. Zurück zu Girardet: Er war mit dem Saanenland sehr verbunden und hatte dort ein Chalet. Ich hatte die Gelegenheit, einmal in Crissier zu essen. Das war einmalig. Er servierte einen intensiv rosafarbenen Lachs, der ganz sanft gegart und dadurch glasig war. Er lag auf einem knallgrünen Lauchbett. Garniert war das Menü mit frittiertem knusprigem Lauch. Girardet war seiner Zeit weit voraus. Manchmal muss man einen Bogen schlagen, zum Beispiel über die Molekularküche, um zum Essenziellen zurückzufinden.

Konnten Sie Ihrem Stil immer treu bleiben?
(Lacht) Zuerst musste ich mal meinen Stil finden!

Und? Haben Sie das?
Ja. Er basiert auf der klassischen französischen Küche. Ich ersetze die schweren Komponenten aber fast durchwegs mit leichten Varianten und lasse mich immer wieder von der japanischen Küche inspirieren. Frisch und leicht sollen die Gerichte sein und womöglich bio. Aber fast wichtiger ist mir, dass die Konstanz stimmt, damit der Gast immer dieselbe Qualität erhält. Das ist eine echte Challenge, denn wir alle wissen, wie schwer es ist, Gastronomiemitarbeitende zu finden.

Welche Gerichte können Sie nicht mehr von der Karte nehmen?
Ich möchte niemals etwas kochen, das mir verleidet. Deshalb wechseln bei mir die Menüs regelmässig. Die Ausnahme bestätigt die Regel: «Friedis Schokoladenmousse» ist ein Klassiker, der immer auf der Karte bleibt. Sie ist meiner Mutter gewidmet, die leider kurz vor der Eröffnung des Restaurants verstorben ist. Wir servieren die Mousse in einem kleinen Milchkännli.

Was würden Sie nie kochen, auch wenn es der Bundesrat bestellen würde?
Also der Bundesrat soll im Moment in der Kantine essen! Die Pandemie ist für uns Gastronomen extrem schwierig zu meistern. Aber das beantwortet Ihre Frage ja nicht. Also wahrscheinlich Schildkrötensuppe oder so etwas, denn jedes Tier, dessen Fleisch auf dem Teller liegt, musste vorher einmal getötet werden. Deshalb ist es mir wichtig, dass dies ethisch vertretbar ist. Mir liegt aber auch die Tierhaltung am Herzen. Mich stimmt jedoch nachdenklich, dass sich nicht jeder Haushalt einheimisches Fleisch leisten kann. Ich glaube, das liegt daran, dass sich die Prioritäten verschoben haben. Heute gibt man sehr wenig Geld für Nahrung aus, dafür mehr für elektronische Geräte und so weiter.

Nachhaltigkeit scheint Ihnen ein Anliegen zu sein …
Ja, unbedingt. Ich verstehe nicht, weshalb beim Verkauf der Produkte so viel Plastik zum Einsatz kommt. Ich gehe viel lieber zum Biobauern in meiner Nähe und suche mir das Gemüse aus. Der Geschmack ist ganz anders als beim konventionellen Gemüse. Letzthin habe ich Krautstiele gekauft, die schmeckten so intensiv, fast süsslich.

An welchem ungewöhnlichen Ort haben Sie schon einmal gekocht?
Bei dieser Frage kann ich nicht mithalten, denn ich habe mich immer auf die «Sonne» konzentriert. Ich habe das Glück, dass die Gäste zu mir kommen und nicht umgekehrt. Einmal zum Beispiel flog der Kronprinz von Dänemark – das Heimatland meiner Frau – für ein Mittagessen extra in die Schweiz. Statt Häppchen habe ich ihm Hobelkäse und Zopf zum Aperitif serviert. Ich war überrascht, dass er das gekannt hat. Er erzählte mir, dass seine Tante in Rougemont lebe …

Ihre beiden Kinder sind Schreiner und Zimmermann. Sind Sie enttäuscht, dass sie das Geschäft nicht übernehmen?
Meine beiden Buben sind 17 und 19 Jahre alt. Es ist absolut in Ordnung, dass sie ihren eigenen Weg gehen. Sie haben zu oft erlebt, wie wenig Zeit wir für sie hatten. Wichtig ist, dass sie mit Begeisterung bei ihrem Beruf sind, dass sie dafür eine Passion entwickeln.

Wo sehen Sie sich in zehn Jahren?
Dann werde ich kurz vor der Pension stehen. Ich sehe mich noch in der «Sonne» am Herd, aber wohl kurz vor dem dritten Lebensabschnitt. Die «Sonne» ist unser Zuhause, hier möchte ich bleiben und kochen ist ein Teil von mir. Gleichzeitig möchte ich den Absprung nicht verpassen. Ich möchte einen anderen Weg gehen als mein Onkel, der das Restaurant Rinderberg bis 84 betrieben hat. Das war fast wie ein betreutes Wohnen. All seine Kollegen kamen zu ihm, zum Jassen, zum Dorfen …

Wenn Sie einen Wunsch frei hätten …
… dann würde ich mir wünschen, dass die Restaurants wieder öffnen dürfen. Die ganze Gastronomie geht vor den Hund. Beim ersten Lockdown war die Solidarität grösser als heute. Mehr Leute haben unser Take-away-Angebot genutzt. Zudem ist der Winter für unser Restaurant sowieso eher ruhig.


ZUR PERSON

Kurt Mösching (52 Jahre) ist in Schönried aufgewachsen. Seine Eltern Friedi und Alfred Mösching führten 37 Jahre lang die dortige Molkerei. Nach der obligatorischen Schulzeit absolvierte er die Lehre als Koch im Hotel Alpin Nova in Schönried. Durch einen Berufskollegen, der einen Moment lang in der Chesery in Gstaad gearbeitet hatte, wurde er auf die Spitzenküche aufmerksam, weshalb er sich nach der Lehre im «Paradies» in Ftan bei Spitzenkoch Roland Jöhri bewarb und die Stelle als Commis de Cuisine erhielt. Nach den sogenannten Lehr- und Wanderjahren im In- und Ausland kaufte Kurt Mösching mit seiner Frau Iris die «Sonne» in Scheunenberg im Seeland. Kurt Möschings Küche ist mit einem Michelin-Stern und 17 GaultMillau-Punkten gelistet. Das Ehepaar Mösching hat zwei erwachsene Kinder.

 


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