Das Silbergeschirr loslassen

  12.02.2021 Gstaad, Interview, Hotellerie / Gastronomie

Im Dezember 2020 ging für das Hotel Christiania eine Ära zu Ende. Nach über vierzig Jahren im Dienste von Generationen von Gästen verkaufen Isabelle und Nagy Geadah-Nopper den Betrieb und ziehen sich zurück. Das Hotel wird abgerissen und neu aufgebaut. Isabelle (IG) und Nagy Geadah (NG) sprechen über die Höhen und Tiefen eines Familienhotels in Gstaad, ihre schönsten Erinnerungen und Pläne für die Zukunft.

Isabelle Geadah, Sie sind im Hotel Christiania aufgewachsen. War es schon immer Ihr Plan, in Gstaad zu bleiben?
Ich wusste immer, dass ich im Gastgewerbe arbeiten möchte, aber nicht, dass ich mein Leben in Gstaad verbringen würde! Ich absolvierte eine Ausbildung in einem Fünfsternehotel in Zürich, als meine Mutter das Christiania umbaute. Zur Eröffnung am 21. Dezember 1978 fuhr ich nach Hause, um eine Weile mitzuhelfen, aber zu diesem Zeitpunkt war ich sicher nicht daran interessiert, mein Leben in Gstaad zu verbringen. Im darauffolgenden Jahr lernte ich meinen Mann kennen. Nachdem wir gemeinsam in den USA gearbeitet hatten, kehrten wir für die Arbeitssuche nach Gstaad zurück. Es war nicht unser Plan, hier zu bleiben – aber das haben wir dann doch getan. Am Ende war es eine gute Entscheidung, weil wir unsere Kinder in einer sicheren und gesunden Umgebung aufziehen konnten.

Als Familienhotel waren Sie das Gesicht des Unternehmens und gleichzeitig für alle Aspekte des Managements verantwortlich. Wie ist es, rund um die Uhr mit dem Ehepartner zusammenzuarbeiten?
NG:
Es hilft, wenn man eine klare Aufgabenteilung hat. Isabelle war hauptsächlich für alles verantwortlich, was hinter den Kulissen passierte, einschliesslich der Küche, des Einkaufs, der Personalpläne, des Housekeepings und der gesamten Korrespondenz in deutscher Sprache. Ich kümmerte mich um den Frontoffice-Bereich, das Restaurant und die Récéption sowie die gesamte Administration in Französisch und Englisch. Wir trafen viele gemeinsame Entscheidungen. Während der Schulferien halfen auch unsere drei Kinder.
IG: Ein Hotel zu führen ist der beste und schwierigste Mix, den man sich in einer Ehe vorstellen kann. Der Druck und die Erwartungen von Gästen, Mitarbeitenden, Freunden und Familie, ganz zu schweigen vom Umgang mit den Gesetzen und Vorschriften der Politik, können enorm sein.

Sie haben drei Kinder grossgezogen, während Sie das Hotel führten …
IG:
Wir haben unser Bestes gegeben, auch wenn es Zeiten gab, in denen wir erklären mussten, warum wir nicht so viel Zeit zur Verfügung hatten. Das Gleichgewicht haben wir in den Ferien wieder hergestellt, als die Kinder immer an erster Stelle standen.
NG: Wir hatten auch Unterstützung von unseren Familien, vor allem von unseren Müttern, die uns bei der Kinderbetreuung sehr unterstützt haben. Sie waren zur Stelle, wenn es ums Babysitten und um die Schulhausaufgaben, aber auch um Klavier-, Gitarren-, Ski-, Tennis- und Karateunterricht ging. Frau Nopper, meine Schwiegermutter, nahm die Kinder auch zum Schlittschuhlaufen und Schwimmen mit.

Was sind die wichtigsten Veränderungen, die Sie im Laufe der Jahre erlebt haben?
IG:
Das Aussehen des Dorfes hat sich durch die vielen Bauarbeiten stark verändert. Uns betraf vor allem der Bau des Chalets Zentrum um 1992 hinter dem Christiania. Vorher hatten wir mehr Sonne und ein Gefühl von «Natur» auf der Rückseite des Hotels, was unseren Zimmern und Suiten eine bessere Aussicht bescherte. Danach mussten wir fast von vorne beginnen und uns ein neues Kundensegment erschliessen.
NG: Im Laufe der Jahre gab es viele Veränderungen, vor allem in Bezug auf die Bauweise. In Gstaad gibt es inzwischen einige Fünfsternehotels, zahlreiche neue Chalets und Apartments, zwei grosse Supermärkte und keine kostenlosen Parkplätze mehr. Die bedeutendsten Veränderungen waren jedoch, als die Promenade von Gstaad zur Fussgängerzone wurde. Durch die Fussgängerzone wirkte das Dorf besonders während der Mittel- und Nebensaison etwas weniger belebt als früher. Auch die Schliessung des Spitals Saanen war prägnant.

Was waren die besten Aspekte, ein Hotel zu führen?
IG:
Dadurch, dass man nicht von neun bis fünf arbeitet, ist man immer – auf eine gewisse Art und Weise – mit Familie, Freunden und Gästen zusammen. Es war nie langweilig
NG: Es war eine Freude, zufriedene Gäste zu haben und zu sehen, wie sie das Christiania regelmässig besuchten. Wir bauten dadurch enge Freundschaften auf. Manche Gäste kennen wir seit 20, 30 oder sogar 40 Jahren.

Was waren die herausforderndsten Situationen, die Sie zu bewältigen hatten?
IG:
Ein Team zu managen, um das beste Gästeerlebnis zu bieten, ist nicht einfach. Zum Beispiel der Umgang mit Löhnen, Arbeitszeiten. Oder die Planung der Dienstpläne sowie die Motivation des Teams. Eine der grössten Herausforderungen ist jedoch die Einhaltung der vielen, sich ständig ändernden Gesetze und Standards. Es ist schwierig und teuer, in einem kleinen familiengeführten Hotel mit all den neuen Anforderungen Schritt zu halten.
NG: Durch die Regulierungen gibt es unnützen Verwaltungsaufwand und widersprüchliche Anforderungen. Wir haben zum Beispiel Sicherheitsketten an all unseren Zimmertüren angebracht, was uns einen Extrapunkt für die Viersternehotel-Bewertung einbrachte, aber als wir eine Brandkontrolle hatten, verlangten sie von uns, die Sicherheitsketten zu entfernen, weil ein in Panik geratener Gast im Brandfall viel länger braucht, um seine Zimmertür zu entriegeln.

Wie schwer ist es, sich vom Hotel Christiania zu lösen?
IG:
Es war nicht schwer, denn wir waren gut vorbereitet. Wir haben in den vergangenen Jahren verschiedene Optionen diskutiert und waren froh, dass wir eine Lösung gefunden haben, die funktioniert. Das neue Hotel ist ein wunderbares Projekt und wird eine grosse Bereicherung für Gstaad sein.

Welchen Rat würden Sie einem jungen Paar geben, das ein Hotel übernehmen möchte?
IG:
Leider würde ich davon abraten, denn das Privatleben geht verloren, wenn man ein kleines Hotel betreibt.
NG: Halten Sie es klein, gemütlich und einfach mit gutem Essen und freundlichem, lächelndem Service!

Was hält die Zukunft für Sie bereit?
IG:
Jetzt haben wir ein Privatleben – Zeit für uns als Paar und für uns beide als Individuen. Ich möchte einfach jeden Moment unseres Lebens geniessen.
NG: Auf unsere beiden Enkel aufpassen und reisen, wenn die Coronavirus-Krise vorbei ist.
AUS GSTAAD LIFE/ ANNA CHARLES/ ÜBERSETZT VON AVS


ERST MOLKEREI, DANN HOTEL

An der Stelle, an der sich das Hotel Christiania befindet, wurde 1914 ein Gebäude errichtet. Zunächst wurde es als Molkerei, dann als Kurzwarenhandlung und schliesslich bis 1947 als Gästehaus genutzt. Sechs Jahre später kaufte es Friedrich Karl Nopper, Isabelle Geadahs Vater. Er baute es zu einem Hotel mit dem Namen Christiania um. Zunächst wurde es als erstes Bed&Breakfast-Hotel in Gstaad betrieben. 1978 liess Liselotte Nopper, inzwischen verwitwet, das Hotel im traditionellen Chaletstil umbauen und erweiterte es von 10 auf 38 Betten. Ein Restaurant wurde angebaut und das Christiania wurde zum kleinsten 4-Sterne-Hotel in Gstaad. Liselotte führte das Hotel zusammen mit Isabelle und Schwiegersohn Nagy bis zu ihrer Pensionierung im Jahr 2001, danach haben Isabelle und Nagy die volle Verantwortung für den Betrieb übernommen. Geht alles nach Plan, wird das Hotel nun abgebrochen und durch einen Neubau ersetzt. Neue Besitzerin ist die InterGlobe Enterprises (Switzerland) AG.


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