Stimmrecht für Saanerinnen noch vor nationalem Entscheid

  05.02.2021 Saanenland, Politik

Fast auf den Tag vor 50 Jahren stimmte das Schweizer Stimmvolk, bis dahin nur aus Männern bestehend, für das Frauenstimmrecht. Die Bürger im Saanenland gestanden ihren Frauen schon über ein Jahr früher das Stimmrecht zu, wenn auch nur auf kommunaler Ebene.

JENNY STERCHI
Es war ein langer Weg für die Schweizer Frauen, um zu ihrem Recht, politisch mitzuentscheiden, zu gelangen.

Schweiz weit hinten
Weltweit erteilten viele Länder bereits in der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts ihren Bürgerinnen das Wahlund Abstimmungsrecht. Neuseeland leistete Pionierarbeit und liess die Frauen des Landes ab 1893 aktiv an Wahlen teilnehmen. Auch in Finnland haben die Bürgerinnen seit mehr als einhundert Jahren (1906) politisches Mitspracherecht. Dass das Frauenstimmrecht in vielen afrikanischen Ländern bereits in den 1940er- und 1950er-Jahren eingeführt wurde, wird auf die Kolonialstrukturen zurückgeführt. Das Vereinigte Königreich (Frauenstimmrecht seit 1928) und Frankreich (1944) machten das in der Verfassung verankerte Frauenwahlrecht kurz darauf auch für die kolonialen Gebiete geltend.

Aber auch die Schweizerinnen begannen bereits nach dem Ersten Weltkrieg, für ihr politisches Mitbestimmungsrecht zu kämpfen. Zahllose Veranstaltungen, Petitionen und Abstimmungsanläufe blieben ungesehen, unbehandelt und wurden von den abstimmungsberechtigten Herren des Landes verworfen.

Saanen vor Kanton und Bund
Abweichend von der viel zitierten Aussage, dass die Landbevölkerung, darunter die Herren aus dem Oberland, lange gegen das Stimmrecht der Frauen ankämpften, war die Entwicklung im Saanenland eher fortschrittlich.

Bereits 1969, also über ein Jahr vor dem eidgenössischen Ja zum Frauenstimmrecht, entschied die Gemeinde Saanen am 31. Oktober an der Gemeindeversammlung, dass die Bürgerinnen an kommunalen Abstimmungen teilnehmen durften.

Am 7. Februar entschieden die Schweizer in einer nationalen Abstimmung, dass die Schweizerinnen das Wahl- und Abstimmungsrecht erhielten. Während eine Reihe von Kantonen die Stimmberechtigung für die Frauen auf kantonaler Ebene schon vor dem nationalen Entscheid eingeführt hatte, konnte sich der Kanton Bern erst zehn Monate nach dem eidgenössischen Ja zum Frauenstimmrecht durchringen.


GEDICHT VOM «KANONI»

Zum Frauenstimmrecht

Lasst die Frauen doch zu Hause, denn da ist ihr Arbeitsfeld. Aussenher im Kampfgebrause stelle sich der Mann als Held.

In den offenen Kampf zu ziehen, ist doch niemals Frauenpflicht. Sie hat andre Sorg und Mühen und begehrt das Stimmrecht nicht.

Wollt ihr denn die Frauen treiben mit Gewalt in Hass und Streit?
Wo die meisten lieber bleiben in der stillen Häuslichkeit.

Lass dir nie das Glück verscherzen, das die Gattin dir erschuf. Liebe sie von ganzem Herzen, schätze heilig ihr’n Beruf.

Mancher Herr möchte nett erscheinen, der daheim ein Haustyrann. Nur im Klub und in Vereinen merkt man solches ihm nicht an.

Denn er geizt mit Reverenzen, seine Frau muss Sklavin sein. Doch, um öffentlich zu glänzen, steht er für ihr Stimmrecht ein.

Lass zuhaus sie mehr befehlen, wenn du meinst, sie sei so klug. Doch zum Stimmen und zum Wählen sei du selber Manns genug.

Nie und nimmer sollst du zerren deine Frau in Kampfgebraus. Halt sie lieber hoch in Ehren für ihr Wirken still im Haus.

Aus «Der Sänger vom Wildhorn, Spottgesang und Harfenklang» – die besten Gedichte von Gottfried Reichenbach, in der Region besser bekannt als «ds Kanoni». Erschienen im Verlag Müller Medien AG. ISBN 978-3-907041-38 -3


ZUM DICHTER

«Ds Kanoni», alias Gottfried Reichenbach, wurde am 22. August 1878 auf dem Chüngi in Lauenen geboren. Er verlor früh seine Eltern, kam zu fremden Leuten, wurde später Küherknecht und blieb es sein Leben lang. Er starb 1963 – acht Jahre vor der Einführung des Frauenstimmrechts – im damals hohen Alter von 85 Jahren.

 

 


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