Alle Meinungen sollten gleichermassen vertreten sein

  12.03.2021 Leserbriefe

Wahrscheinlich bin ich nicht der einzige, der den Artikel «Kommt das Vermummungsverbot?» und die dazu eingeholten sechs Meinungen verwahrt hat, bis die Abstimmungsergebnisse vorlagen. Nun ist es so weit, und man kann etwas daraus lernen.

Der redaktionelle Artikel war rein informativ, und das war gut so. Bei den Meinungsäusserungen hingegen stand ein Befürworter fünf Gegnern gegenüber, von denen einige emotional und nicht sachlich argumentierten, und das war nicht gut so. Dass die Frage im Volk sehr umstritten war und das Ergebnis wohl knapp würde, war durch Meinungsumfragen hinreichend bekannt. Umso wichtiger wäre es gewesen, Befürwortern und Gegnern etwa gleich viel Platz einzuräumen. Es kann doch nicht sein, dass die eine (etwas kleinere) Hälfte des Volks klug und gut ist und daher angehört wird, während die andere Hälfte dumm und böse ist und kaum Gehör verdient. Über die Verhüllungsfrage konnte man mit guten Gründen verschiedener Meinung sein, beziehungsweise die diversen Argumente pro und contra unterschiedlich gewichten. Zum Beispiel hat die «Neue Zürcher Zeitung», die von Anfang an gegen die Initiative war, ihren Lesern in einer hervorragenden Serie von ganzseitigen Interviews mit Befürwortern und Gegnern alle Argumente pro und contra nahegebracht und damit genau die Informationen geliefert, die der Stimmbürger braucht und von den Medien erwarten kann.

In allen demokratischen Ländern ist die politische Auseinandersetzung in den letzten Jahrzehnten unsachlicher und emotionaler geworden. Das Ziel ist vielfach nicht nur, zu gewinnen, sondern die Andersdenkenden moralisch fertigzumachen. Aber nach der Entscheidung müssen wir schliesslich weiter miteinander auskommen. Diskussionen sollten in erster Linie zur Klärung der gegenseitigen Standpunkte dienen, was unter anderem voraussetzt, dass alle Meinungen gleichermassen vertreten sind und dass man sachlich argumentiert und einander wirklich zuhört. Dann fällt es nachher vielleicht auch leichter, die Entscheidung des Volks zu verstehen und zu akzeptieren. Auf amerikanische Verhältnisse können wir hier sehr gut verzichten.

HENNER KLEINEWEFERS, GRENG/FR UND SCHÖNRIED


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