Tierschutz bei der Nutztierhaltung

  26.03.2021 Landwirtschaft

Einheimische und Touristen, die im Saanenland unterwegs sind, sich in der gepflegten Natur bewegen, erholen und auftanken, beobachten und vergleichen auch die Landwirtschaft im Saanenland. Dabei taucht hie und da die Frage auf, ob sich denn die hiesigen Bauern an die Regeln des Tierschutzes halten.

VRENI MÜLLENER
Im Grossen und Ganzen werde den Tierschutzbestimmungen im Saanenland nachgelebt, bestätigt der Kantonstierarzt Dr. med. vet. Reto Wyss auf Anfrage. «Schwarze Schafe gibt es überall, im Saanenland nicht mehr und nicht weniger als in anderen vergleichbaren Gegenden.» Ohne Anspruch auf Vollständigkeit werden nachfolgend die augenfälligsten Tierschutzrichtlinien erläutert.

Unangemeldete Kontrollen
Ein Landwirtschaftsbetrieb untersteht heute den verschiedensten Kontrollen. Neben zum Beispiel Kontrollen der Milchhygiene, des Gewässerschutzes oder der ökologischen Ausgleichsflächen werden auch spezifische Kontrollen der Tierschutzbestimmungen durchgeführt. Rund 40 Prozent der Kontrollen im Bereich der Tierhaltung finden unangemeldet statt. Falls bei irgendeiner Kontrolle gröbere Vergehen im Zusammenhang mit dem Tierwohl festgestellt werden, gibt es eine Meldung ans Amt für Veterinärwesen (AVET).

Gemäss Auskunft von Dr. Felix Neff, Amtstierarzt Obersimmental-Saanenland, dient die schweizerische Tierschutzverordnung, die im Jahr 2008 vollständig überarbeitet und im Juli 2020 letztmals angepasst wurde, als Grundlage für die Kontrolle der Tierhaltung auf Landwirtschaftsbetrieben. Sämtliche Regelungen, die diese Verordnung vorgibt, basieren auf wissenschaftlichen Erkenntnissen zum Tierwohl. Sie kommen den Bedürfnissen jeder Tiergattung entgegen.

Damit ein Tierarzt nicht in Konflikt mit seinen Kunden gerät, ist es so organisiert, dass Kontrollen in schwierigen Fällen von einer Fachperson aus einer anderen Region oder aus der Zentrale des AVET in Bern durchgeführt und die nötigen Massnahmen verordnet werden. Im Gegenzug kontrolliert der hiesige Amtstierarzt Bauern in anderen Regionen.

Kindergarten für Kälber
Bestimmt die auffälligste Veränderung, die seit der Einführung der neuen Tierschutzverordnung 2008 gilt, ist die Haltung und Aufzucht von Kälbern. Da das Rind ein Herdentier ist, müssen Kälber bis zum Alter von vier Monaten in Gruppen gehalten werden und dürfen nicht angebunden werden. Das kurzfristige Anbinden, z.B. zum Tränken oder für eine Behandlung, ist dagegen erlaubt. Ausgenommen von der Gruppenhaltung sind Kälber, die in einzelnen Hütten mit dauerndem Zugang zu einem Gehege im Freien sind. Einzeln gehaltenen Kälbern muss Sichtkontakt zu Artgenossen gewährleistet werden. Dass Heu und Wasser den ganzen Tag zur freien Verfügung stehen, gehört heute zur Selbstverständlichkeit.

Auslauf bei (fast) jedem Wetter
Im westlichen Oberland sind Anbindeställe noch weitverbreitet. Daher kommt dem Auslauf, der dem Rindvieh angeboten werden muss, besondere Bedeutung zu. Im Auslaufjournal muss jeder Bauer aufzeichnen, wann er seinen Tieren den gesetzlichen Auslauf von mindestens 30 Tagen in der Winterzeit und 60 Tagen in der Vegetationszeit gewährt. Die Tiere dürfen höchstens zwei Wochen ohne Auslauf sein, jedoch besteht keine Vorschrift, wie lange und zu welcher Tageszeit sie draussen sein müssen. In der hiesigen Gegend sind die meisten Tiere während der Vegetationszeit ohnehin auf der Weide.

Tiere, die fleissiger Auslauf geniessen, haben einen Besitzer, der sich dem Programm «Raus» angeschlossen hat und sich verpflichtet, 13-mal pro Monat Freiluft zu gewähren. Es kann auch sein, dass es Kühe in einem Freilaufstall sind, die BTS geniessen, d.h. die besonders tierfreundliche Haltung. Diese Haltungsarten bieten den Tieren mehr als das gesetzliche Minimum und werden durch zusätzliche Direktzahlungen entschädigt.

Ziegen, die in alten Ställen noch angebunden gehalten werden, bekommen etwas mehr Auslauf als Rindvieh. Standplätze für Ziegen dürfen in Neubauten nicht mehr eingerichtet werden. Ausgenommen davon sind Plätze in Ställen, die im Sömmerungsgebiet nur saisonal genutzt werden.

Mensch und Tier empfinden nicht gleich
Dass Nutztiere die nötige Fütterung und Pflege erhalten, ist ebenso wichtig wie die korrekten Masse von Liege- und Anbindeplätzen. Gepflegte und saubere Tiere sind der Stolz jedes Viehzüchters, jedoch ist zu unterscheiden, ob die Tiere sich bei nassem Wetter im Auslauf die Beine verdrecken oder ob alte, angetrocknete Rollen am Hinterteil von Rindern festzustellen sind.

Oft bekommen die zuständigen Stellen ungerechtfertigte Meldungen, wenn zum Beispiel Rinder oder Schafe Tag und Nacht draussen sind. Ein Tier ist nicht mit dem Menschen zu vergleichen und fühlt sich wohl, auch wenn im Herbst die Nächte kälter werden. Raureif oder ein «Schümeli» Schnee machen einem Schaffell nichts aus, viel wichtiger ist der Witterungsschutz bei Dauerregen.

Es gilt zu beachten, dass die Tierschutzgesetzgebung die Mindestanforderungen definiert und nicht die ideale Tierhaltung. «Wir erhalten öfters Meldungen über vermeintliche Tierschutzverstösse und stossen dann bei Meldepersonen auf Unverständnis, wenn wir ihnen sagen, dass das so der Gesetzgebung entspricht», führt Kantonstierarzt Reto Wyss aus. Es wäre also manchmal gut, zuerst mit den Tierhaltern das Gespräch zu suchen, bevor eine Meldung gemacht wird. «Besteht aber effektiv der Verdacht auf eine Missachtung der Vorschriften oder sogar auf Tierquälerei, ist den Tieren mit einer Meldung an das AVET oder die Polizei mehr geholfen als mit einer Meldung an die Presse.»

Schweizerische Tierschutzverordnung: https:// www.fedlex.admin.ch/eli/cc/2008/416/de

 


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