«Alle gemeinsam, nur dann werden wir erfolgreich sein»

  13.04.2021 Gstaad, Interview, Tourismus, Saanenland

Heute Abend findet die Hauptversammlung von Gstaad Saanenland Tourismus (GST) statt. Präsident Oliver Waser spricht über touristische Vorbilder und über den Erlebnisraum der Gäste.

BLANCA BURRI

Oliver Waser, welches sind Ihre touristischen Vorbilder?
Für mich gibt es drei spannende Destinationen, an deren Stärken sich GST orientiert. Kitzbühel hat ein ähnliches Gästesegment wie die Destination Gstaad: Individualreisende im gehobenen Segment bis Familientourismus. Es legt sehr viel Wert auf Qualität und ist auch von der Topografie wie klimatisch unserer Region sehr ähnlich. Auffallend ist für mich auch die Liebe zum Detail, da spürt man Herzblut und das Engagement für den Gast.

Und das zweite Vorbild …
… ist die Region Hochschwarzwald, welche es geschafft hat, dass 21 Gemeinden als eine Destination auftreten. Das ist ein riesiges Gebiet mit einer beträchtlichen Anzahl von Angeboten und Erlebnissen, welche heute aus einer Hand buchbar sind. Auch das Engadin hat den Ansatz des Erlebnisraums hervorragend umgesetzt. Die Gäste sagen: «Wir fahren ins Engadin.» Die einzelne Ortschaften rücken dabei in den Hintergrund. Die Gäste erleben eine Region mit einer breiten und auf die unterschiedlichen Zielgruppen ausgerichteten Angebotspalette sowie eine Erlebnisvielfalt, ohne dass dabei das Authentische und Echte verloren gegangen ist.

Ich höre Qualität, Digitalisierung und die Wichtigkeit des Erlebnisraums heraus.
Ja, dies sind tatsächlich drei wichtige Kernthemen, die GST momentan beschäftigen. Da der Gast keine politischen Grenzen kennt, ist das Denken in Erlebnisräumen wichtig. Der Gast möchte etwas erleben, ob das in unserer oder in der Nachbarsdestination ist, spielt für ihn eine untergeordnete Rolle. Wichtig sind für den Gast die Erreichbarkeit und der einfache Zugang zu den Erlebnissen. Und genau diesem Bedürfnis wollen wir mit der neuen Gstaad Card und dem Einsatz von digitalen Instrumenten gerecht werden.

Welches sind die Hauptherausforderungen von GST, die Sie nachts wach liegen lassen?
Zum Glück schlafe ich gut, was aber nicht heissen soll, dass wir keine Herausforderungen haben. So müssen wir die Positionierung und noch vielmehr die Wahrnehmung der Destination Gstaad gut im Auge behalten. Welches Image haben die Menschen von der Destination Gstaad und welches möchten wir, dass sie von uns haben? Noch immer haben viele das Gefühl, wir seien eine pure Luxusdestination, was so natürlich nicht stimmt! Bei uns sind alle willkommen, wir haben Angebote für unterschiedliche Segmente und Zielgruppen. Der starke Luxusbrand kommt uns da manchmal in die Quere, aber mit einer cleveren Angebotsgestaltung und der richtigen Gästeansprache wollen wir dieses Image wo nötig korrigieren.

Was wünschen Sie sich für die Destination Gstaad?
Ich wünschte mir Familien, die in ihrem Freundeskreis von ihren Ferien in der Destination schwärmen und so bestes Marketing für unsere Region machen. Natürlich müssen wir auch zu unseren Chalet- und Luxusgästen Sorge tragen, weil sie zu einer grossen Wertschöpfung beitragen und welchen wir einen grossen Teil unseres Erfolges zu verdanken haben. Aber die Pandemie hat uns auch aufgezeigt, wie wichtig es ist, einerseits ein diversifiziertes Angebot bereitzustellen und anderseits welcher Vorteil es ist, einen hohen Gästeanteil aus dem Heimmarkt zu haben.

Geht es auch darum, dass die Destination durch die bunte Durchmischung von Gästesegmenten lebendig bleibt?
Genau. Es geht immer auch um authentische, naturnahe Produkte, die einen ganz direkten Bezug zur Destination Gstaad haben. Wir werden nie ein Disneyland kreieren wollen, das würde nicht zu uns passen. Die Landwirtschaft sowie naturnaher Tourismus spielen eine immer wichtigere Rolle. Da besitzen wir Stärken und haben eine hervorragende Ausgangslage, welche es noch besser zu nutzen gilt. Im Übrigen entsprechen diese Themen auch dem Zeitgeist der Menschen.

Der Vierjahreszeitentourismus steht seit Jahren im Fokus. Wie kann beispielsweise der Herbst angekurbelt werden?
Ein attraktives Angebot besteht aus geöffneten Hotels, Bergbahnen, Gastrobetrieben und Geschäften. Nur hier ist es ein bisschen wie mit der Huhn- und der Eifrage. Wer soll den Anfang machen? Die Bergbahnen, die Geschäfte oder die Hotels?

Und?
Alle gemeinsam, nur dann werden wir erfolgreich sein.

Welche Rolle übernimmt GST?
Wir versuchen immer, die Player an den Verhandlungstisch zu bringen und gemeinsam Lösungen zu erarbeiten. Daneben haben wir eine Koordinationsaufgabe.

Die Destinationsstrategie wurde in den vergangenen Monaten überarbeitet und wird demnächst unterschrieben. Was sind die Hauptneuerungen?
Die grosse Neuerung ist, dass wir nicht alles auf den Kopf stellen. Vielmehr war es unser Ziel, die Strategie im Rahmen der Überarbeitung verständlicher, aber auch verpflichtender zu gestalten. Aber die Kernthemen bleiben dieselben: Authentizität, alpine Echtheit, Bergerlebnisse, Schneeaktivitäten, Vierjahreszeitentourismus, Individualund Familientourismus. Wir bleiben uns treu.

Mit welchen Partnern wurde die Strategie erarbeitet?
Wir haben 21 Ansprechsgruppen ins Boot geholt. Die Bergbahnen, Dorforganisationen, Gewerbe, Landwirtschaft und viele mehr. Sehr wichtige Partner sind die Gemeinden, welche uns politisch und finanziell unterstützen. Im Vierjahresrhythmus wird über die Gemeindebeiträge abgestimmt, das wird diesen Herbst wieder aktuell werden.

Beim Digitalisierungsprojekt Gstaad OnLine arbeitet GST destinationsübergreifend. Ist ein allgemeiner Zusammenschluss mit einer anderen Destination wie Lenk geplant?
Das ist nicht geplant, jedoch auch nicht ausgeschlossen. Der Kanton ist weiterhin bestrebt, die Destinationen zu verdichten. GST steht dieser Verdichtung sehr offen gegenüber. Es gibt bereits Kooperationsverträge beispielsweise mit der Region Lenk-Adelboden-Kandersteg und dem Pays-d’Enhaut. Wir leisten Vorarbeit, indem wir das Netzwerk in den angrenzenden Destinationen pflegen und da, wo sinnvoll, gemeinsame Projekte realisieren.

Hat GST eine Vorreiterrolle?
Uns ist weniger die Vorreiterrolle wichtig, sondern vielmehr die Kraft und Kompetenz für Innovationen. Ich selbst nehme als Verwaltungsrat Einsitz bei der kantonalen Marketingorganisation Made in Bern. Dort ist die Destination Gstaad bekannt dafür, dass wir über den Gartenzaun schauen und auch so denken. Dies wird natürlich auch vom Kanton sehr wohlwollend zur Kenntnis genommen.

Wie ist die Zusammenarbeit mit dem Kanton?
GST hat einen klaren Kantonsauftrag und erhält dafür finanzielle Unterstützung. Die Zusammenarbeit mit dem Kanton respektive den zuständigen Abteilungen ist sehr gut. Leider sieht sich der Kanton Bern jedoch immer noch nicht als Tourismuskanton. Im Kanton Wallis und Kanton Graubünden ist dies ganz anders, da sind der Stellenwert und die Bedeutung des Tourismus viel höher. Entsprechend stehen im Kanton Bern weniger Mittel zur Verfügung, aber auch bei gesetzlichen Grundlagen und Reglementen in Bezug auf die Tourismusentwicklung kann Bern mit anderen Tourismuskantonen nicht mithalten.

GST ist Mitbesitzer der Gstaad Marketing GmbH. Wie ist die Zusammenarbeit?
Die Gstaad Marketing ist eine Gesellschaft im Besitz von GST, BDG, Hotelierverein und Gewerbeverein. Das Ziel ist es, die Marketingmittel zu bündeln, damit die Werbung aus einer Hand kommt. Damit der Austausch und die Abstimmung auch im Operativen zwischen den Unternehmungen gewährleistet sind, sitzen Matthias In-Albon von der BDG, Flurin Riedi von GST sowie Andreas Wandfluh als Geschäftsleiter der Marketinggesellschaft im Dreiwochenzyklus zusammen, um das Tagesgeschäft zu beraten.

Die Gstaad Marketing wurde vor fünf Jahren gegründet. Wie hat sie sich entwickelt?
Sehr gut. Die Zusammenarbeit unter den Gesellschaftern wurde deutlich besser, insbesondere die Nähe des GST zum Hotelierverein und den Bergbahnen konnten wir durch die neue Gesellschaft deutlich steigern. In den letzten Wochen konnten wir zudem die Rollen und Aufgaben zwischen GST und Gstaad Marketing noch klarer definieren, dies im Hinblick auf die zukünftigen Herausforderungen der Destination. Wir brauchen sowohl einen starken GST, welcher die Destination gemeinsam mit den Leistungsträgern touristisch weiterentwickelt, als auch eine starke Gstaad Marketing, die die Region professionell vermarktet. Dass sie dies überdurchschnittlich gut macht, hat sie in den letzten Jahren bewiesen.

Seit zwei Jahren arbeitet Tourismusdirektor Flurin Riedi für die Destination. Welches Zeugnis stellen Sie ihm aus?
Ein sehr gutes Zeugnis. Ich bin sehr glücklich, dass er für unsere Destination tätig ist und dass sich seine Familie in der Region wohlfühlt. Das ist wohl die wichtigste Grundlage, damit auch langfristig geplant werden kann. Seine grosse Stärke liegt darin, die Menschen zu vernetzen, sie an einen gemeinsamen Tisch zu bringen, Menschen zu motivieren sowie zu sensibilisieren und mit Hartnäckigkeit das Thema Destinationsentwicklung zusammen mit seinem Team voranzutreiben.

Was macht Flurin Riedi aus?
Er sieht die Region mit den Augen des Gastes, aber auch des Einheimischen. Das ist für die erfolgreiche Entwicklung einer Destination entscheidend. Ich bin froh, dass Flurin Riedi den Ansatz des Erlebnisraumes verfolgt und den Blick für das grosse Ganze hat, denn es spielt aus Sicht des Gastes tatsächlich keine Rolle, ob beispielsweise das Maison Cailler in der Destination Gstaad selber liegt oder nicht. Für den Gast zählt das Erlebnis während seinem Aufenthalt in unserer Destination!

Früher wurden die bestehenden Infrastrukturen unterhalten. Heutzutage aber ist GST ein Treiber von neuen Angeboten, was finanziell aufwendig ist. Hat Flurin Riedi die Zahlen im Griff?
Er ist ja nicht alleine (lacht). Die sehr gute Geschäftsleitung mit einer strengen Finanzfachfrau sowie der Vorstand mit einem Banker an der Spitze unterstützen ihn und schauen ihm auch auf die Finger. Bemerkenswert ist, dass Flurin Riedi die Gelder nicht nur ausgibt, sondern auch generiert. Die Idee der Mittelbeschaffung durch innovative Projekte, welche mit Fördergelder mitfinanziert werden können, stammt von ihm. Diesen Ansatz wollen wir entsprechend ausbauen und strategisch zunutze machen.

GST ist finanziell direkt von den Kurtaxen, Beherbergungsabgaben, Tourismusförderungsabgaben, Gemeindebeiträgen und Erträgen zum Beispiel durch den Ticketingverkauf abhängig. Wie wirkt sich Corona auf die finanzielle Situation aus?
Wir haben Mindereinnahmen budgetiert und müssen entsprechend planen. Trotzdem haben wir eine Vorwärtsstrategie gewählt, welche wir uns dank der gesunden finanziellen Basis leisten können. Wir haben uns gesagt: Jetzt müssen wir uns erst recht entwickeln, damit wir à jour bleiben. Wir arbeiten mit verschiedenen Szenarien und versuchen möglichst agil und flexibel zu bleiben, um rechtzeitig auf die entsprechende Situation eingehen zu können. Aber auch wir mussten das eine oder andere grössere Projekt streichen oder nach hinten schieben.

Die Zahlen zeigen, dass die Logiernächte vor Corona auf ein Rekordhoch gestiegen sind. Wo sehen Sie die Destination in fünf Jahren?
Immer grösser, schneller, weiter ist nicht das Ziel, welches wir verfolgen. Wir möchten wachsen, aber wir möchten vor allem qualitativ, insbesondere im Bereich der Angebote und Produkte wachsen. Es gibt einige grosse und wegweisende Infrastrukturprojekte im Kultur- und Transportbereich und so weiter, die wir gut inszenieren und kommunizieren möchten. Da es sich bei den meisten dieser Projekte um Ersatzinfrastrukturen handelt, steigert die Destination dadurch die Qualität, was genau in unserem Sinne liegt. Ebenfalls sind uns gesunde Leistungsträger und Finanzen wichtig. Auch das Thema Familien haben wir auf der Agenda, da die Kinder die Gäste der Zukunft sind. Weitere Themen sind: Tourismusentwicklung, das teilweise falsch verstandene High-End-Image korrigieren, an den traditionellen Werten rund um den Claim «Come up – slow down» festhalten und diese stärken. Und natürlich wollen und müssen wir weiterhin beweisen, dass wir mit der Pandemie bestmöglich umgehen können. Wir sind flexibel und innovativ. Wir können mit sich verändernden Situationen umgehen.


ZUR PERSON

Oliver Waser (1974) ist in Saanen geboren und aufgewachsen. Heute lebt der Bankangestellte mit seiner Frau und den beiden Töchtern in Flendruz. Die Banklehre absolvierte er bei der BEKB in Gstaad. Danach folgten sieben Jahre beim GST, bei Swiss Volley und auf Reisen. Danach kehrte er zur BEKB zurück, wo er sich aus- und weiterbildete und Leiter der Niederlassungen Gstaad, Lenk und Schönried wurde. Vergangenes Jahr wechselte er als Verantwortlicher für das Privatkundengeschäft und die Filialen zur Saanen Bank. Dort ist er Teil der Direktion.

 


Image Title

1/10

Möchten Sie weiterlesen?

Ja. Ich bin Abonnent.

Haben Sie noch kein Konto? Registrieren Sie sich hier

Ja. Ich benötige ein Abo.

Abo Angebote