«Wenn man die Zügel in die Hand nimmt, kann man viel erreichen»

  27.04.2021 Interview, Tourismus

Matthias In-Albon ist zeitgleich mit der Sanierung Geschäftsführer der Bergbahnen Destination Gstaad AG (BDG) geworden. Nach etwas mehr als fünf Jahren sagt er, auf welche Meilensteine er zurücksieht und weshalb die BDG im vergangenen Corona-Winter trotz Verlustrisiko die Anlagen öffnete.

BLANCA BURRI

Matthias In-Albon, welches ist Ihre ganz persönliche Lieblingspiste?
Die rote und schwarze Piste von Les Gouilles ins Chalberhöni ist technisch interessant und landschaftlich wunderschön. Sie ist im Dreigestirn Gummfluh, Videmanette und Rübli eingebettet.

Sie leben mit Ihrer Familie seit fünf Jahren in der Destination. Welche Saaner Eigenheit haben Sie besonders lieb gewonnen?
Ich kam aus einer auf Effizienz getrimmten Industrie, die oftmals hektisch wirkte. Die Berner – und die Saaner im Besonderen – strahlen eine gewisse Gelassenheit aus. Das ruhige Gemüt und die besonnene Art, welche die Menschen hier an den Tag legen, mag ich sehr.

Als Geschäftsführer des grössten Arbeitgebers im Saanenland gehören Sie zu den öffentlichen Personen. Wie gehen Sie damit um?
Dadurch, dass ich meinen Job mit enormer Leidenschaft mache, kann ich mit dem sehr gut umgehen und auch viel Herzblut aufbringen. Dies ermöglicht vielfach, auch mehr als 100 Prozent zu geben. Manchmal machen mich Freunde darauf aufmerksam, dass ich nicht mit der BDG verheiratet sei (schmunzelt). Es ist mir ein grosses Anliegen, dass die Bevölkerung stolz auf ihre Bergbahn ist, dazu braucht es halt auch viel Präsenz. Im Doppelpack mit Heinz Brand sowie mit dem ganzen Team sind wir auf einem guten Weg dahin.

Vor der Wintersaison war lange nicht klar, ob die Bergbahnen wegen der Pandemie-Massnahmen überhaupt öffnen können.
Entweder macht man die Faust im Sack oder man nimmt die Zügel in die Hand. Ich habe mich für das Zweite entschieden. Mir persönlich war im Herbst, als alles an einem seidenen Faden hing, eine starke politische Lobby wichtig. Darum habe ich zusammen mit weiteren Akteuren die Aktion «Alles fährt Ski» lanciert und aktiv bei der Umsetzung mitgewirkt. Diese Kampagne wurde vom hiesigen Zweitheimischen Lorenz Furrer und dessen Agentur furrerhugi optimal aufgegleist und umgesetzt. Anderseits war ich in ständigem Kontakt mit den Behörden und habe die volkswirtschaftliche Relevanz des Bergbahnenbetriebs hervorgehoben.

Wer war der wichtigste politische Ansprechpartner?
Nationalrat Erich von Siebenthal war unser Türöffner. So konnten wir direkt mit dem Bundesrat in Kontakt treten. Mit der Kampagne «Alles fährt Ski» haben wir eurpoaweit für Aufsehen gesorgt. Die Unterstützung, die wir von skiaffinen Personen erhalten haben, war extrem. Das hat meine Erwartungen übertroffen.

Weshalb war Ihnen diese Leadfunktion wichtig?
Für mich stand von Anfang an die volkswirtschaftliche Relevanz der Bergbahnen für die ganze Destination und insbesondere auch für die Hotellerie und Talschaft im Vordergrund. Ein Winter ohne Skibetrieb hätte unglaubliche Auswirkungen auf uns alle gehabt. Ich habe gesehen, was auf dem Spiel steht und habe mein Möglichstes getan, dies positiv zu beeinflussen. Die Öffentlichkeit hat vor fünf Jahren geholfen, die BDG zu sanieren, wir wollten etwas zurückgeben. Dass wir den Betrieb so durchführen konnten, hatte anschliessend auch mit vielen weiteren Indikatoren zu tun. Die Spitäler hatten genügend Kapazitäten und die meisten Skifahrer hielten sich an das Schutzkonzept.

Viele zufriedene Skigäste und ein schneereicher Winter geben Ihren Bemühungen recht …
Auch wenn wir finanziell ein hohes unternehmerisches Risiko mit der technischen Beschneiung aller Pisten und Anstellung aller Mitarbeiter eingegangen sind, haben wir stets an der Öffnung der Bergbahnen festgehalten und die positiven Feedbacks unserer Gäste haben uns recht gegeben. Sie haben es geschätzt, sich in dieser unsicheren Zeit in der freien Natur bewegen und Wintersport ausüben zu können.

Welche Learnings ziehen Sie daraus?
In solchen Ausnahmesituationen ist das Hand-in-Hand-Arbeiten mit den Partnern in der Destination, mit den kantonalen Behörden und mit anderen Bergbahnunternehmen sehr wichtig. Nur zusammen haben wir diesen Winter so gut reüssiert und unser Ziel erreicht, die Bahnen während der ganzen Saison zu öffnen. Wenn man die Zügel in die Hand nimmt, kann man viel erreichen.

Welche Auswirkungen hat die Pandemie auf die Finanzen der BDG?
Ich möchte vorausschicken, dass der Cashflow negativ gewesen wäre, wenn die Anlagen im Winter ausser Betrieb gewesen wären. Deshalb ist es positiv zu werten, dass wir im laufenden Geschäftsjahr trotz allem einen positiven Cashflow erwirtschaften werden. Der Verkehrsertrag weist ein Minus von 15 Prozent und die Gastronomie ein Minus von 40 Prozent aus. Über alle Sparten gesehen, fehlen uns rund 20 Prozent Umsatz gegenüber den vorhergehenden Jahren. In Franken gesprochen fehlen uns rund fünf Millionen Franken. Aber wie gesagt, uns war es wichtig, dass wir offen bleiben und somit unseren wichtigen volkswirtschaftlichen Beitrag für die ganze Region leiste können.

Welche finanziellen Massnahmen braucht es nun?
Dadurch, dass wir uns in den vergangenen Jahren gut entwickelt haben, können wir diese Krise stemmen und stehen nicht vor Liquiditätsproblemen. Wir haben aber letzten Frühling ein Covid-Darlehen vom Bund beantrag. Wir wären somit bei einer Betriebsschliessung während der ganzen Wintersaison über die Runden gekommen.

Welche Gästeprognosen stellen Sie für den kommenden Sommer?
Der Schweizer Markt wird weiter an Bedeutung gewinnen und für die Destination noch wichtiger werden. Das wird sich auch im Sommer 2021 und nach meiner Ansicht nach in den Folgejahren weiterziehen. Ich bin dankbar, dass wir den Fokus schon länger auf den Schweizer Markt legen – gestützt auf die Destinationsstrategie.

Kommen wir zur betrieblichen Gegenwart. Welches sind die momentanen Hauptherausforderungen?
Diese liegen derzeit darin, uns für die Zukunft zu wappnen. Wir legen mit verschiedenen Überbauungsordnungen das Grundgerüst für zukünftige Investitionen.

Um welche Überbauungsordnungen handelt es sich?
Die Überbauungsordnungen beinhalten verschiedene Projekte. Zum Beispiel ein neuer Schlittelweg vom Eggli zur Talstation, inklusive die Beschneiung und Transportleitung für Wasser. Eine zweite Überbauungsordnung sieht die Trasseesicherung der Bahn vom Horneggli auf den Hornberg vor. Ebenfalls soll es dort Inszenierungsmassnahmen und Bikemöglichkeiten geben.

Was ist für die Bahn Saanenwald–Hornberg geplant?
Ein Ersatz der Bahn sowie die Erweiterung und Inszenierung des Speichersees auf dem Hornberg. Auch im Bereich Parwengen/St. Stephan soll es Investitionen geben. Ein neuer Speichersee sichert die technische Beschneiung. Diese soll im ganzen Gebiet optimiert werden. Weiter gehen wir den Ausbau der Sommerinszenierungen auf der Wispile und auf dem Rinderberg an.

Welches davon sind die zeitkritischen Herausforderungen?
Das ist ganz klar der Ersatz der Hornegglibahn auf den Hornberg. Wir erhalten die Bewilligung nur, wenn wir das Parkplatzproblem im Winter gelöst haben. Hier sehe ich persönlich ein Parkhaus mit integrierter Talstation als einzige Option. Das Parking ist in der Investitionsplanung der Gemeinde bereits vorgesehen. Ich hoffe, dass die raumplanerischen Voraussetzungen und anschliessenden nötigen Bewilligungen zügig voranrücken, damit wir nicht wieder in so grosse Zeitbedrängnis geraten wie beim Saanersloch. Ein Retrofit der Bahn ist nicht möglich.

Wo stehen die Bergbahnen im Vergleich zu anderen Schweizer Skidestinationen?
Mit den Beiträgen der Gemeinden stehen wir finanziell auf gesunden Beinen. Es ist jedoch illusorisch zu denken, dass wir Investitionsbeiträge seitens Gemeinden in naher Zukunft nicht mehr bräuchten. Alleine die Auswirkungen der Corona-Pandemie mit dem Minderumsatz hat uns in den letzten zwei Jahren viele Projekte aus finanziellen Gründen nicht realisieren lassen.

Wann gibt es im Saanenland das erste Bikedownhill-Angebot?
Der Kanton wird meiner Einschätzung nach keine neue Downhill-Strecken bewilligen. Angedacht sind jedoch Flowtrails am Horneggli, die gleichzeitig mit der neuen Horneggli-Bahn gebaut werden sollen. Der Lead für dieses Projekt liegt bei Gstaad Saanenland Tourismus.

Ein Wort zu den Tarifverbunden: Wie sieht die Zukunft von Top4 aus?
Der Top4-Skipass wird auch in der kommenden Wintersaison für 777 Franken für Erwachsene im Vorverkauf erhältlich sein. Die vier grössten Berner Skigebiete setzen damit bereits die fünfte Wintersaison in Folge auf einen gemeinsamen Skipass.

Viele Einheimische verstehen nicht, dass der Glacier 3000 nicht im Top4 integriert ist …
Leider kam die Integration vor fünf Jahren aufgrund von Konkurrenzausschlussregeln seitens Magic Pass und Top4 nicht zustande. Beide Partner lassen keine parallele Integration zu. Erfreulicherweise kann die Option Glacier 3000 auch im kommenden Jahr wieder für 200 Franken gekauft werden. Mir ist die Sandwichposition des Glaciers 3000 und der Videmanette in diesem Kontext bewusst. Über die gesamte Destination gesehen ist Top4 jedoch eine super Lösung.

Besteht die Chance, dass die BDG dem Magic Pass beitritt?
Diese Chance besteht zum aktuellen Zeitpunkt nicht. Wir sind mit der Top4-Lösung zufrieden und wollen das Produkt weiter vorantreiben. Preislich gesehen gehen der Magic Pass und Top4-Abos zu stark auseinander. In der Strategie hat sich die Destination zum Qualitätstourismus bekannt und vom Massentourismus distanziert. Ein massentaugliches Angebot wie der Magic Pass geht finanziell nur auf, wenn massiv mehr Skifahrer in die Region kämen, was nicht mit der Destinationsstrategie zu vereinbaren ist. Andere Skiregionen haben dies auch erkannt. Crans Montana ist beispielsweise aus dem Tarifverbund ausgestiegen. Ebenfalls ist die Discount-Abostrategie gefährlich. Dass ein aggressiver Preis kampf in Skigebieten nicht zielführend ist, hat sich bereits am Beispiel Saas-Fee gezeigt. Es stellte sein Billigabo wieder ein.

Vor etwas mehr als fünf Jahren haben Sie das Ruder bei der BDG übernommen. Welche Bilanz ziehen Sie?
In den vergangenen fünf Sommer- und sechs Wintersaisons hat sich viel getan. Ich konnte zusammen mit dem Verwaltungsrat und meinem Team glücklicherweise viel mitbewegen und mitgestalten. Angefangen bei der Sanierung und Restrukturierung der Unternehmung über den Umbau und die Renovation aller Bergrestaurants, die Realisierung einiger Beschneiungsprojekte, den Bau der Saanersloch- und Eggli-Bahn sowie den Neubau Bergrestaurant Eggli bis hin zur Inszenierung der Erlebnisspielplätze Wispile und Rinderberg. Das Investitionsvolumen war immens und die Aufgaben top spannend. Die Herausforderungen gehen uns in Zukunft nicht aus. Auch die Initiierung der Lobbykampagne «Alles fährt Ski» sehe ich als wichtigen Teil der Bilanz.

Und wie sehen Sie die Entwicklung von Gstaad Marketing, das heuer sein fünfjähriges Bestehen feiert?
Die Gründung der Gstaad Marketing GmbH war ein wichtiger und richtiger Schritt. Weder die BDG noch GST besitzen inhouse die nötigen Kompetenzen, um erfolgreiches Marketing zu betreiben. Eine Bündelung der Marketingmittel und die Einsetzung einer spezialisierten Organisation innerhalb der Destination waren notwendig. Die Zusammenarbeit mit der Gstaad Marketing GmbH läuft sehr gut und das Team hat seinen Teil zum Erfolg der Destination und BDG beigetragen.

Sie haben beim Jobantritt gesagt, Sie wollten der BDG nach der Sanierung treu bleiben. Wie sieht es aus heutiger Sicht aus?
Wir sind voll in der Vorwärtsstrategie, einzig gebremst durch Corona. Die Sanierung ist abgeschlossen. Ich bin meinen Worten treu geblieben und bleibe es auch gerne weiterhin, wenn ich die Unternehmung wie in den vergangenen Jahren proaktiv weiterentwickeln kann. Die tolle Weiterentwicklung ist dem Teamwork, den Mitarbeitern und dem Kader zu verdanken, die sich mit auf diese Reise nehmen liessen. Ebenfalls dem Verwaltungsrat und dessen Präsidenten Heinz Brand, der die Leitplanke dazu optimal abgesteckt hat.

Wo liegt das grösste Entwicklungspotenzial der BDG?
Die Sommersaison wollen wir weiter stärken und entwickeln. Uns ist vor allem der Ausbau des Angebots zu Themen wie Wandern, Biken und Familienangebote rund um das «Saaniland» wichtig, der zusammen mit GST und Gstaad Marketing erfolgt. Wir möchten das Bild der BDG als attraktiven und modernen Arbeitgeber fördern, denn langjährige und zufriedene Mitarbeiter sind wichtige Erfolgsfaktoren.

Ihre Vision …
… dass die Einheimischen stolz auf die BDG sind und die BDG umgekehrt ein nachhaltiger Erfolgsfaktor der Destination ist. Sie ist ein Vorzeigeunternehmen in der Schweizer Bergbahnenszene und wird von Einheimischen, Gästen und Chaletgästen geschätzt.


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