RANDNOTIZ

  21.05.2021 Leserbeitrag

Saturnjahr

KEREM S. MAURER
Schenk mir die Gelassenheit, Dinge anzunehmen, die ich nicht ändern kann – auch, wenn es regnet. Normalerweise fällt mir das gar nicht so wahnsinnig schwer. Doch in letzter Zeit, ja, Sie wissen es, gibt es zunehmend Dinge, die meine Gelassenheit herausfordern. Nur wächst sie leider nicht an diesen Herausforderungen, sondern scheint eher zu schrumpfen. Der viel zitierte Geduldsfaden verkürzt sich. Das Jahr 2021, das gefühlt erst vor Kurzem ins Land gezogen ist, nähert sich tatsächlich schon wieder der Sommersonnenwende. In einem Monat ist es so weit. Danach werden die Tage auch schon wieder kürzer. «Tempus fugit», lächelt meine langsam kleiner werdende Gelassenheit beinahe schon mitleidig. Ja, die Zeit rennt, dennoch scheint die Welt rundherum auf eine seltsame Weise stehen zu bleiben. Kürzlich sagte eine Kollegin, sie stecke gefühlt noch immer im Januar fest. Meine Gelassenheit nahm dies süffisant lächelnd zur Kenntnis, während ich mich augenblicklich fragte, wo eigentlich die warme Jahreszeit steckt? Es ist kalt und regnet seit Wochen, Besserungen sind kaum in Sicht und wenn, dann nur für kurze Zeit. «Gott sei Dank sind alle Events abgesagt», grinst meine schrumpfende Gelassenheit zynisch, es wäre ja ohnehin zu gruusig, um irgendwo hinzugehen. Oftmals hilft mir in so einem Fall ein wenig Hintergrundwissen, um Dinge leichter akzeptieren zu können. Astrologisch Interessierte wissen, dass wir seit dem astrologischen Neujahr am 22. März in einem Saturnjahr leben. Der Hundertjährige Kalender meint pragmatisch dazu: «Das Saturnjahr ist kalt und feucht. Auch wenn es zu gewissen Zeiten trocken ist, ist es grösstenteils mit Regen angefüllt, besonders im August und im Herbst.» Meine Gelassenheit – oder was von ihr noch übrig ist – lehnt sich betont gelassen, nahezu provozierend, zurück. «Nimms leicht», krächzt sie, und nach einer Weile fügt sie klugscheisserisch hinzu: «Ist halt ein Saturnjahr!» Letzten Montagmorgen, ich fahre vom Obersimmental in die Redaktion nach Gstaad, der Regen prasselt aufs Autodach, die Scheibenwischer tanzen ihren endlos-monotonen Reigen. Die Moderatorinnen im Radio lachen etwas gezwungen den Regen einfach weg. «Zum Glück gibt es Sommermusik», frohlocken sie. Ich stöhne entnervt. Sonne für die Ohren – dass ich nicht lache. Ich suche hilfesuchend meine Gelassenheit. Umsonst, keine mehr da. Ein Saturnjahr, so ein Scheiss! [email protected]


Möchten Sie weiterlesen?

Ja. Ich bin Abonnent.

Haben Sie noch kein Konto? Registrieren Sie sich hier

Ja. Ich benötige ein Abo.

Abo Angebote