Wellenreiten in einem Land ohne Meer

  14.05.2021 Porträt

Von wegen Skifahren, Wandern oder Biken fernab der Schweizer Sportklassiker betreibt Andreas Loibl ein Hobby, das schwer im Kommen ist: das Wellenreiten. Trotz der wachsenden Popularität ist es gar nicht so leicht, sich damit über Wasser zu halten im übertragenen wie im wortwörtlichen Sinn.

SOPHIA GRASSER
Mit 17 Jahren hat Andreas Loibl, der in Gstaad aufgewachsen ist, noch leidenschaftlich Eishockey gespielt. Doch die ursprünglich polynesische Sportart, das Wellenreiten, erregte zunehmend Aufmerksamkeit. Gutaussehende Surfer eroberten die Kinoleinwand, Extremsportler teilten waghalsige Tricks auf YouTube. «Ich war einfach neugierig. Ich musste das ausprobieren», lautet Loibls Motivation, sich dem Trend anzuschliessen. Er verwirklichte seinen Traum, als er vor sieben Jahren mit drei Kollegen an die Küste Frankreichs in ein Surfcamp fuhr. «Es waren nur sechs Tage, aber das Fieber hat mich gepackt», erzählt er. Seitdem lässt er den Schnee und die Berge regelmässig hinter sich, um sich seinem neuen Hobby zu widmen, dem Surfen.

Richtig eingetaucht in die Trendsportart Wellenreiten ist Andreas Loibl erstmals während eines achtmonatigen Aufenthalts in Costa Rica. Er wollte sich zunächst auf einen Sprachkurs konzentrieren, um Spanisch zu lernen. «Doch gleich in meiner ersten Woche habe ich mir ein Surfbrett gekauft und von da an die restlichen acht Monate eigentlich im Wasser verbracht», so der 27-Jährige. In die Schweiz kehrt er regelmässig zurück, um Geld zu verdienen − das er wiederum in eben jene Reisen investiert. Denn mit dem Gehalt als Surflehrer könne man im Ausland nur schlecht seinen vollen Lebensunterhalt bestreiten. Der Boom des Wellenreitens ruft zu viele Volunteers auf den Plan. Und wenn sich Organisationen die Möglichkeit bietet, kostenlos Arbeitskräfte anzustellen, dann möchte kein Vorgesetzter und keine Vorgesetzte mehr einen anständigen Lohn bezahlen.

«Im Oktober letzten Jahres hat mir ein Kumpel eine Anzeige geschickt, dass man in Sion nach Surflehrern suche», beginnt Loibl. Von dem Wavepool, den man zu dieser Zeit baute, hat er nur am Rande mitbekommen. Grosse Hoffnungen habe er sich nicht gemacht, doch er versuchte sein Glück und zählte wenig später zum Team. «Ich bin einer der wenigen Schweizer Surflehrer und einer der wenigen, die überhaupt Deutsch sprechen. Es ist ein sehr international besetztes Team, die Leute sind aus aller Welt. Das schätze ich sehr», äussert sich Loibl dankbar. Bis voraussichtlich Oktober betreut er also Kurse des dortigen Wavepools, bevor er die nächste Welle in eine neue Destination nimmt.

Sion aussen vor, lassen die schweizweiten Möglichkeiten des Wellenreitens laut Loibl allerdings zu wünschen übrig. Es gibt lediglich einige Angebote des Fluss-, Kite-, Wind- und Wavesurfens sowie wenige Wakeboardanlagen. Doch in einem Binnenland ist eine begrenzte Anzahl an Anlaufstellen naheliegend. In Zürich soll dagegen im Jahr 2024 ein zweiter Wavepool fertiggestellt werden. Und auch eine Schweizer Surfmeisterschaft wurde vor wenigen Jahren ins Leben gerufen, die jährlich in Spanien stattfindet. Doch Loibl klärt auf: «Man muss da ein bisschen differenzieren. Einige Teilnehmer besitzen zwar einen Schweizer Pass, sind aber am Meer aufgewachsen.» Gegen jene Profis habe man im Prinzip keine Chance – «als ob die Hawaiianer uns zu einem Skirennen herausfordern würden», bringt Loibl den passenden Vergleich. Nichtsdestotrotz sei es eine super Erfahrung.

Das hiesige Interesse sei einfach immer noch zu klein. «In Bergregionen wandert man eben lieber, fährt Ski oder dreht Runden auf dem Velo. Das macht ja auch Sinn», zeigt der 27-Jährige Verständnis. Immerhin schlucke so eine künstliche Surfanlage auch ganz schön viel Geld − wobei ein neuer Flughafen oder eine neue Schule in derselben Preisspanne konkurrieren, räumt Loibl ein. An Energie verbrauche ein solcher Wavepool auch nicht mehr als eine Sechser-Gondelbahn. Dennoch mache es im Bergparadies wenig Sinn, so ein Projekt ins Auge zu fassen. Sion sei ohnehin nicht so weit weg und eigne sich darüber hinaus perfekt für einen Ausflug.

Apropos Wavepool: Ein weiterer Vorteil ist, dass sie perfekte Wellen garantieren – und zwar in Endlosschleife. Denn eins kann Loibl sagen: «Als Anfänger ist das Surfen sehr mühsam und vor allem zeitintensiv.» So käme es schon mal vor, dass man mehrere Stunden im Ozean verbringt und nur eine einzige Welle erwischt. Die Wetterverhältnisse spielen eine Riesenrolle. Doch Übung macht bekanntlich den Meister. «Man lernt, die Wellen zu lesen. Irgendwann weiss man, wo sie brechen, um sich geschickt zu positionieren», erklärt er. Durch den Wavepool könne man am Ball bleiben. Loibl freut sich deshalb umso mehr über die Möglichkeit, in Sion zu arbeiten. Er habe zwischenzeitlich sogar mit dem Gedanken gespielt, das Surfen aufzugeben. «Aber ich habe einfach gemerkt, dass es mir besser geht, wenn ich täglich oder zumindest einmal in der Woche auf dem Brett stehen kann.»

Nun zur wichtigsten Frage, auf die Loibl trotz seiner grossen Leidenschaft auch keine klare Antwort weiss: Lieber die Berge oder das Meer? «Ich liebe das Gefühl beim Wellenreiten, einfach im Meer zu sein und den Moment zu geniessen. Aber wenn es einen Meter frischen Neuschnee hinhaut... Da greife ich doch fast lieber zum Snowboard.»
– Was die nächste Frage aufwirft: Inwiefern ist das Surfen mit dem Snowboarden vergleichbar? «Gar nicht», lautet Loibls einfache Antwort. Zwar stehe man beide Male auf einem Brett, doch die Sportarten unterscheiden sich im Prinzip grundlegend voneinander. Eine engere Verbindung besteht hingegen zwischen dem Wellenreiten und dem Skaten. Da die Temperaturen im Winter zu kalt und Neoprenanzüge noch nicht erfunden waren, suchte man nach einer Alternative. Das war die Geburtsstunde des Skatens. Dennoch: Der Sportler zählt auch das Snowboarden zu seinen Leidenschaften. Wegen der verführerischen Massen an frischem Pulverschnee hätte Loibl diesen Winter sogar fast seinen Aufenthalt in Costa Rica unterbrochen... aber eben auch nur fast.


ZUR PERSON

Andreas Loibl ist 27 Jahre alt und Mitglied des Vereins Waveup in Zürich. Seine Hobbys drehen sich rund um Sport und Bewegung: von diversen Brettsportarten über Yoga bis hin zum Kampfsport. Er ist gerne unterwegs und aufgeschlossen gegenüber Neuem − er lernt gerne dazu, das macht ihm Freude.

SOPHIA GRASSER


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