Brückenbauer über drei Jahrhunderte

  30.07.2021 Kultur

Ein Dialog zwischen Mozart und dem zeitgenössischen Komponisten Nyman? Das geht problemlos, wie der Pianist Sebastian Knauer in seinem Rezital in Zweisimmen bewies.

LOTTE BRENNER
Das diesjährige Motto des Gstaad Menuhin Festivals heisst «London». Dies ist schon Grund genug, den Filmmusikkomponisten und Jazzpianisten Michael Nyman ins Programm einzubringen. Was hat nun aber Nyman mit klassischer Musik zu tun? Das etwas andere Programm von und mit dem Pianisten Sebastian Knauer vom Dienstag in der Kirche Zweisimmen zeigt, wie selbstverständlich und natürlich sich zeitgenössische Musik aus einer anderen Sparte mit traditioneller Klassik verbinden lässt. An sieben sorgfältig ausgewählte Stücke aus der reichen Klavierliteratur von Wolfgang Amadeus Mozart hängt Knauer jeweils sechs Klavierstücke von Nyman an, die der Komponist im Auftrag für ihn – thematisch gebunden – schrieb. Und tatsächlich gelingt es Knauer, die beiden Kompositionen nahtlos ineinander zu verschmelzen. So entsteht natürlich und unbeschwert ein Dialog zwischen zwei Musikerpersönlichkeiten, die zeitlich über dreihundert Jahre auseinanderliegen. Auf einem solchen Niveau gibt es über all die Jahrhunderte hinweg keine Grenzen, keine Barrieren. Die beiden Komponisten begegnen sich auf Augenhöhe. Nyman bleibt Mozart keine Antwort schuldig. Nach mitreissenden Schwingungen, manchmal jazzig, manchmal aber auch verständnisvoll, einfühlend zart, versteht er es beispielsweise, mit einem jähen Trugschluss, spannungsgeladen in das schlichte «Ah vous dirai-je maman» von Mozart überzuleiten, das Knauer unvergesslich und unvergleichlich schön interpretierte.

Mozart bleibt Mozart
Sebastian Knauer ist es gelungen, die beiden Tonkünstler einander vorzustellen, ohne dabei an die unsterbliche Musik Mozarts Hand anzulegen. Er macht die beiden lediglich miteinander bekannt. Das freundschaftliche, angeregte Gespräch, das sich daraus ergibt, liegt in der Natur der beiden grossartigen Tonmeister selbst. Knauer sagt ganz klar: «Mozart bleibt Mozart.» Er verändert nichts – er vermittelt. Damit unterscheidet er sich von andern experimentierfreudigen Musikern unserer Zeit.

Mit diesem Arrangement ist Sebastian Knauer nicht nur ein Meisterwerk gelungen, sondern auch eine pädagogische Spitzenleistung gegenüber Musikliebhabern, die es sich mit modernerer Musik schwertun. Dass Knauer nicht nur ein toller Pianist ist, sondern auch ein grossartiger Pädagoge, ist mit einem Klick ins Internet zu erfahren. Ein Blick in die Meisterklasse-Arbeit des Pianisten zeigt die Art und Weise, wie er Nachwuchstalente zu einer vortrefflichen Interpretation hinführt, ihnen das Echte und Wahre, weg von Klischees, weg von Schnörkelhaftem, beibringt.

Knauers eigene Klaviersprache ist schlicht und klar, seine Körperhaltung völlig ruhig. Er verzichtet auf wirkungsvolle Gesten und stellt sich ganz in den Dienst der Werke. Was dabei herauskommt, ist nicht weniger spannend. Einmal nutzt er dynamisch mächtig die Basstöne und charakterisiert mit starken Akzenten, dann schöpft er wiederum in filigranen Soprantönen die Klangmöglichkeiten des wunderbaren Konzertflügels aus.

Hommage an Leonz Blunschi
Das überaus gelungene Programm fing schlicht an und hörte schlicht auf. Eingebettet in die Sonate Nr.16, KV 545, der sogenannten «Facile» und den Variationen über das Thema «Ah vous dirai-je maman», wählte Knauer aus der Vielfalt der Mozart-Klavierwerke unterschiedliche Stücke aus, von Dur bis Moll, von unbeschwert heiter zu ernsthaft nachdenklich. So verlieh er dem Dialog der beiden Musikgeister eine lebendige, anspruchsvolle Note.

Am Schluss des Konzerts bedankte sich der Pianist mit dem langsamen Mittelsatz der «Facile», mit deren Anfang er sein Rezital begonnen hat. Dieser melodisch wunderbare Satz, den er in innigster Musikalität wiedergab, widmete er dem kürzlich verstorbenen Ehrenpräsidenten des Menuhin Festivals, Leonz Blunschi, dem er in alter Freundschaft verbunden ist. Knauer bedankte sich auch beim Intendanten Christoph Müller und gab seiner Freude Ausdruck, doch immer wieder Teil dieses Sommerevents sein zu dürfen. Mit diesem ganz persönlich gefärbten Abschied fand ein aussergewöhnliches Konzert mit einer aussergewöhnlichen Musikerpersönlichkeit ein Ende – mit grosser Nachhaltigkeit.

 


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