Das Handeln Gottes in der Schönheit der Natur an uns Menschen

  30.07.2021 Kirche

«Geh aus mein Herz und suche Freud in dieser lieben Sommerzeit an deines Gottes Gaben; schau an der schönen Gärten Zier und siehe, wie sie mir und dir sich ausgeschmücket haben.»

Schönheit ist immer ein Urteil, welches unser Gefallen an sinnlich wahrnehmbaren Gegenständen bezeichnet. Gewöhnlich unterscheiden wir zwischen der Schönheit der Natur und der Schönheit der künstlerischen Werke. Was wir als schön oder nicht schön bezeichnen, war und ist immer dem Zeitgeist unterworfen. Waren in der Antike Symmetrie und Harmonie die Merkmale der Schönheit, so waren es in der Gotik Perfektion und Klarheit. Im Barock wiederum galt als schön, was sich leidenschaftlich ausdrucksund prunkvoll gab. In der Romantik verschob sich das Gefühl für Schönheit vom sinnlich Wahrnehmbaren immer mehr ins Seelische, «die schöne Seele». Gerechtigkeit, Weisheit, Einfachheit, Liebe zum Guten galten mehr als die nach aussen zur Schau gestellte Schönheit. In unserer Zeit, vor allem in der Pop-Bewegung, wird immer weniger zwischen Schönheit und Hässlichkeit, zwischen Kunst und Kitsch unterschieden. Einzig die Schönheit der unberührten Natur scheint für uns Menschen zeitlos zu sein. Diese Tatsache hat einige in der Theologie zu der Aussage animiert, dass die christliche Gemeinde mit der Schönheit der Natur an die ursprüngliche Schöpfungsbestimmung anknüpfen kann, da sie nicht durch die Zeit unter dem Gesetz und der Zeit unter dem Evangelium auseinandergerissen wird. Von Anfang an war sie da und wird ewig nicht enden. Die Schönheit zeigte schon immer auf das Grössere hin, das auf die Welt zukommt. So stand sie im ersten Bund in der Reihe der Propheten. Die meisten von uns würden genauso der Ansicht zustimmen, dass die Schönheit der Natur durchlässig ist für das Geheimnis Gottes. Sie kann von uns weder erschaffen noch herbeigeführt werden. In der Schönheit der Natur zeigt sich eine Ordnung, die höher ist, als unser Verstehen. Es ist mehr, als was wissenschaftlich darüber ausgesagt werden kann. Wohl aus diesem Grund gehört das Kirchenlied «Geh aus mein Herz und suche Freud …» des Lutheraners Paul Gerhard zu den Evergreens. Es wird auch heute noch gern und oft gesungen.

Unsere Vorstellungen über Gott kommen wie alle anderen Vorstellungen zustande. Nämlich mit den persönlichen Lebenserfahrungen. Die Beziehung zu Gott bestimmt nicht nur unsere Wahrnehmung, sondern auch umgekehrt, die Wahrnehmung bestimmt ebenso unsere Beziehung zu Gott. Auch wenn die Grundfragen und Bedürfnisse der Menschen immer die gleichen sind, so werden sie doch in veränderten Verhältnissen anders beantwortet. Menschen, die in Massenstädten leben, wo die Bodenspekulation als Ausnützungsrendite ihr hässliches Antlitz trägt, fragen anders nach Gott, als Menschen, die in einer intakten, unberührten Natur leben. Wir sind in unserem Leben auf Erfahrungen angewiesen, die uns helfen, Gott zu vertrauen und unser Leben zu bewältigen. Die Schönheit der Natur gehört zu diesen Erfahrungen. Sie gehört zu unseren elementarsten Bedürfnissen. Die Schönheit der Natur orientiert uns zu Gott hin, weil wir in der Natur zwangsläufig erfahren, dass wir nicht Herr über all das unablässig entstehende und sich entfaltende Leben um uns herum sind. Wir selber können keiner Blume die Farbe geben, keinem Tauftropfen den Glanz, keinem Tier die Anmut und die Eleganz seiner Bewegungen. «Wo warst du, als ich die Erde gründete?», fragt Gott den Hiob. «Kannst du die Bande der sieben Sterne binden? Oder das Band des Orion auflösen? Kannst du dem Rosse Kräfte geben oder seinen Hals zieren mit seiner Mähne? Kannst du mit dem Leviathan spielen wie mit einem Vogel oder ihn für dein Mädchen an eine Leine binden? Gürte wie ein Mann deine Lenden, ich will dich fragen, lehre mich!» (Hiob, Kapitel 38–40)

Im Buche Hiob erzählen die Tiere, die Blumen, die Berge dem Menschen von ihrer Unerforschlichkeit, von ihrer Verspieltheit. Ob es Gott gibt oder nicht, diese Frage beantwortet die Schönheit der Natur nicht. Dieser Glaube lässt sich nicht durch Rückschluss von der Natur auf Gott erschliessen. Diesen Glauben kann nur haben, wer den umgekehrten Weg geht. Nur wer den Rückschluss aus dem Evangelium auf die Welt macht. Doch wer Gott als Schöpfer von Himmel und Erde bekennt, der sieht in jeder Frucht, in jeder Blume und in jedem Stein Gott als Ursache von überfliessender Fürsorglichkeit. Die Schönheit der Natur hat die Aufgabe, Abbild der göttlichen Zuwendung, die kein Aufwand-Nutzen-Verhältnis kennt, zu sein. Die Blumen, der Storch oder das Krokodil, wozu sind die da? Der Sinn dieser Wesen liegt darin, dass sie das Leben leben, wie Gott es ihnen geschenkt hat. Auch wenn die Schönheit der Natur die Frage nach Gott nicht beantwortet, stellt sie an uns die Frage nach unseren Gottesvorstellungen. Sie fragt uns, nach welcher Autorität wir unser Leben ausrichten. Lassen wir uns beschenken oder reagieren wir mit Undankbarkeit, indem, wie schon Martin Luther festgestellt hat, wir lieber allen nichtigen Dingen nachlaufen, uns Besitztümer anhäufen und vergessen, dass wir ohne Sonnenstrahlen und ohne klares Wasser keinen Tag länger leben möchten. Das Urteil, das der Mensch über seine Umgebung fällt, schlägt auf ihn zurück. Er bestimmt sein Daseinsverhältnis selber. Mit seinen Wahrnehmungen entscheidet er selber, in welcher Wirklichkeit er lebt und welchen Sinn er seinem Leben geben will. Nicht allein, wie etwas vor dem Mensch erscheint, ist wichtig, sondern in welchem Ansehen es vor ihm erscheint. Das Gesicht, das der Mensch der Natur gibt, steht in Relation zu seinem Welt- und Gottesverhältnis. Eine andere Undankbarkeit gegenüber dem Geschenk der Schönheit zeigt sich, wenn wir die Natur fürchten, auf sie unser Vertrauen setzen, eine höhere Erkenntnis aus ihr zu gewinnen suchen oder sie anbeten. Unser Verhältnis zur Natur soll Ausdruck des Respekts und der Dankbarkeit gegenüber ihrem Schöpfer sein. Wir sollen die Naturschönheit auch nicht religiös verehren. Denn das würde heissen, das Haus mit dem Bauherrn zu verwechseln. Das einzig richtige Verhältnis zur Schönheit der Natur ist die Freude an ihr. Nur die Freude und der Dank ist die rechte Rede von Gott. So wie es in der achten Strophe des Liedes steht:

«Ich selber kann und mag nicht ruhn; des grossen Gottes grosses Tun erweckt mir alle Sinnen; ich singe mit, wenn alles singt, und lasse, was dem Höchsten klingt, aus meinem Herzen rinnen.»

KORNELIA FRITZ


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