Weshalb die Zeitung überlebt

  23.07.2021 Kultur

Unter diesem Titel hat sich Manfred Papst unter der Rubrik «Zugabe» in der «NZZ am Sonntag» vom 27. Juni über die Verwendung von gedruckten Zeitungen Gedanken gemacht. Und unsere Leserin Franziska Haldi hat ihm mit einem «kleinen aperçu», wie sie es nennt, geantwortet.

Letzten Montag hat es mich so richtig verregnet. Das Unwetter erwischte mich auf dem Heimweg. Blitze zuckten, das Wasser prasselte, vermischt mit Hagel, auf die Strasse; innerhalb von Minuten schluckten die Gullys es nicht mehr. Ich war bis auf die Haut durchnässt, das Wasser lief in Bächen an mir herab. Meine Kleider wrang ich aus, Banknoten und Ausweise hängte ich an die Wäscheleine, die Schuhe stopfte ich mit zusammengeknüllten Zeitungen aus. Sie waren auch nach Tagen noch feucht, obwohl ich den Vorgang mehrmals wiederholte.

Natürlich war ich ein bisschen stolz, dass ich nicht in irgendeinen banalen Regen geraten war, sondern in einen Sturm, der sogar in den Nachrichten kam. Vor allem aber machte das Erlebnis mir klar, dass die gedruckte Zeitung allen Unkenrufen zum Trotz doch noch eine Funktion hat. Ich jedenfalls wüsste nicht, wie ich mit der Online-Ausgabe meine nassen Schuhe ausstopfen sollte. Da helfen auch alle Klicks und Links nicht weiter.

Kein Papier eignet sich zum Ausstopfen von Schuhen so wie alte Zeitungen: Klo- und Haushaltspapier nicht, Papiertaschentücher schon gar nicht. Watte kann man vergessen. Die herausgerissenen Seiten entbehrlicher Bücher sind zu wenig saugfähig und verweigern sich, steif, wie sie sind, dem sachdienlichen Zusammengeknüllt-Werden.

Natürlich stellt sich die Frage, welche Zeitungsseiten sich am besten als Stopfmaterial eignen. Ich empfehle Doppelseiten mit niedrigem farbigem Bildanteil und zurückhaltender Schlagzeilen-Typografie. Was das Alter der Zeitungen betrifft, so gehen die Expertenmeinungen auseinander. Der «K-Tipp» hat sich in dieser Frage nicht festgelegt, zitiert aber eine Leserin mit dem Satz, es sei ohnehin nichts älter als die Zeitung von gestern.

Grundsätzlich kann man sich fragen, ob das Zeitungspapier, mit dem man die Schuhe ausstopft, unbedingt bedruckt sein muss, zumal das Abfärben aufs Innenleder nicht überall gleichermassen beliebt ist. Das Problem besteht jedoch darin, dass unbedrucktes Zeitungspapier auf Rollen angeliefert wird, die mit Gabelstaplern transportiert werden und in kleinen Wohnungen fast zu dominant wirken. Zudem können die Papierpreise beträchtlich schwanken.

Allerdings ist auch das Ausstopfen der Schuhe mit Bezahlzeitungen ein teurer Spass, wenn man sich die Abonnementspreise ansieht. Um diese Kosten halbwegs zu amortisieren, muss man die Zeitungen kreativ nutzen. Dass man sie bloss überfliegt und dann zum Altpapier legt, genügt längst nicht mehr. Man muss sie auch anders verwenden, etwa als bekömmliche vegetarische Zwischenmahlzeit. Ich habe zudem seit letztem Montag immer einen dreieckigen, aus Zeitungspapier gefalteten Hut bei mir, den ich mir beim nächsten Sturm aufsetze.

«NZZ AM SONNTAG»/MANFRED PAPST

Verehrter Freund! Ich wohne in Bern und in Saanen. In Letzterem habe ich Herz und Schriften, Haus und Familie. Der «Anzeiger von Saanen» ist hier wohl jedermanns Leibblatt. Lassen Sie mich die folgende Anekdote erzählen: Ein Bauer kommt mit einem Stück Käse, eingepackt in ein Doppelblatt des «Anzeigers von Saanen», zu seinem Kunden. Der Kunde rügt ihn: «Du bisch e Subarg, der Chees packt me nid i ne Zitig, dä isch ja ganz schwarze.» «Isch guet», antwortet der Bauer, «de will i de em Martin Müller (Vater der heutigen Besitzer Richard und Frank Müller) mitteile, er sölli mer der Anzeiger füra undruckta schicke.» Mit liebem Gruss!

FRANZISKA HALDI, SAANEN
(Abdruck der «Zugabe» von Manfred Papst mit freundlicher Genehmigung der «NZZ am Sonntag» und des Autors)


Image Title

1/10

Möchten Sie weiterlesen?

Ja. Ich bin Abonnent.

Haben Sie noch kein Konto? Registrieren Sie sich hier

Ja. Ich benötige ein Abo.

Abo Angebote