Ein doppeltes Déjà-vu

  27.08.2021 Leserbeitrag

Erinnern Sie sich noch an das Politikum, welches ich Anfang Juni verfasst habe? Damals habe ich von meinen Erfahrungen mit dem Covid-Zertifikat in Österreich geschrieben. Davon, wie problemlos es funktioniert und wie viel Private, Firmen und der Staat tun, um dieses System möglichst einfach für alle zum Funktionieren zu bringen. Ich habe damals kritisiert, dass das damalige Schweizer System der österreichischen Lösung meilenweit hinterherhinkt.

Und wir hinken immer noch: Die Diskussion, welche in Österreich im Mai geführt wurde, führen wir jetzt Ende August. Der Bundesrat kann sich immer noch nicht dazu durchringen, klare Massnahmen auch gegen Widerstände einzuführen. Vorgestern hat er immerhin bekanntgegeben, dass eine Ausweitung der Zertifikatspflicht in die Vernehmlassung der Kantone geschickt werden soll. «Immerhin» könnte man sagen. Es ist aber nicht so: Wie schon im Frühling wird eine allfällige Einführung der Zertifikatspflicht so spät erfolgen, dass schon längst viel härtere Massnahmen angebracht wären (und kommen werden, mit entsprechender Verspätung).

Das wiederum bringt mich zum zweiten Déjà-vu. Wieder nähert sich der Herbst mit grossen Schritten, nur mit Aussengastronomie sind die Leute nicht mehr zufriedenzustellen. Und wieder läuft die Schweiz sehenden Auges in eine grosse Infektionswelle. Natürlich haben sich im Vergeich zum Herbst 2020 viele Faktoren grundsätzlich verändert: Rund die Hälfte der Bevölkerung ist geimpft, wir wissen mehr über die Krankheit und deren Heilung. Es gibt aber auch eine neue, ansteckendere Variante. Und nicht zu vernachlässigen ist, dass die gesamte Bevölkerung ein weiteres Jahr mit Coronaeinschränkungen hinter sich hat. Zwar haben sich die Faktoren in alle Richtungen verändert, eine Konstante aber bleibt: Die Situation ist nach wie vor unberechenbar.

Das kann man keiner Politikerin und keinem Politiker zum Vorwurf machen, klar. Aber nach wie vor zieren sich Politiker in der ganzen Schweiz, Entscheidungen zu treffen. Und das ist und bleibt die schlechtestmögliche Lösung für eine Krise.

Wenn wir das am Beispiel der Covid-Zertifikate illustrieren wollen, tönt das dann so: Anstatt wie in Österreich ein Zertifikat einzuführen und dann gemeinsam so daran zu arbeiten, dass es für alle stimmt, hören wir hierzulande immer noch zu, wenn militante Massnahmengegner gegen ein Zertifikat wettern.

Ein aufmerksamer Leser wird jetzt wohl merken, dass dieses Zögern tatsächlich einen praktischen Hintergrund hat: Schon bald stimmen wir über das Covid-Zertifikat ab. Aus meiner Sicht stehen die Chancen gut, dass es an der Urne bachab geschickt wird. Das wäre auch ziemlich logisch: Bis jetzt wurden die Möglichkeiten des Zertifikats nämlich bei Weitem nicht ausgeschöpft. Und wenn alle Beizen und Sportanlagen so oder so geöffnet sind, fehlen dem Zertifikat auch die Möglichkeiten, seine Nützlichkeit unter Beweis zu stellen.

In diesem Fall hoffe ich auf ein drittes Déjà-vu: Dass nämlich entgegen meiner Befürchtung ein Covid-Gesetz an der Urne angenommen wird. Dann können wir noch einmal versuchen, aus dieser Krise gemeinsam einen Weg zu finden und uns nicht in Grabenkämpfen zu verlieren. [email protected]


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