Schmaus für Ohren, Geist und Seele

  20.08.2021 Gstaad, Kultur, Saanen

Die zwölf Cellisten – darunter eine Cellistin – der Berliner Philharmoniker demonstrierten nicht nur die enorme Bandbreite an Tönen, die man einem Violoncello entlocken kann, sondern bewiesen auch eine humoristische Note ihres Schaffens. Klassisch locker oder locker klassisch?

KEREM S. MAURER
Die Kirche in Saanen war am Montag gleich zweimal ausverkauft. Dies deshalb, weil bedingt durch die BAG-Massnahmen nur rund 300 Personen gleichzeitig den Cellisten der Berliner Philharmoniker lauschen durften. «Dass die 12 Cellisten bei uns im Rahmen des Gstaad Menuhin Festivals auftreten, ist eine grosse Ehre für uns», sagte Artistic Director Christoph Müller. Entsprechend gespannt war das Publikum, als die Virtuosen, inklusive einer Virtuosin, mit ihren Violoncelli begleitet von erwartungsvollem Applaus den Chor der Kirche betraten, wo sie sich schwungvoll in Position brachten. So schwungvoll, dass einer von ihnen die säuberlich gebüschelten Notenblätter mit einer einzigen geschmeidigen Bewegung vom Notenständer fegte. «Das kann jetzt eine Weile dauern, bis diese wieder sortiert sind», sagte jener Cellist ganz links aussen, der zu Beginn des Konzertes die viel zitierte erste Geige spielte, mit einem Schmunzeln auf den Lippen – wohl froh, dass das Missgeschick nicht ihm passiert war. Das Publikum lächelte verständnisvoll zurück – das Eis war gebrochen.

Streichen, zupfen, schrummen und klopfen
Was dann dem Publikum, das zwischen den einzelnen Konzertabschnitten nicht nur freudig applaudierte, sondern auch laut Bravo rief, geboten wurde, war ein Schmaus für Ohren, Geist und Seele. Die Berliner Philharmoniker entlockten ihren Instrumenten Töne, Klänge und mitunter auch beinahe seltsam anmutende Geräusche, die ein Laie wohl kaum von einem Cello erwartet hätte. Da wurde über die Saiten gestrichen, an ihnen gezupft, über sie geschrummt und sogar auf die Instrumente geklopft. Wie würden Sie jemandem, der keine Ahnung von Cellomusik hat, den heutigen Abend erklären? Diese Frage beantwortete Christoph Müller so: «Wir erlebten die enorme Breite des Klangspektrums eines Violoncellos und die mannigfaltigsten Möglichkeiten, diesen tollen Instrumenten verschiedenste Töne zu entlocken.» Speziell sei auch, dass die Musikstücke, welche von den Cellisten interpretiert wurden, erst für die Violoncelli umgeschrieben – sozusagen für sie übersetzt – und arrangiert werden mussten, erklärte Müller. Sehr viel Aufwand, der sich offensichtlich gelohnt hat.

«Ganz fantastisch!»
Nach dem Konzert war das Publikum allenthalben begeistert. Auf die Frage, ob es ihr gefallen habe, fragte eine Besucherin überrascht zurück: «Ihnen etwa nicht?» Man war sich einig: Was diese zwölf Cellisten geboten haben, war ganz grosse Klasse. Am Ende des Artikels darf ich mich als jener Laie outen, der von Cello keine Ahnung hat. Ich war begeistert, wie einfach es mir gefallen war, einen Zugang zu dieser Musik zu bekommen, ohne sie verstehen zu müssen. Aber vielleicht machte gerade das die Genialität dieser zwölf Musiker aus: Sie erreichten mich auf einer Ebene jenseits des wissen wollenden Verstandes. Ob alle Töne getroffen und sauber gespielt worden waren, weiss ich nicht und es ist mir auch egal. Denn mir hat es gefallen. Und das, was diese Musik am Montagabend in mir auslöste, war weit mehr als das Wissen über ihre Reinheit es je vermocht hätte. Ich war erstaunt über die lockere Atmosphäre, weil zwischendurch über die humoristischen Darbietungsweisen gelacht werden durfte, aber auch über die unverkrampfte Spielfreude der Virtuosen. Zudem freute ich mich insgeheim darüber, die eine oder andere Melodie erkannt zu haben. Aus meiner Sicht war es ein gelungener Abend und etwas, das ich auf jeden Fall wiederholen werde. Christoph Müller bestätigte letztlich mein Gefühl mit den Worten: «Diese zwölf haben das heute ganz fantastisch gemacht!»


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