Unterschätztes Potenzial der naturliebenden Lifestyle-Gäste

  20.08.2021 Leserbeitrag, Tourismus

Ökotouristen hätten wenig Geld und seien sparsam. Ein Klischee, das wir aus den 1980er-Jahren kennen, als die sanften Naturliebhaber belächelt wurden. Diese eingefahrenen Vorstellungen sind aber längst überholt, wie zahlreiche Studien belegen. Naturliebende Touristen leisten sich heute eine bessere Unterkunft, kaufen lokal und damit oft teurer ein und leisten sich zwischendurch persönliche Guides.

Dass Ökotourismus keine Nische mehr ist, sondern ein florierendes Geschäftsfeld, zeigt eine neue Umfrage der Buchungsplattform Booking. Sie besagt, dass 74 Prozent aller zahlungskräftigen 46- bis 55-Jährigen nachhaltig reisen möchten. Der Anteil ist höher als bei jungen Erwachsenen. Und Jürg Schmid, langjähriger Direktor von Schweiz Tourismus, kam in seiner neusten Studie zum Schluss, dass die Schweiz die Reisemotive und Bedürfnisse der Ökotouristen nur ungenügend verstehe und deshalb das Potenzial der neuen Öko-Lifestyle-Reisenden unterschätze.

Es lohnt sich also, auf naturliebende Lifestyle-Gäste zu setzen. Beispielsweise sollten wir vermehrt exklusive geführte Touren in Kleinstgruppen in die Natur anbieten: Pilze aufspüren, Auerhähne, Gämsen oder Luchse belauern, Steinadler mit ihrer Spannweite von über zwei Metern beobachten und filmen. Sie ziehen naturliebende sensible Touristen an. Gefragt sind auch Übernachtungen in der Wildnis, kombiniert mit einem kulinarischen Angebot.

Vorbild Hochmoor Habkern
Kritische Stimmen werden den Naturschutz ins Feld führen und monieren, dass weder die raren Alpenpflanzen noch scheue Wildtiere bedrängt werden dürfen. Der sorgsame Umgang mit unserer Natur ist ganz im Sinn der Destinationsentwicklung. Die Destination Gstaad orientiert sich an Vorbildern wie beispielsweise der Moorlandschaft Habkern–Sörenberg, die unter Naturschutz steht. Aufgrund eines ausgeklügelten Besucherinformationsund Lenkungskonzepts werden die Gäste durch Ranger und andere Fachpersonen für den Lebensraum und die Eigenarten von Fauna und Flora sensibilisiert. Steinböcke werden aus sicherer Distanz beobachtet und wenn über Soldanellen und Knabenkraut informiert wird, die am Wegrand wachsen, werden die Wanderwege nicht verlassen. Die Besucher werden schonend durch die Natur gelenkt, wertvolle Pflanzen geschützt und Tiere in ihrem natürlichen Lebensraum nicht bedroht. Die Ranger sorgen mit Sensibilisierungsmassnahmen ebenfalls für die Durchsetzung von Geboten und Verboten. Sie machen Hundehalter auf die Leinenpflicht und Wildcamper auf das Campingverbot aufmerksam.

Bewusstsein für Natur fördern
Wenn wir es richtig anpacken, können wir also einzigartige Naturerlebnisse schaffen, ohne die Natur zusätzlich zu bedrängen. Das Konzept dazu erarbeitete Gstaad Saanenland Tourismus vor einem Jahr. Die vorhandenen Naturjuwelen sollen einfühlsam geschützt, das ÖV-Netz optimiert und die Signalisation von Wander-, Bike- und Winterwanderwegen verbessert werden. Wir wollen Rastplätze bestimmen und Grillstellen einrichten. Damit lenken wir unsere naturliebenden Gäste, verhindern, dass sie sich überall bewegen und bieten zudem willkommenen Komfort. Kursprogramme, Führungen, Informationspunkte, Einrichtungen und Material fördern das Bewusstsein der Erholungssuchenden. Erste Erfahrungen sammeln wir in Lauenen, wo seit dem Frühjahr ein Ranger mit Rat und Tat zur Verfügung steht.

Öko- und Agrotourismus verbinden
Ökotourismus und Agrotourismus liegen nahe beieinander. Deshalb verbinden wir in der Destination Gstaad die beiden Tourismusarten. Für Gäste aus Städten ist es ein eindrückliches Erlebnis, beim Herstellen von Alpkäse auf dem offenen Feuer zuzusehen. Sie geniessen ein Älpler Zmorge mit hausgemachter Butter, Konfitüre, Alpkäse, Ziger, Schluck und Nidle sowie Holzofenbrot. Ein Molkebad entspannt die Haut, nährt sie und beugt Infektionskrankheiten wie Neurodermitis vor. Beim Wildheuen kommen Kinder und Erwachsene ins Schwitzen.

Nur wenige Bergregionen – das wissen wir alle – sind der Tradition so nahe geblieben wie das Saanenland und die angrenzenden Gebiete. Die Authentizität der Bevölkerung und die Ehrlichkeit der lokal hergestellten Produkte sind bemerkenswert. Nutzen wir also das wachsende Potenzial der naturliebenden Lifestyle-Gäste und kreieren wir Angebote, um den Gästen unsere Natur, Kultur und Tradition genussvoll zugänglich zu machen, ohne sie auszubeuten.

FLURIN RIEDI

TOURISMUSDIREKTOR [email protected]


Image Title

1/10

Möchten Sie weiterlesen?

Ja. Ich bin Abonnent.

Haben Sie noch kein Konto? Registrieren Sie sich hier

Ja. Ich benötige ein Abo.

Abo Angebote