Ein Hauch englisches Flair – mit Heimspiel

  03.09.2021 Kultur, Interview

Das Abschlusskonzert des diesjährigen Gstaad Menuhin Festivals steht ganz im Zeichen des englischen Films und der Filmmusik. Neben dem bekannten Dirigenten Kevin Griffiths wird auch der Schönrieder Cédric Gyger auf der Bühne stehen. Wir haben mit beiden gesprochen.

KERSTIN BÜTSCHI

Kevin Griffiths, wie fühlt es sich an, als gebürtiger Engländer die Leitung einer «Soirée der englischen Filmmusik» innezuhaben?
Zur englischen Musik spüre ich eine tiefe Verbundenheit. Komponisten wie Vaughan Williams, Edward Elgar, Benjamin Britten, Gustav Holst oder Malcolm Arnold erwecken in mir Heimatgefühle und beschwören Erinnerungen aus meiner Kindheit herauf. Ich lebe seit meinem zweiten Lebensjahr in der Schweiz, aber wir besuchten Familie und Freunde, besonders meine Grosseltern, mindestens einmal pro Jahr. Sie lebten mitten auf dem Land in einem Cottage in Suffolk, in der Nähe von Snape Maltings, wo das Aldeburgh Festival stattfindet, welches von Benjamin Britten im Jahr 1948 initiiert wurde. Mein Grossvater war Dirigent, Organist, Violinist und Schuldirektor. Er kannte Britten oder die Familie Holst persönlich. Das alles hinterliess bei mir starke Eindrücke.

Englische Komponisten liessen sich oft musikalisch von der heimatlichen pastoralen Landschaft, den Küsten und deren launischen Meereswogen und dem Himmel inspirieren, schilderten aber auch humorvolle und kriegerische Zustände. Diese Merkmale fliessen auch in die englische Filmmusik ein, doch entwickelt sie zugleich ihren ganz eigenen Charakter. Beispiele aus unserem Programm für Samstag sind Melodien aus Klassikern wie «633 Squadron», «Miss Marple» oder «Ladies in Lavender» – letzteres werden wir mit der «Menuhin’s Heritage Artist» Bomsori Kim spielen. Eine ganz andere Seite der britischen Filmmusik offenbart James Bond. Es ist mir eine grosse Freude, einen Hauch englisches Flair nach Gstaad bringen zu dürfen.

Worauf freuen Sie sich am Samstag am meisten?
Ich bin bereits seit einigen Jahren am Gstaad Menuhin Festival zu Gast und liebe es, die Mischung aus Berner Oberländer Bergluft und dem international angehauchten Duft des Festivals zu schnuppern. Dass ich nun mit dem City Light Symphony Orchestra das Abschlusskonzert des Festivals dirigieren darf, ist mir eine Ehre.

Dass die Musik eine wesentliche Rolle in Ihrem Leben einnimmt, ist klar. Welche Bedeutung nimmt der Film ein?
Filme gehörten schon immer in mein Leben. Als kleiner Junge wollte ich mal Schauspieler werden. Ich träumte gar davon, auf grossen Bühnen zu stehen, im Theater zu spielen oder auch in der Filmindustrie zu arbeiten. Die Leidenschaft für die Musik aber gewann die Oberhand, und so ist es für mich etwas Besonderes, die beiden Welten miteinander verbinden zu können. Der Film hat für mich – seit ich mit dem City Light Orchestra verbunden bin – an neuen Dimensionen gewonnen.

Unterscheidet sich Filmmusik von «normalen» Stücken?
Die Ursprünge der Musik finden wir vermutlich bereits in prähistorischen Zeiten, in grundlegenden Funktionen wie ein Kind in den Schlaf zu singen, Jagdsignale zu spielen, Zeremonien oder religiöse Riten zu umrahmen. Sie war und ist also im sozialen Verhalten der Menschen inbegriffen. Was ich damit sagen möchte ist, dass Musik tief in uns etwas bewegen und vielem Bedeutung schenken kann. Das haben alle Formen der Musik gemeinsam.

Filmmusik wird zum Film komponiert. Sie unterstreicht oder vertieft die Erzählung. Das kann auch die klassische Musik, wir unterscheiden aber seit dem frühen 19. Jahrhundert zwischen Absoluter Musik – Musik, die für sich selbst spricht – und Programmmusik – Musik für aussermusikalische Inhalte. Die Filmmusik zählt in der Regel zu keiner dieser beiden Ausprägungen, obwohl hier musikalische Textausdeutungen oder auch Leitmotive vorkommen.

Oft wurden der Filmmusik Vorurteile angehängt. Es war eine Schande für einen klassisch ausgebildeten Komponisten, seine Kunst dem Film zu widmen. Sie wurden als Komponisten zweiter Klasse gesehen. Dennoch gab es in den Golden-Age-Jahren von Hollywood, also in den 1930er- und 1940er-Jahren, «ernste» Komponisten wie Erich Wolfgang Korngold oder Elmer Bernstein, später auch John Williams, die es wagten, für Filme vollsinfonische Musik mit Anlehnung an absolute Formen zu komponieren. Deswegen haben wir heute so viel gute Filmmusik, welche auch ohne Film und abseits der Bilder bestehen kann.

Welches ist Ihrer Meinung nach der Film mit der schönsten Filmmusik?
Ich möchte diese Frage beantworten, aber es scheint mir unmöglich zu sein. Dafür gibt es eine zu grosse Vielfalt. Dazu kann ich nur sagen, dass ich weiterhin sicherlich noch ganz viel grossartige Filmmusik entdecken werde.


Cédric Gyger, welches ist Ihrer Meinung nach der Film mit der schönsten Filmmusik?

Schwierig, es gibt definitiv nicht nur einen Film. Die Filmmusik zum James-Bond-Film «Casino Royale» ist für mich als Schlagzeuger interessant, denn sie verfügt über viel «Drive». Ansonsten finde ich alles von John Williams beeindruckend. Er hat es geschafft, eine Welt zu schaffen und Musik zu komponieren, die immer wieder erkannt wird, denken wir nur an «Peter Pan», «E.T.» oder «Harry Potter». Aber auch die Musik aus Produktionen von Disney oder Pixar sind grossartig.

Am Samstag wird das City Light Orchestra live die Filmmusik zu Filmpassagen spielen. Wie erleben Sie als Musiker ein solches Konzert?
Die Stücke sind teilweise extrem schwierig zu spielen, aber immer wieder eine tolle Herausforderung. Es gibt nichts Schlimmeres, als wenn der Ton asynchron zur Handlung im Film läuft. Es muss alles perfekt stimmen und gerade das Tempo muss genauestens im Auge behalten werden. Spannend ist, dass wir als Orchester bei solchen Konzerten die Funktion des Begleitens einnehmen. Wir sind für die Atmosphären im Film zuständig, für Schreckmomente beispielsweise spiele ich am Schlagzeug eine wichtige Rolle.

Haben Sie ein Ritual vor einem Konzertauftritt?
Früher war ich vor jedem Auftritt sehr nervös. Über die Jahre habe ich gelernt, mit der Nervosität umzugehen. Sie gehört einfach dazu. Vor Konzerten sitze ich jeweils bis zu einer halben Stunde für mich in einer Ecke, mit geschlossenen Augen und visualisiere zum Beispiel nochmals die schwierigen Stellen. Auf der Bühne stelle ich mir auch immer wieder vor, dass ich zu Hause vor ein paar Freunden ein Konzert spiele.

Was bedeutet es für Sie, in Ihrer Heimat auf der Bühne zu stehen?
Das Gefühl ist schwierig zu beschreiben, aber «heimelig» fasst es wohl am besten zusammen. Ich kenne das Festivalzelt, die lokale Kultur und die Leute. Obwohl es mein Job ist, fühlt es sich wie Ferien an, im Saanenland zu spielen.

Sie spielen seit rund zehn Jahren immer wieder auf der Festivalbühne in Gstaad. Welche Emotionen weckt das bei Ihnen?
Es macht mich sehr stolz! Ich empfinde es als noblen Moment, dass ich auserwählt bin, auf dieser Bühne zu spielen. Schon nur, weil zahlreiche weltberühmte Persönlichkeiten auch schon hier musiziert haben. Im Saanenland kommen auch viele Leute wegen mir ans Konzert. Das weckt bei mir den Sportsgeist und spornt mich an. Ein Heimspiel ist immer etwas Spezielles!


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