Das Klima bereitet einer 15-Jährigen Sorgen

  05.10.2021 Porträt, Serie

Gina Lanz ist eine aussergewöhnliche junge Frau. Ihr liegen Klavierspiel und Freundinnengespräche näher als Instagram und Tiktok. Gedanken macht sie sich über ihre Zukunft – und die des Planeten Erde.

BLANCA BURRI

Dürfte man sich momentan die Hand reichen, hätte Gina Lanz einen festen Händedruck, da bin ich mir sicher. Die junge Frau mit dem natürlichen, goldrot glänzenden Haar lässt mich an einem nasskalten Mittwochmorgen ins elterliche Eigenheim in Saanenmöser ein. In der modernen Wohnküche nehmen wir an einem wunderschönen Eichenholztisch Platz und geniessen erst einmal den Ausblick über die Rossweid. Dort grasen zwar keine Pferde, in aller Herrgottsfrühe ästen dort jedoch Rehe, erzählt die Gymnasiastin.

Dass sie gerne klassische Musik spielt, sieht man Gina Lanz nicht an. Eher gäbe man ihr sportliche Hobbys, was ebenfalls zutrifft. Sie trainiert in der alpinen Ski-JO, wandert, klettert mit der Familie und fährt mit dem E-Bike nach Gstaad zur Schule. Den Mittag verbringt sie im Schulhaus. «Ich mag es, mit meinen Schulkollegen herumzualbern oder auch über Nachhaltigkeit zu diskutieren», sagt sie. Freundschaften sind neben dem Klavierspielen wohl der grundlegendste Ausgleich zum Alltag. «Ich höre meinen Freunden gerne zu und vertraue ihnen meine Sorgen an.» Mit den Freundinnen verabredet sie sich ab und zu bei jemandem zu Hause, denn: «In den Ausgang mag ich nicht, das ist nicht so Meines.» Sie schmunzelt, dass sie deshalb sogar die Country Night links liegen gelassen habe, bei dem das halbe Saanenland anzutreffen ist.

Statt in den Ausgang zu gehen, sitzt Gina Lanz lieber am Klavier, das im Musikzimmer der musikalischen Familie steht. Ein Bach- oder Mozartkind ist sie aber nicht. Debussy liegt ihr näher, seine anspruchsvollen melodiösen Stücke liebt sie: «Sie lassen mir viel Interpretationsspielraum.» Das mache Spass und sei besonders schön. Die Klavierlehrerin hat einen grossen Anteil an ihrer Passion. «Sie ist eigentlich eher eine Freundin als eine Klavierlehrerin.» Und so macht es Gina Lanz auch nichts aus, dass der Unterricht nach einem strengen Schultag stattfindet. «Mein Kopf wird ganz frei.» Danach sei die Heimfahrt durch die abendliche Dunkelheit schön, alle Gedanken und Sorgen des Tages verflogen und der Stress vergessen.

Obwohl Gina Lanz das Klavierspielen liebt und Starpianistinnen wie Khatia Buniatishvili bewundert, kann sie sich nicht vorstellen, einmal selbst Pianistin zu werden. Als Grund nennt sie den finanziellen Aspekt: «Von den Auftritten alleine kann man nicht leben.» Sie müsste nebenher noch unterrichten oder andere Engagements annehmen, das ist für die sicherheitsbedachte Jugendliche nicht der richtige Weg.

Im Moment liegt der Fokus auf der Schule. «Mir fällt das Lernen ziemlich leicht und ich habe viele Interessen.» Biologie, Geografie und Geschichte liegen ihr besonders gut. Und Englisch. Dafür macht sie eine Lehrerin am Schule ging. «Sie war sehr gut. Das merke ich erst jetzt, da ich sehe, was ich alles schon weiss.» Die ganze Berufswahl nervt die Jugendliche ein wenig. Sie findet es extrem früh, sich bereits als 14- oder 15-Jährige festlegen zu müssen. «Diese Entscheidung in einem Alter zwischen der behüteten Kindheit und der Selbstständigkeit des Erwachsenseins finde ich schwierig.» Sie ist froh, dass sie den Gymer besucht und dass es bei ihr einfach läuft. «Nur mache ich mir ein bisschen viel Druck», meint sie. Sie sei oft recht nervös, vor allem vor wichtigen Prüfungen. Deshalb bewundert sie ihre Schwester Chiara, die alles mit einer gewissen Leichtigkeit meistere.

Und wie hat es Gina Lanz mit den Social Media? «Fast alle haben Tiktok und Instagram», sagt sie, «ich will die aber einfach nicht herunterladen, weil sie süchtig machen.» Ihr Pragmatismus ist für eine so junge Frau einzigartig. Sie findet bereits ihren Youtube-Konsum bedenklich. «Eigentlich könnte ich in dieser Zeit besseres machen, zum Beispiel rausgehen.» Wenn sie am Wandern ist oder mit ihrer Freundin ein Fotoshooting in der Natur macht, kann sie nicht verstehen, weshalb sie manchmal so lange im Internet herumstöbert. «Aber am nächsten Tag bin ich trotzdem wieder am Handy», bedauert sie. Obwohl die gewissenhafte Jugendliche keine Tiktokerin und Instagramerin ist, wird sie von ihren Freundinnen und Kollegen respektiert. «Meine Freunde machen mir die Apps immer wieder schmackhaft, aber sie grenzen mich nicht aus.»

Was fehlt der Gymnasiastin im Saanenland? «Eine breitere Auswahl an Angeboten für Jugendliche.» Theater würde sie beispielsweise interessieren. Sie hat bereits bei der Kinderaufführung des Menuhin Festivals mitgespielt. «Das war toll.» Aber eben, viele Alternativen gebe es nicht, und wenn sie das Wahlfach Theater am Gymer besuche, müsse sie einmal wöchentlich nach Interlaken reisen.

Bevor sich Gina Lanz ans Klavier setzt und fehlerfrei Debussy intoniert, geht sie auf ein ernstes Thema ein. «Ich habe ein wenig Angst vor dem Erwachsenwerden. Was ist, wenn sich das Klima sich so stark verändert, dass es nicht mehr cool ist, auf der Erde zu leben?» Natürlich sehe sie die Bemühungen aller, die Klimaerwärmung zu stoppen. Die 15-Jährige sagt dies mit einem grossen Aber. Für sie wird an den Klimagipfeln jeweils vor allem geredet, nicht aber gehandelt. Nach ihr passiert zu wenig. Deshalb fordert Gina Lanz: «Diejenigen, die an der Macht sind, sollen etwas unternehmen!» Danach setzt sie sich ans Klavier und spielt sich den Kopf sorgenfrei.

Wovon träumen die jungen Menschen des Saanenlandes und wie gestalten sie ihr Leben? Die Serie «Jung und ...?» gibt ihnen eine Stimme. Die Porträtierten wählen selbst eine Nachfolgerin oder einen Nachfolger. Gina Lanz hat als Nächstes Lucien von Grünigen nominiert.


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