Die Suche nach dem weiblichen Teil seines Selbsts

  12.10.2021 Region

Sieben Jahre lang schrieb Jean-Paul Lutz an seinem Buch «Die falbfarbene Löwin». Der heute 74-jährige Autor dürfte im Saanenland noch aus seiner Zeit als Pfarrer bekannt sein.

SONJA WOLF
Autor Jean-Paul Lutz hat ein Alter Ego kreiert: Es ist der Protagonist Jean im Roman «Die falbfarbene Löwin». Jean sucht (und findet auch) über mehr als 600 Buchseiten hinweg das Weibliche in sich. Es ist ein Mann, der sich seit seiner Kindheit mit der sogenannten «Göttlichen Ordnung» beschäftigt und als evangelischer Theologe und Pfarrer den weiblichen – warum nicht auch den göttlichen? – Teil seines männlichen Seins ergründet, um sich damit selbst zu erkennen.

Schluss mit patrizentrischen Denkmustern
Bereits in der Buchbeschreibung erfährt die Leserin und der Leser: «Der Himmel ist offen. Es gibt weder einen Gott noch eine ‹Göttliche Ordnung›. Und doch war gerade diese ‹Ordnung› aus den Vorstellungen von vorwiegend männlichen Menschen schon sehr früh geboren worden.»

Genauer gesagt vor ca. 3500 bis 1000 vor unserer Zeit, als das «patrizentrische Kriegszeitalter» (Kirsten Armbruster) entstand – und damit ein männlich geprägtes Menschen- und Gottesbild, das sich auch in der biblischen Schöpfungsgeschichte niederschlug. Jean hat schon als Kind solche Denkmuster abgelehnt.

«Diese Vorstellung herrscht bis heute in den Weltreligionen: dass der Mann Gott sei und die Frau bloss ein Ding – was in der Geschichte auf die Ausübung der Frauenrechte, die ökonomische und soziale Gleichstellung, das Recht auf Bildung und die Emanzipation für Mädchen und Frauen fatale Folgen hatte», bekräftigt Autor Lutz auf Nachfrage. Deshalb müsse sich die Frau ihr Recht auf eine Gottheit nach ihren biologischen, spirituellen, sozialen und politischen Bedürfnissen zurückerobern, damit sie die Schöpfungsgöttin werden kann, die sie einst gewesen war. Der Mann könne dazu beitragen, wenn er lernt, seine Macht über die Schöpfung abzugeben und mit der Frau zu teilen – zum Wohl aller Lebewesen.

Reifen der Idee im Saanenland
Der 1947 geborene Theologe und Autor Lutz arbeitete von 2012 bis 2013 mit seinem Kollegen Bruno Bader im Pfarrteam mit. Bekannt als Paul-Johannes Lutz hielt er seine vielleicht «etwas anderen» Predigten. Nach einer schweren Herzerkrankung und anschliessender Operation verliess er Gstaad und zog nach Südfrankreich, um sein länger geplantes Buchprojekt zu realisieren: die nun vorliegende autobiografische und mythologische Reise zum weiblichen Teil des Selbsts.

Wo sich dieser Teil wohl verbirgt und wie er sich äussert, findet man/frau bei dieser vielseitigen, geisteswissenschaftlich bereichernden Lektüre.

Lesung mit anschliessendem Gespräch am 22. Oktober, 18 Uhr, Ciné Gstaad, Eintritt frei, Kollekte.
Alle Informationen zum Autor und zum Roman: https://www.relatio.ch/index.php


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