Ewigkeitssonntag-Totensonntag und beginnende Adventszeit

  29.10.2021 Kirche

Am 1. Advent, 28. November, beginnt das neue Kirchenjahr. Vor dem 1. Advent wird der Ewigkeitssonntag, früher Totensonntag genannt, gefeiert. An diesem Sonntag steht das Gedenken an die Verstorbenen im Zentrum des Gottesdienstes. Thema ist die Vergänglichkeit allen Lebens. «Aus der Wanduhr tropft die Zeit», wie es Erich Kästner einst formuliert hat. Denn der Tod wirft zeitlebens böse Schatten in unser Leben hinein, die kein Mensch sehen möchte.

Texte und Symbolik dieses Tages sind düster. Sie tragen apokalyptische Züge und rufen Bilder auf, die man lieber nicht in seinem Kopf hätte. Viele stehen in diesen Tagen an den Gräbern ihrer Geliebten, mit deren Schriftzeichen auf den Grabsteinen sie versuchen, gelebtes Leben seiner endgültigen Vernichtung durch den Tod zu verhindern. Alle, die einen geliebten Menschen verloren haben erleben, dass die Lücke, die Leerstelle, welche die Verstorbene hinterlassen hat, zum Mittelpunkt im eigenen Leben wurde.

Der Tod, der Rätsel aufgibt, sprachlos macht und in vielen Figuren literarisch verarbeitet wurde. So etwa als Mäher mit der Sense, als gelehrter Disputant oder als fetten Beerdigungsunternehmer, der angesichts der Unzahl von Toten im Zweiten Weltkrieg den alten und ohnmächtigen Gott als neuen Gott abgelöst hat. Beschrieben in Wolfgangs Borcherts Hörspiel «Draussen vor der Tür»». Auch die heutigen Strategien, den Tod als Vorgang der Verklärung zum eigentlichen Lebensziel zu sehen, ist keine Antwort auf sein Rätsel.

So stehen wir da, von den eigenen Gefühlen überwältigt und spüren die menschliche Verletzlichkeit und unsere Vergänglichkeit. Die Bibel kennt unzählige Erzählungen, die sich mit Abschied und Trauer beschäftigen. Es wird auch nicht verschwiegen, dass der Abschied nicht immer gelingt. Sie erzählt, wie Menschen lautlos Abschied nehmen. Wie sie zum Abschied gezwungen werden, wie sie sich gegen den Abschied wehren oder wie Menschen im Streit auseinandergehen.

Zum Beispiel Abraham, Urvater unseres Glaubens. Als erster auf dieser Welt fängt er an zu vermuten, dass das Leben kein Kreislauf ist, sondern ein Weg. Als erster wagte er sich auf diesen Weg. Als Fremdling wandert er durch die Wüste und sucht das Land, das ihm Gott versprochen hat. Auf seiner langen Wanderung muss er sich von seiner Nebenfrau Hagar und seinem ersten Sohn Ismael trennen. Auch seinen Weggefährten und Bruder Lot verliert er aus den Augen. Doch Sara, seine Frau, sie bleibt in guten wie in schlechten Tagen an seiner Seite, teilt mit ihm alle Schwierigkeiten in all den Jahren. Nach langen Wanderungen kommen Abraham und Sara in das Land, das ihnen Gott versprochen hat. Ins Land Kanaan. Doch hier gehört ihnen nichts. Keinen einzigen Hektar Land kann sich Abraham zu seinen Lebzeiten erwerben. In diesem fremden Land, in Hebron, stirbt Sara, seine Frau, und er muss einen Ort suchen, wo er sie begraben kann. Abraham sitzt lange neben seiner Frau, beklagt sie und trauert um sie. Fragt sich immer wieder: «Wohin geht so ein letzter Atemzug?» Er schaut zum Himmel hinauf, die Sterne funkeln, wie wenn nichts passiert wäre. Und es dünkt ihn, dass Gott schweigt, genauso, wie nun auch Sara schweigt. Nur ein kleines Stück des Landes, das ihm Gott versprochen hat, will er für Sara besitzen, danach verlangt sein Herz. Ein kleines Stück von Kanaan, ein kleiner Fetzen Land als Zeichen dafür, dass das Versprechen für ihn in Erfüllung gehen wird. Schliesslich gelingt es Abraham, die Höhle Machpela, östlich von Mamre, für 400 Lot Silber von den Hethitern zu erwerben. Somit wird ein Grab zum ersten Stück Land, zum erstes Stück Grund und Boden, zum Hoffnungsträger für eine Zukunft, die unsere Lebenszeit überdauert. Zum Ort der Verheissung.

Auch wir stehen wie Abraham vor Gräbern. Wer Abschied nehmen muss und weint, ist von der Welt der Lachenden ausgeschlossen und oft sehr einsam. Wir sehnen uns nach Gemeinschaft. Wir sehnen uns nach Hoffnung. Wir sehen uns danach, dass alles wieder gut wird. Wir sehnen uns nach Licht. Nach dem Licht, das uns bereits von der Adventszeit herüberleuchtet. Die beginnende Adventszeit ist der Trost, der aus der Trostlosigkeit der Gräber zu uns herüberschreit. Ende und Anfang begegnen sich hier. Angst, Unerfülltheit und Hoffnung bewegen sich hier aufeinander zu. «Die Grundverfassung unser Leben ist immer adventlich», schrieb Alfred Delp in seiner Zelle, bevor er am Lichtmesstag 1945 durch das nationalsozialistische Unrechtregime hingerichtet wurde. Weiter sagt er: «Das heisst aber, im Grunde bleibt der Mensch ungeborgen und unterwegs und offen bis zur letzten Begegnung.»

Ähnlich sind die Aussagen von vielen Angehörigen, die vor einem Grab stehen. Ein Satz, den ich schon so oft gehört habe, ist: «Ich weiss, dass er nicht hier ist.» Genauso ist es den drei Marien ergangen, die auf zahlreichen Darstellungen abgebildet sind. Neben dem Grab, dem Ort des Todes, kniet vornübergebeugt Maria Magdalena. Sie ist immer gut erkennbar, weil sie in der Malerei oft mit langem, rotblondem Haar, das sie offen trägt, dargestellt wird. Sie blickt nachdenklich, fast fassungslos in das geöffnete leere Grab von Jesus. So zum Beispiel im Bild von Adam Elsheimer «Die drei Marien am Grab Christi». Mit der Darstellung des leeren Grabes hat sich Adam Elsheimer an das Verbot, Gott darzustellen, gehalten und gerade dadurch viel mehr über ihn ausgesagt. In dieser Leere, aus dem kein Ton, kein Licht dringt, in dieser Abwesenheit des Lebens begegnen wir der letzten Wirklichkeit, die dem menschlichen Verstand nicht zugänglich ist. «Er ist nicht hier, er ist nicht am Ort des Todes.» Mit diesen Worten bestätigt ein Engel in der Bibel das, was Maria Magdalena sieht bzw. nicht sieht. Es sind die Worte, die seitdem von Millionen von Menschen nachgesprochen wurden und werden, wenn sie am Ort des Todes ihrer Angehörigen stehen. Er ist nicht hier. Meine Frau, mein Mann oder mein Kind ist nicht hier. Mit dieser Aussage bestätigen sie das leere Grab, das vor ihnen liegt, bevor das Grab wirklich leer ist. Mit diesen Worten bestätigen sie die Auferstehung des verstorbenen Menschen. Die Überzeugung, dass das, was unsere Augen sehen, nicht die letzte Realität sein kann. Die Dunkelheit eines Grabes, die Abwesenheit Gottes, kann sich in eine Stimme in uns verwandeln, die von Jenseits des Todes zu uns spricht.

So möchte ich schliessen mit dem bekannten Gedicht von Rainer Maria Rilke:

Die Blätter fallen, fallen wie von weit, Als welkten in den Himmeln ferne Gärten; Sie fallen mit verneinender Gebärde. Und in den Nächten fällt die schwere Erde Aus allen Sternen in die Einsamkeit. Wir alle fallen. Diese Hand da fällt. Und sieh dir andre an: es ist in allen. Und doch ist Einer, welcher dieses Fallen Unendlich sanft in seinen Händen hält.

KORNELIA FRITZ


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