Die Saanengeiss – auch im grösseren Stil wirtschaftlich

  23.11.2021 Landwirtschaft, Saanenland

Im letzten Artikel über die Saanengeiss wurde beschrieben, aus welchen Gründen die Ziegen im Saanenland traditionell in Kleingruppen gehalten wurden (AvS, 27. August 2021). Dies ist auch heutzutage oft noch der Fall, aber nicht immer, und im Ausland sowieso nicht. Ich habe mich auf den Weg gemacht – in Saanen physisch und in Deutschland virtuell –, um auf zwei grösseren Ziegenhöfen den Alltag, ihre Produkte und Herausforderungen unter die Lupe zu nehmen.

MARTIN GURTNER-DUPERREX
An einem sonnigen Spätsommernachmittag mache ich mich zusammen mit Christian und Andrea Schopfer sowie ihren zwei Teenies auf den Weg, um ihrer Saanenziegenherde – frisch zurück von der Alp – oben am Waldrand einen Besuch abzustatten.

Mit 56 Geissen führen Schopfers seit sechs Jahren einen grösseren Ziegenhof auf dem Unterbort in Saanen. «Ich mochte das Rindvieh nicht besonders», gibt der Landwirt unumwunden zu, daher habe er sich kurzerhand für die Saanengeissen entschieden.

Wir nähern uns den Tieren, deren weisses Fell sich klar vom satten Grün der Weide abzeichnet. Offensichtlich vertragen sich die Ziegen auch in einer grösseren Gruppe gut, trotz der üblichen Zankereien. «Wir haben diese Herde selbst herangezüchtet, auch heuer sind fast alle Gibeni trächtig», kommentiert Andrea Schopfer stolz.

Nur mit Nebenverdienst möglich
Ist eine so grosse Ziegenfarm im Saanenland überhaupt rentabel? Von der Farm alleine könnten sie leider nicht leben, so Christian Schopfer. Daher halten sie noch Pferde und arbeiten daneben Teilzeit. Ihre ganze Milch liefern Schopfers an die Molkerei Schönried, in Spitzen-Laktationszeiten rund 80 Kilo pro Tag. Dies sind etwa zweieinhalb Kilo pro Muttertier. «Verglichen mit Kuhmilch verdiene ich je nach Saison das Dreifache pro Kilo Milch», hebt der Züchter hervor. Und nein, käsen möchte er lieber nicht selbst, weil er sonst arbeitsmässig noch stärker gebunden wäre.

«Betreffend Fleisch gibt es sicher noch Luft nach oben, gerade bei Hotels und Restaurants», gibt Schopfer zu bedenken. Er konsumiere und verkaufe aber viel privat und mit der Buure Metzg habe er wie mit der Molkerei einen innovativen und kreativen Abnehmer seiner Produkte gefunden.

Negatives Image
Auf die Frage, warum eigentlich nicht mehr Landwirte auf Saanenziegen umsteigen, antwortet Christian Schopfer: «Die Geiss ist immer noch mit einem negativen Image behaftet. Viele meinen, wer keine Kühe hat, sei kein wirklicher Bauer.» Dabei seien die Ziegen im Unterhalt im Stall nicht aufwendiger und könnten problemlos maschinell gemolken werden. Sie bräuchten zwar aufgrund ihres Charakters mehr Zuwendung und wegen ihres Freiheitsdrangs eine bessere Umzäunung, aber: «Geissen ersparen Landwirten auch viel Arbeit, weil sie auf den Weiden Büsche und sogar Disteln fressen, die sonst mechanisch entfernt werden müssen.»

Wolf und Weidefläche
Bezüglich der Herausforderungen ist sich Familie Schopfer einig: Letzten Winter wurde in der unmittelbaren Nachbarschaft eine gerissene Gämse gefunden. «Früher war der Wolf nur besuchsweise da, nun scheint er das ganze Jahr präsent zu sein», bedenkt Andrea Schopfer. Ausritte im Wald mit dem Pferd mache sie in der Abenddämmerung keine mehr.

«Wir möchten, dass die entsprechenden Stellen und Behörden unsere Sorgen ernst nehmen», so Schopfers. Die Gegenwart des Wolfs hat auch für die Ziegen Folgen: Früher weideten die Tiere nachts, um den Insekten und der Tageshitze zu entgehen. Nun verbringen sie die Nächte eingeschlossen im Stall und müssen auch an heissen Tagen draussen weiden.

Beim Abstieg kommen wir an der Umzäunung der Weide vorbei, die nächstens zum besseren Schutz der Herde mit einem vierten elektrischen Draht verstärkt werden muss.

Apropos Zaun diskutieren Schopfers auch die Frage, ob eine Vergrösserung der Anzahl Tiere in Frage komme. «Klar wäre es toll, aber viel mehr Tiere könnten wir hier gar nicht halten, da die Weidefläche zu klein ist – wie das halt häufig im Saanenland der Fall ist.» Daher seien noch grössere Ziegenfarmen hierzulande nicht sehr realistisch.

Ein Ziegenhof im Münsterland
Mit Wölfen und begrenzter Weidefläche hat der Familienbetrieb mit 200 Mutterziegen von Christoph und Angela Andres in Haltern am See in Nordrhein-Westfalen nicht zu kämpfen – jedoch «eine Alm» hätten sie hier im Münsterland nicht, nur kleine Hügelchen, sagt der Züchter mit einem Augenzwinkern. Zusammen mit Christoph Andres’ Eltern und seinem Bruder betreiben sie das Gut, die Käserei und den Hofladen.

In Deutschland sei die Kleinviehhaltung lange Zeit stark rückläufig gewesen, aber mittlerweile wieder neu entdeckt worden, analysiert der Ziegenbauer die Lage.

Alles habe 1990 mit einer Herdbuchziege begonnen und mit ersten Versuchen, in der Küche eigenen Ziegenkäse herzustellen, berichten die Andres auf ihrer Website. Ab 2001 liess sich Christoph Andres als Molkereifachmann bei einem Schweizer Käsemeister ausbilden. Nachdem der Ziegenbestand aufgestockt worden war, wurde zwischen 2005 und 2007 eine eigene Käserei aufgebaut.

Dafür geboren sein
Zu seinem achten Geburtstag erhielt Christoph als Geschenk von seinem Grossvater seine erste Weisse Deutsche Edelziege (WDE) Lara. Die WDE sind aus weissen deutschen Ziegenschlägen entstanden, die mit Saanengeissen veredelt wurden. «Mit Ziegen leben und arbeiten macht Spass, man muss aber dafür geboren sein!», unterstreicht der begeisterte Ziegenzüchter. Man fühle sich jedem Tier verpflichtet, auch wenn die Herde gross ist.

«Die Tiere weiden auf den hofnahen Wiesen oder werden in den grossen Laufställen von Hand mit selbst angebautem Raufutter und Getreide gefüttert», erklärt Christoph Andres. Gemolken werde morgens und abends mit einem vollautomatischen Dreissiger-Melkkarussell.

Direktvermarktung per Hofladen
Im Hofladen werden neben Ziegenmilch auch Frisch-, Weich- und Schnittkäse, Butter, Joghurt, Eis und Quark im Sortiment geführt – «der Käse mit verschiedenen Kräutern, das Joghurt und Eis mit Früchten», präzisiert Andres. Was das Fleisch betrifft, so werde neben dem frischen Zickleinfleisch auch Dauerwurst aus Alttieren sowie Wurst im Glas angeboten.

Ausserdem werden die Produkte auch über weitere befreundete Hofläden, Wochenmarkthändler, die Gastronomie oder vereinzelt über den Einzellebensmittelhandel vertrieben.

Die Beliebtheit von Ziegenprodukten steige aufgrund der vielen tollen Möglichkeiten, etwas Leckeres und Gesundes daraus zu kreieren, meint der umtriebige Münsterländer. Und beweist damit, dass es wenigstens in Deutschland möglich ist, mit einem grösseren Ziegenhof erfolgreich zu wirtschaften, wenn die Bedingungen stimmen.


«Ziegenprodukte wurden in den letzten Jahren immer beliebter»

Im Interview geben Reto Siegrist, Geschäftsführer der Molkerei Schönried, und Rolf von Siebenthal von der Buure Metzg Gstaad darüber Auskunft, wie es derzeit mit der Verarbeitung sowie der Vermarktung von Ziegenprodukten im Saanenland aussieht und welche Tendenzen sie für die Zukunft sehen.

MARTIN GURTNER-DUPERREX

Reto Siegrist, warum ist die Molkerei Schönried der einzige gewerbliche Verarbeiter von Ziegenmilch im Saanenland?
Da die Verarbeitung der Ziegenmilch viel Know-how voraussetzt und spezielles Equipment braucht, macht es Sinn, sie in einem einzigen Betrieb zu veredeln. Wir verarbeiten die Ziegenmilch der Genossenschaftsmitglieder, aber auch diejenige, die von der Molkerei Gstaad und dem Obersimmental angeliefert wird. Natürlich werden vor allem während der Alpsaison auch Ziegenmilchprodukte von den Älplern direkt hergestellt und vermarktet.

Welche Mengen Ziegenmilch verarbeiten Sie?
In Spitzenzeiten im Mai bis zu 500 Kilo pro Tag, im Dezember nur etwa knapp die Hälfte. Bezüglich Produktionsplanung bringt dies einige Herausforderungen mit sich, da wir im Dezember Hochsaison haben. Mit etwa 100’000 Kilo Ziegenmilch pro Jahr ist die Molkerei Schönried der grösste Verarbeiter von Ziegenmilch im ganzen Berner Oberland. Insgesamt werden daraus zehn Tonnen Ziegenkäse pro Jahr hergestellt und vermarktet.

Welche Ziegenkäsesorten stellen Sie her?
Aus Ziegenmilch produzieren wir eine vielfältige Palette von Weichkäsen über Mutschli bis hin zu einem Hartkäse. Mit dem «Schönriederli» stellen wir auch einen aus Kuh- und Ziegenmilch gemischten Käse her, welcher viele Konsumenten anspricht. Aber auch der Weichkäse und das Mutschli sind Verkaufsschlager.

Ziegenprodukte haben wegen dem besonderen Geschmack bei vielen Leuten immer noch ein negatives Image.
Durch die hygienische, mechanische Melkung und die konsequente Kühlung der Milch ist das heute kein Thema mehr. Im Gegenteil, die Geissenmilch hat einen angenehmen Geschmack und ist wegen dem niedrigeren Fettgehalt besser verträglich als Kuhmilch.

Rolf von Siebenthal, welche Akteure schlachten in der Region Ziegen?
Wir von der Buure Metzg schlachten selber Ziegen und Gitzi. Weiter gibt es in der Region Schlachtungen, die für die Selbstvermarktung und den Eigengebrauch durchgeführt werden. Andere transportieren die Tiere für die Schlachtung nach Thun.

Aus welchem Grund werden sie nach Thun transportiert? Haben Sie nicht genug Schlachtkapazität?
Kapazität hätten wir schon, schlachten aber nur die Tiere, deren Fleisch wir auch brauchen können. Zu Ostern gibt es zum Beispiel genügend Bedarf für junge Gitzi, aber über das Jahr hinweg fast keinen. Aus diesem Grund werden die Überschüsse für den Eigengebrauch geschlachtet oder weggeführt. Es kommt aber auch vor, dass wir auf Anfrage einige Ziegen zusammennehmen und schlachten.

Wie viele Gitzi und Ziegen schlachten Sie pro Jahr?
Wir schlachten zwischen 60 bis 90 Stück pro Jahr, was wenig am Gesamtgeschäft ausmacht.

Welche Fleischprodukte stellen Sie aus Ziegen her?
Gitzifleisch wird meist frisch verwertet und ist jeweils zu Ostern hoch im Kurs. Aus Ziegenfleisch machen wir vor allem Trockenwurst, Kräutersalami und Trockenfleisch. Ziegenfleisch ist übrigens gesund. Es enthält wenig Fett und Cholesterin, dafür viel Eiweiss, Mineralstoffe und Vitamine.

Wie sehen die Markttendenzen für Ziegenprodukte aus?
Reto Siegrist:
Ziegenprodukte wurden in den letzten Jahren immer beliebter. Vor allem auch, weil sie von Personen mit Kuhmilchallergie konsumiert werden können. Das Geschäft läuft gut, der Absatz ist stabil und für die Molkerei Schönried sind diese Produkte ein gutes Standbein. Wir beliefern auch regionale Hotels, Restaurants und Detaillisten mit Ziegenkäse. Dieser positive Trend wird auch in Zukunft anhalten.
Rolf von Siebenthal: Sicher ist Ziegenfleisch ein emotionales Thema. Viele Leute sind es nicht gewohnt, solches Fleisch richtig zuzubereiten. Trotzdem müssen die überschüssigen Tiere verwertet werden. Aufgrund von einigen guten Kunden, darunter auch aus der Gastronomie – an die wir dieses Jahr immerhin eine Vierteltonne Ziegen- und Gitzifleisch verkauft haben –, und der kürzlich aufgenommenen Produktion von neuen Saanenziegenprodukten ist der Abverkauf steigend. Wir arbeiten daran, den Anteil der Abnehmer der Gastronomie zu erhöhen.

 


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