Das Kreuz des Kosmos

  22.02.2022 Kunst, Nachbarschaft

David Montalto lebt in Château-dOex und ist nicht nur ein begnadeter Kunsthandwerker, sondern auch ein Visionär. Ein Visionär mit Geduld und Beharrlichkeit. Denn die acht Visionen, die er als junger Mann im Jahr 1959 hatte, realisierten sich nur ganz allmählich, Stück um Stück, und wuchsen zu einem komplexen Kunstwerk heran: dem Kreuz des Kosmos. Dieses wurde im vergangenen November durch den ehemaligen Erzbischof von Canterbury Dr. Rowan Williams in der Westminster Abbey geweiht – mit Zustimmung der Queen höchstpersönlich.

SONJA WOLF
Ein abendlicher Gottesdienst in der Londoner Westminster Abbey an einem kühlen Novembertag. «Mehr als 260 Personen aus 26 verschiedenen Nationen und von mindestens sechs verschiedenen Religionen waren bei der Weihung zugegen», zeigt sich David Montalto dankbar. Er freut sich, dass sein Kunstwerk, das silberne Kreuz des Kosmos, Völker und Religionen vereint. Positive Reaktionen auf seine Kreation gab es vom höchsten Bischof der anglikanischen Kirche, von Katholiken, Rabbinern und Imamen gleichermassen.

Und genau das wollte der gebürtige Brite erreichen: Die künstlerische Darstellung eines Symbols, das ursprünglich als Instrument für Folter und Tod missbraucht wurde, soll nun Christen, Juden und Moslems erlauben, ihre gemeinsamen Werte zu feiern: «Liebe deinen Nächsten wie dich selbst. Quält, bekämpft und tötet einander nicht!»

Frühe Visionen
Das Kreuz des Kosmos trägt eine lange Geschichte auf sich und in sich. Es ist eine «wunder»-volle Geschichte im wahrsten Sinne des Wortes.

Wir schreiben das Jahr 1959. David Howard Maude-Roxby-Montalto di Fragnito, wie er mit vollem Namen heisst, lebte damals als junger Kunststudent in Florenz, als er eine Reihe von acht Visionen erlebte. «Diese Visionen waren keine Träume», sagt er. «Sie geschahen meist am Ende der Nacht, aber was sie von Träumen unterscheidet: Ich kann mich glasklar an sie erinnern. Eine Stimme gab mir präzise Anweisungen.» Und von all dem, was ihm da gesagt wurde und was er sah, machte er Skizzen. Ungewöhnliche Skizzen von Sachverhalten, die für ihn und für die menschliche Lebenswelt von 1959 generell noch keinen Sinn ergaben: Die Bibel fliegt um den Mond? John F. Kennedy mit blutrotem Hemd? Und doch sollten sich alle diese Vorhersagen in den folgenden Jahrzehnten erfüllen. Er beschrieb seine Visionen auch in Briefen an seine Eltern, der letzterhaltene datiert vom 30. Juni 1959. In der achten und letzten Vision war David das Kreuz gezeigt worden, das mit einer Reihe von Relieftafeln geschmückt werden sollte, die Schlüsselepisoden aus der Bibel darstellen. Der inzwischen 87-Jährige vollendete das silberne Meisterwerk schliesslich im Jahr 2018, knapp 60 Jahre nach den Visionen.

Weshalb so spät, erzählt er mir in seiner fesselnden Lebensgeschichte, die er konzentriert mit allen Jahreszahlen und Details wiedergibt.

Das Juwel
Das bemerkenswerteste Merkmal in der Mitte des Kreuzes ist ein Juwel. Ihm wurde gesagt, dass er dieses Juwel irgendwo finden würde und mit dem Fund die Gewissheit hätte, dass die Visionen echt waren. Er hielt das Juwel aus seiner Vision als Zeichnung fest: ein mit Perlen besetztes Lamm vor einem blauen Emaillehintergrund mit einem Heiligenschein und einem Kreuz aus Diamanten – als Symbol für Christus Emmanuel. Emmanuel (oder Immanuel) ist der Name des Messias bei der prophetischen Ankündigung und bedeutet «Gott ist mit uns».

Im Jahr 1961 war der junge Montalto im Urlaub in London und sah in einem Antiquitätengeschäft genau das Schmuckstück, das er vor zwei Jahren in der Vision gesehen und zeichnerisch festgehalten hatte. Jedoch war es für ihn nicht erschwinglich und so ging er wieder – mit dem Versprechen der Verkäuferin, dass er das Vorverkaufsrecht haben würde. Ein Jahr später kehrte er in den Laden zurück, das Schmuckstück war noch immer dort. Die Verkäuferin hatte ihr Versprechen zwar nicht eingehalten und das Juwel zu verkaufen versucht, aber möglicherweise nahmen potenzielle Kunden an, dass es aus einer Kirche stammte oder sogar gestohlen worden war. Und so konnte er das wertvolle Stück nun kaufen, zum inzwischen herabgesetzten Preis im Wert von nur einem einzigen der zahlreichen Diamanten, die in den Heiligenschein und das Kreuz eingelassenen waren. Nach diesem Erlebnis wusste er: Die Visionen waren wahr, er musste das Kreuz herstellen!

Das Wort Gottes reist zum Mond
Die Stimme hatte ihm auch gesagt, dass das Kreuz zu Ehren der Astronauten angefertigt würde und all derer, die mit ihnen für eine Mondlandung gearbeitet hätten. Das klang im Jahr 1959 doch recht futuristisch. Weiter hiess es: An der Basis des Stabes sollte sich eine Kugel mit zwei Kreuzen darauf befinden, deren Arme sich zu einem Gürtel zusammenschliessen. Diese Linie um die Kugel herum sollte das Wort Gottes darstellen, das «um den Mond gehen würde». In dieser symbolischen Kugel sollte er ein Stück des Mondes platzieren und auf das vordere Kreuz die Worte «I can of myself do nothing.» (Aus eigener Kraft vermag ich nichts.) setzen. Auf der Rückseite des Kreuzes würden die Worte «Dein Wille geschehe» stehen.

Die Anweisung mit dem Mondstück ergab damals zwar noch keinen Sinn für ihn, aber er begann, eine erste Version des Kreuzes aus Eichenholz herzustellen, welche auf das Juwel zentriert war und die vorhergesehenen Inschriften enthielt. Ein Möbeltischler half ihm dabei und auch ein Zahntechniker, der aus Plastilin Abgüsse in Acryl von den figurativen Szenen auf den Tafeln herstellte. Auch diese Szenen hatte David Montalto in seinen verschiedenen Visionen gesehen. Die Eichenversion seines Kreuzes wurde schliesslich im Juni 1968 im Rathaus von Taunton/England, nahe seines Geburtsortes, öffentlich ausgestellt.

Nur wenige Monate nach der Ausstellung, im Dezember 1968, erfüllten sich die Vorhersagen: Das Word Gottes, ging – genau wie vorhergesehen – um den Mond, als Frank Borman, James Lovell und William Anders als Teil des Apollo-Weltraumprogramms als erste den Mond umkreisten. Jedes Crewmitglied las als Fernsehweihnachtsgruss Verse aus dem alten Testament vor. Und schon ein Jahr später landeten Buzz Aldrin und Neil Armstrong auf dem Mond. Buzz Aldrins Bitte, die heilige Kommunion auf dem Mond zu feiern und ein Stück aus der Bibel zu lesen, wurde von der NASA gewährt, solange die Handlung privat blieb. Baldrin las einen Abschnitt aus dem Johannesevangelium, unter anderem genau den Satz von dem Holzkreuz «I can of myself do nothing». So erfuhr es Montalto später aus dem Buch «A Man on the Moon» von Andrew Chaikin.

Wie ein bisschen vom Mond in das Kreuz kam
David Montalto wusste inzwischen, dass es sein göttlicher Auftrag war, ein kosmisches Kreuz zu machen, das Mondstaub enthält. Es sollte aber gut 40 Jahre dauern, bis es Realität wurde. 1994 bei einem Anlass in einem Restaurant in West Palm Beach kam er seinem Ziel einen grossen Schritt näher: Er bekam zwar noch keinen Teil vom Mond, doch traf er den Chirurgen Dr. Michael Dennis, der ihm tatsächlich Splitter eines Bolzens aus der Landekapsel des Mondmoduls «Eagle» zusenden konnte, das Baldwin und Armstrong auf dem Mond abgesetzt hatte.

Die Suche nach dem Mondstaub gestaltete sich allerdings weiterhin schwierig. Selbst Buzz Aldrin beurteilte dies bei einem gemeinsamen Abendessen als unmöglich: «Ich bin auf dem Mond spazieren gegangen und habe nicht ein Stück davon!» Auch die NASA, an die er sich mit seiner Bitte wandte, lehnte ab. Die Begründung war nachvollziehbar: Dies ebne den Weg für viele nichtwissenschaftliche Forderungen nach Mondstaub. Doch schliesslich besorgte der Präsident der US Geological Society und Mitglied der NASA, Dr. Robin Brett, dem Künstler etwas Mondstaub vom Mondmeteoriten Calcalong Creek, der im Jahr 2000 abgestürzt war. So hatte Montalto in den ersten Jahren des Milleniums endlich seinen Mondstaub und konnte mit der finalen-Version beginnen, die nunmehr alle Visionen in sich vereinen würde: dem silbernen Kreuz des Kosmos.

Genugtuung für den Künstler
Visionen muten natürlich immer zunächst kühn oder sogar verrückt an: Menschen werden den Mond umkreisen, auch das Wort Gottes wird den Mond umkreisen, Teile vom Mond werden in einem Kreuz sein. Wie mochte das im Jahr 1959 auf den jungen David gewirkt haben? Oder gar auf unbeteiligte Zeitgenossen?

David Montalto ging jedoch unbeirrt seinen Weg. Genugtuung, dass er es richtig gemacht hatte, bekam er im Jahr 2016 vom ehemaligen Erzbischof von Canterbury, Lord Rowan Williams of Oystermouth. Die beiden Männer sprachen fast eine Stunde lang über das Kreuz. Als Rowan Williams es im Anschluss daran genauer untersuchte, kam er zu der Einschätzung, dass die theologischen Symbole darauf «jenseits des theologischen Wissens» des Künstlers lägen und nur göttlich inspiriert sein konnten. Welch Genugtuung für den Künstler! Rowan Williams berichtete die Geschichte David Hoyle, dem derzeitigen Dekan der Westminster Abbey, der wiederum erreichte, dass Königin Elizabeth die Erlaubnis für die Weihung des Kreuzes am 21. November letzten Jahres in der Westminster Abbey gab.

Auf Pilgerreise
David Montalto glaubt fest daran, dass die Verwirklichung seiner Visionen aus dem Jahr 1959 göttliches Schicksal ist. «Die Vorhersagen, die mir gemacht wurden, konnte damals kein Mensch auf der Welt wissen. Es muss meine Pflicht sein, dafür zu sorgen, dass die Botschaft des Kreuzes gesehen und gehört wird, denn sehen Sie sich die heutige Zeit an: Es gibt so viel Brutalität. Die Botschaft lautet ‹Emmanuel›, ‹Gott ist mit uns›!»

In diesem Jahr soll das Kreuz zum 70-jährigen Thronjubiläum der Queen auf eine Pilgerreise durch alle wichtigen Kathedralen Grossbritanniens gehen. Auch erste Gotteshäuser in Amerika haben Interesse an einem speziellen Gottesdienst mit dem Kreuz des Kosmos gezeigt.

Im Zusammenhang mit der Pilgerreise ist auch eine Hymne geplant. Den Text möchte Kit Hesketh-Harvey beisteuern und der Sänger und Komponist Roderick Williams, der im letzten Sommer im Rahmen des Gstaad Menhuin Festivals in Saanen aufgetreten ist, möchte die Melodie komponieren und die Hymne auch als erster vortragen.


ZUR PERSON

Der 87-jährige David Howard Maude-Roxby-Montalto di Fragnito wohnt in Château-d’Oex. Er ist Kunsthandwerker und hat sich auf Diamantstichgravuren, Glasskulpturen, Malerei und Schmuck für Harry Winston und andere spezialisiert.

1934 in Somerset/England geboren, wurde er 1966 von seinem italienischen Cousin Francesco Luigi Antonio Montalto, Herzog von Fragnito adoptiert, nachdem dieser seinen Sohn bei einem Unfall verloren hatte. Mit der Adoption erbte David Maude-Roxby den Nachnamen seiner Adoptiveltern, Montalto di Fragnito, und deren erbliche italienische Adelstitel. Da seine leiblichen Eltern noch lebten, behielt er auch ihren Nachnamen Maude-Roxby.

Montalto hat zahlreiche Ausstellungen in Grossbritannien, Europa und den Vereinigten Staaten realisiert, darunter regelmässige Ausstellungen in London, Genf und Paris. Einige seiner Werke sind dauerhaft in bekannten Museen und Privatsammlungen weltweit ausgestellt.

1973 wurde David Montalto anlässlich des Beitritts Grossbritanniens zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft beauftragt, eine Serie von Gedenkgläsern zu entwerfen und zu gravieren, die jedem Staatsoberhaupt überreicht wurden. Für die Luxus-Schreibgerätefirma Montegrappa entwarf er einen Kugelschreiber mit einem massiven Gehäuse aus Baccarat-Kristall. 2008 arbeitete Montalto mit dem Uhrmachermeister Michel Parmigiani zusammen, um für Parmigiani Fleurier eine Armbanduhr mit einzigartiger Gravur zu entwerfen. QUELLE: WIKIPEDIA


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