Kaiserschnitt – wenn dem Glück im Stall nachgeholfen werden muss

  25.01.2022 Interview

Eine Geburt ist eigentlich eine ganz natürliche Sache, in der Regel auch beim Rindvieh. Dennoch gibt es Situationen, in denen das Wissen und Können des Tierhalters nicht reichen und ein Tierarzt gerufen werden muss. Solche Notfälle beschäftigen die hiesigen Tierärztinnen und Tierärzte vor allem in den Wintermonaten – Tag und Nacht gilt es, einsatzbereit zu sein. Meistens eilt es in dieser Situation, andere «Fälle» werden nach hinten geschoben.

VRENI MÜLLENER

Felix Neff, was für Umstände führen dazu, dass Sie dem Besitzer einer Kuh oder eines Rindes eröffnen, dass das Tier nicht auf dem natürlichen Weg gebären kann?
Mit der Zeit hat man seine Erfahrungswerte. Nicht nur ich als Tierarzt, auch ein Bauer hat meistens schon viel erlebt und seine Erfahrungen gemacht. Die weichen Geburtswege müssen bereit sein, d.h. der Muttermund soll sich – wenn nötig nach Medikamentengaben – öffnen. Zum anderen müssen die Elemente der knöchernen Geburtswege übereinstimmen, d.h. der Kopf des Kälbchens muss in den inneren Beckenrand des Muttertieres passen. Wenn diese beiden Bedingungen erfüllt sind, steht einer normalen Geburt nichts im Weg. Falls dies nicht so ist, muss ich mit dem Bauern die verbleibenden Möglichkeiten besprechen.

Wenn sich eine Gebärmutterverdrehung nach mehreren Versuchen nicht auflösen lässt, eine grobe Fehllage oder Missgeburt vorliegt, muss ebenfalls über Chirurgie oder Notschlachtung nachgedacht werden. Leider können wir Tierärzte das Befinden des Ungeborenen noch nicht so überprüfen, wie es in der Humanmedizin möglich ist. Das Augenmerk liegt auf dem Befinden der Kuh, wenn das Kälbchen dabei überlebt, ist es umso erfreulicher.

Welche Kriterien fallen ins Gewicht, wenn sich der Besitzer einer Kuh zwischen einem Kaiserschnitt und einer Notschlachtung entscheiden muss?
Hier im Berggebiet spielen Emotionen eine wichtige Rolle beim Entscheid über Leben und Tod eines Tieres. Die Bauernfamilien lieben ihre Tiere und wollen für sie das Beste. Selbstverständlich überlasse ich die letzte Entscheidung dem Bauern, aber ich weise ihn auf die Fakten hin, die für mich relevant sind.

Massgebend für eine erfolgreiche Operation sind die Zukunftsaussichten für Kuh und Kalb. Der Bauer ermisst den Wert, den die Kuh für ihn hat. Stammt sie aus einer guten Zuchtlinie, hat sie schon viel für ihn geleistet? Ist sie noch in den besten Jahren oder schon darüber hinaus? Wie war bis jetzt ihre Fruchtbarkeit? Erträgt es da die sehr wahrscheinliche Verminderung? Ist der Körper der Kuh gut vorbereitet oder sind die Milchdrüsen zu wenig entwickelt, um später genügend Milch zu geben?

Wie gross ist die Chance bei einem Kaiserschnitt oder einer Notschlachtung, dass das Kälbchen überlebt?
Sehr gross, falls nicht eine Vergiftung des Ungeborenen vorliegt. Kälber, die wegen ihrer Grösse Schwierigkeiten bei der Geburt machen, sind in der Regel nicht die vitalsten. Dieser Tatsache ist Rechnung zu tragen, aber dies gilt nicht nur für Kälber, die durch Kaiserschnitt oder Notschlachtung das Licht der Welt erblicken.

Wie läuft eine Operation ab und was muss danach beachtet werden?
Es ist wichtig, dass der Entscheid – ob Operation oder Schlachtung – rechtzeitig gefällt wird. Ich muss dann genügend Personal aufbieten. Wenn möglich starte ich mit fünf Personen. Es ist ideal, falls eine weitere Tierärztin oder ein Student mithelfen kann und wenn möglich eine Praxisassistentin. Es ist von Vorteil, wenn der Bauer oder eine weitere Hilfsperson stark genug ist, um beim Hervorheben des Kalbes behilflich zu sein.

Die Operationsstelle wird desinfiziert, lokal anästhesiert und damit das Schmerzempfinden ausgeschaltet. So bleibt die Kuh während der Operation ganz ruhig stehen. Wir ziehen sterile Kleidung an. Es wird geschnitten und dann kann das Kalb herausgenommen werden. Unter Umständen ist das ein grosser Kraftakt und kann mehrere Minuten dauern. Solange das Kälbchen durch die Nabelschnur mit der Mutter verbunden ist, geschieht ihm nichts und man braucht sich nicht zu beeilen. Anschliessend wird die Wunde genäht, die Nachgeburt verlässt den Körper später auf dem natürlichen Weg.

Wie viele Kaiserschnitte finden pro Jahr im Saanenland statt?
Zwischen fünf und zehn Kaiserschnitte und eher etwas weniger Notschlachtungen.

Was kostet ein Kaiserschnitt?
Die Chirurgie selber kostet zwischen 500 und 600 Franken. Hinzu kommen die Kosten für die Nachbehandlung mit Antibiotika. Vorgängig fallen Kosten für den Geburtshilfeversuch an.

Sind diese Kosten versichert?
Die Viehversicherungskassen im Saanenland bezahlen die Hälfte an die Operation.

Folgt der «Milcheinschuss» wie nach einer Spontangeburt?
Wenn das Euter gut entwickelt ist, steigert sich die Milch wie nach einer normalen Geburt.

Hat der Eingriff Auswirkungen auf die darauffolgende Laktation?
Die Laktation verläuft einigermassen normal. Manchmal dauert es etwas länger, bis die Kuh «im Schuss» ist.

Wie lange ist die Absetzfrist von Fleisch und Milch bei den verwendeten Medikamenten?
Die Kuh wird vier Tage mit Antibiotika gegen Entzündung behandelt. Die Absetzfrist bei Milch und Fleisch ist normal, also fünf Tage. Bei einem allfälligen Schmerzmittel muss die angegebene Absetzfrist zusätzlich eingehalten werden.

Werden operierte Kühe problemlos wieder trächtig oder ist die Fruchtbarkeit beeinträchtigt?
Im Normalfall vermindert sich die Fruchtbarkeit nach einem Kaiserschnitt um 20 Prozent. Bei einem toten Kalb ist die Chance, die Kuh wieder trächtig zu bringen, noch ungefähr bei 50 Prozent. Nach einem Überwurf (Gebärmutterverdrehung) sinkt die Fruchtbarkeit zusätzlich.


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