«Deux im Schnee» – unter «normalen» Umständen ein gefragtes Konzept

  18.01.2022 Sport, Interview, Politik, Volkswirtschaft, Tourismus, Event, Hotellerie / Gastronomie

Die Hoffnung, im Januar ins nächste «Deux im Schnee» starten zu können, bestand lange. Aufgrund der Coronasituation und der Empfehlung des Bundes, auf Schneesportlager zu verzichten, sprangen die Kantone reihenweise ab, sodass am Ende die Klasse aus Liechtenstein verblieb. Für März sind noch alle Klassen angemeldet. Michel Zysset berichtet im Interview von den Möglichkeiten, Chancen und vom Mehrwert von «Deux im Schnee» und warum man am Projekt unbedingt festhalten möchte.

JENNY STERCHI

Michel Zysset, was ist «Deux im Schnee»? Können Sie das Projekt kurz vorstellen? Wie und weshalb ist es initiiert worden?
Zwei Partnerklassen, das heisst ein Tandem aus zwei verschiedenen Sprachregionen – Französisch und Deutsch – der Schweiz und 2022 auch mit einer Klasse aus Liechtenstein, sollten zusammen eine Schneesportwoche in Gstaad Saanenland und erstmals in diesem Jahr auch im Berner Oberland verbringen. Die Reservation der Unterkunft, das Programm, die Organisation der Skitickets, die Verpflegung in den Pistenrestaurants, die Skilehrer:innen, die Ausrüstung für alle Schüler:innen – Ski/Snowboard, Skischuhe, Stöcke, Helm – und vieles mehr wird durch die Programmleitung organisiert. Es handelt sich um ein «pfannenfertiges» Skilager, welches Kindern und Schulklassen sowie Lehrpersonen ein einmaliges Erlebnis in der Destination garantiert. Ich bin überzeugt, dass «Deux im Schnee» dem Sprachunterricht einen Sinn verleiht und Kinder auf die Ski/ Snowboards bringt.

Und was bedeutet dies konkret?
Es ist wichtig für viele Kinder aus Gebieten, in welchen sie nie zu echtem Kontakt mit der Fremdsprache kommen. Die Sprache wird im geschützten Klassenzimmer erlernt und extrem selten konkret angewendet. Dadurch ergeben sich für Familien auch wenig Gründe, die französische oder eben die deutsche Sprache zu erwerben. Hier im Saanenland ist dies hoffentlich schon ein wenig anders. Beim Skifahren ist es ähnlich. In den Bergregionen ist man es eher gewohnt, dass man im Winter mit der Schule häufig Ski fahren geht. Viele sind in Skiclubs, andere gehen am Wochenende dem Schneesport nach. Anders ist die Situation zum Beispiel im Kanton Genf. Viele Schüler:innen haben keinen Kontakt zum Schneesport. Das ist immer wieder gut zu sehen in der Angabe des Skiniveaus im Formular, welches wir vorher ausfüllen lassen, um passend danach die Skilehrpersonen zu evaluieren.

Profitiert die Region in irgendeiner Form von diesem Projekt?
Das gesamte Projekt ist eine Mehrfachwin-Situation für alle Beteiligten. Neben den Schulen profitiert die Destination sehr stark vom Programm. Hätte die Pandemie nicht dazwischen gefunkt, hätten wir mit 2728 Logiernächten und ebenso vielen Skitickets für 622 Schüler und Schülerinnen sowie 60 Lehrpersonen rechnen dürfen. Das hätte in den fünf ursprünglich geplanten Projektwochen «ausgebucht» bedeutet. Zwischen 14 und 16 Skilehrpersonen pro Woche wären aufgeboten und Skiund Snowboardmaterial für diese Teilnehmermenge bereit gewesen. Im Wesentlichen wäre dieses tolle Projekt ein Kontrapunkt zu den für die Destination leicht «gästeschwächeren» Wochen im Januar und März gewesen. Der Werbeeffekt, der sich aus der Wiedererkennung der Destination und bleibenden guten Erinnerungen ergibt, ist immens. Wir helfen Schulklassen, ein Skilager durchzuführen. Kinder, welche die Möglichkeit bekommen, wieder Ski zu fahren und den Kontakt zu Bergdestinationen erhalten, zahlen sich für uns als Destination nachhaltig aus, sowohl für den Winter als auch für den Sommer.

«Deux im Schnee» wurde als Pilotprojekt 2016 das erste Mal durchgeführt. Was hat seitdem geändert, was nicht?
Ich möchte an dieser Stelle erwähnen, dass Thomas Raaflaub, Catherine Sonino – Kantonale Austauschverantwortliche Genf – und Andreas Zoppas einen tollen Job gemacht haben. Es ist ihnen zu verdanken, dass «Deux im Schnee» heute diesen Erfolg geniesst. «Deux im Schnee» ist heute vor allem grösser – mehr Teilnehmende – und durch ein breit abgestütztes OK professioneller geworden. Seit der letzten Durchführung im 2020 haben wir sehr intensiv dran gearbeitet, nationale breite Unterstützung zu erhalten. Movetia listet uns heute als Austauschprogramm neben anderen Grössen wie Erasmus+. Die Schneesportinitiative GoSnow hilft tatkräftig in der Organisation und im Marketing. Natürlich haben wir auch das «Feintuning» an Programmpunkten wie der Organisation der Skilehrpersonen durchgeführt, um auf die Bedürfnisse der Schulklassen und der Beteiligten einzugehen. Die Grundidee ist dennoch die gleiche geblieben.

2016 waren Sie noch nicht beim GST. Wann haben Sie das erste Mal von «Deux im Schnee» gehört?
Ich bin mir nicht sicher, ob es 2016 oder 2017 war. Jedenfalls ist mein erster richtiger Kontakt zu «Deux im Schnee» eine lustige Geschichte: Thomas Raaflaub rief mich damals an und fragte mich, ob ich im Projekt nicht als Interviewpartner, quasi als «Tennisexperte», bereit wäre, Fragen von Schülerinnen und Schülern über Tennis in Gstaad zu beantworten. Ich willigte ein und so beantwortete ich am Mittwochabend bei einem Punsch in der Promenade die Fragen. Gleichzeitig kam mir die Idee, das Programm näher zu analysieren und im Folgejahr meine Masterarbeit darüber zu schreiben. Die Geschichte ist noch nicht fertig. Ich erhielt während meiner Feldstudie über «Deux im Schnee» in der Saison 2017/2018 während einer Lagerwoche ein Jobangebot, welches ich annahm.

«Deux im Schnee» wollte neu als nationales Projekt mit über 800 erwarteten Kindern ein Zeichen für den Schneesport und den Austausch zwischen den Schülern setzen. Wieder verdirbt die Pandemie das Spiel. Gibt es neben den vielen Absagen auch Schulklassen, die dennoch im Januar ins Saanenland kommen? 
Leider müssen wir wieder viele Absagen hinnehmen. Ich bin allerdings der Meinung, dass man wenig erreicht, wenn man solchen Dingen nachtrauert oder die Motivation dadurch sinken lässt. Umfallen, aufstehen, Krone aufsetzen, weiterfahren … ist meine Devise. Im März sind es Stand heute noch alle geplanten zwölf Klassen, welchen wir eine tolle Woche bieten können.

Welche Konsequenzen haben die vielen Absagen?
Es wird Schülerinnen und Schüler geben, die aufgrund des Lagerverbots bereits im letztem Winter den Kontakt zum Schneesport während der Schulzeit nie erhalten werden. Die Stornierungen werden zahlreich und bedeuten viel Arbeit unsererseits, die sich diesen Winter noch nicht auszahlt.

Materialmieten fallen weg, es werden massiv weniger Ski- und Snowboardlehrpersonen benötigt, weniger Skitickets gelöst, weniger Wertschöpfung und Logiernächte generiert. Lässt sich der Ausfall beziffern?
Aktuell ist es schwierig, den Ausfall zu beziffern. Es wäre auch zu früh, die Abrechnung müssen wir Ende März machen. Schweizweit haben sich fast alle Kantone dazu entschieden, zwei Jahre hintereinander keine Schneesportlager durchzuführen oder bis und mit Januar von diesen abzuraten. Dies hat nachhaltig negative Effekte auf Kinder, Schulen und sämtliche Alpendestinationen. Ich möchte hierbei noch erwähnen, dass es beim Schneesport in Schulklassen nicht nur um Skifahren geht, sondern Lagerwochen in einem hohen Masse einen soziokulturellen Aspekt haben.

Gibt es irgendeine Form der Entschädigung für Skischule, Unterkünfte und andere involvierte Dienstleister, deren Ressourcen aufgrund der Absagen ungenutzt bleiben?
Nein. Wir alle haben Federn lassen müssen. Das gilt auch für GST selbst, welcher viele Arbeitsstunden in die Weiterentwicklung und Durchführung der Lagerwochen investierte. Einige Dienstleister werden wohl von einer Versicherung Gebrauch machen können.

Die Grundidee von «Deux im Schnee» ist neben dem Schneeerlebnis der Austausch zwischen Kindern und Jugendlichen über die Sprachgrenze hinaus. Im Augenblick ist jedoch Austausch eher das, was es zu vermeiden gilt. Haben Sie ein Schutzkonzept?
Austausch ist ein sehr weiter Begriff. Ich finde, dass wir auch in einer Pandemie den Austausch bei Schüler:innen fördern sollten, notfalls auch via E-Mail oder Videotelefonie. Der Mensch ist grundsätzlich ein soziales und kommunikatives Wesen, daran glaube ich sehr fest. Wir müssen mit der Pandemie leben und das Beste daraus machen. Für die Lagerwochen haben wir selbstverständlich ein Schutzkonzept ausgearbeitet, was nicht ganz einfach war, da unser Lager viele verschiedene Kantone involviert und der «Kantönligeist» auch beim Thema Covid nicht Halt macht. Übrigens müssen sämtliche Schüler:innen getestet anreisen und bei allen Lehrpersonen gilt Zertifikatspflicht. Während der Woche sind sie im Freien oder quasi in einer «Bubble». Dadurch ist das Ansteckungsrisiko kleiner als während einer Schulwoche. Fun fact: Wir hatten keine Fälle in der Klasse, welche aktuell in Gstaad ist. Wir wissen aber, dass sich im Schulhaus der Schüler:innen Ende letzter Woche zahlreiche mit Omikron angesteckt haben.

Wäre eine rigorose Absage nicht konsequenter?
Sie wäre meiner Meinung nach unfair gegenüber jenen, die teilnehmen dürfen, wollen und können. Der Bund hat Schneesportlager nicht verboten, einige Kantone hingegen empfehlen, nicht daran teilzunehmen oder verbieten diese. Andere wiederum äussern sich nicht dazu. Ich bin überzeugt, dass mit den nötigen Schutzkonzepten Lager sicher durchgeführt werden könnten. Für mich und einige Partner ergibt sich so in der Organisation ein Zusatzaufwand, aber diesen gehen wir gerne ein, wenn es der Destination hilft.

Die teilnehmenden Schülerinnen und Schüler haben unterschiedliche Niveaus – sowohl beim Skifahren als auch bei der Sprache. Wie teilen Sie die Gruppen ein, sodass alle profitieren können und es allen auch Spass macht?
Grundsätzlich werden die Schüler:innen möglichst «sprachenvermischt». In den Zimmern, beim Essen, bei den pädagogischen, aber auch bei den sportlichen Aktivitäten sollte sich die Durchmischung ergeben. Das sprachliche Niveau schwankt innerhalb einer Klasse immer ein wenig, das macht aber nichts, denn es können alle davon profitieren. Wichtig hierbei ist sicherlich eine ausgeglichene Klassengrösse innerhalb der Tandems und dass die Schüler:innen in etwa auf derselben Schulstufe sind. Beim Skifahren funktioniert die Vermischung zugegebenermassen nicht immer perfekt. Zwar wird ein «Durcheinander» auf dem Sessellift angestrebt und die Skilehrpersonen sollten nicht Schweizerdeutsch sprechen. Allerdings ist das Ski- respektive Snowboardniveau schon entscheidend, gar sicherheitsrelevant. Ein plakatives, aber reales Beispiel: Die Genfer fahren durchschnittlich weniger gut Ski als die Berner Klassen. Aus diesem Grund kann es sein, dass in einer Black-League-Gruppe – oberes Skiniveau – nur Deutschschweizer sind.

Statt der geplanten drei Wochen «Deux im Schnee» im Januar wird es keine geben. Wird an den zwei weiteren, im März geplanten Wochen festgehalten?
Nur eine Klasse macht im Januar mit. Wir halten an den Märzwochen aber fest und hoffen, dass es zu keinen weiteren Absagen kommt. Wir sind und bleiben jedenfalls motiviert.

Wie gehen Sie mit der Planung für diese beiden Wochen vor?
Wir planen insgesamt extrem kurzfristig, zumindest was die Detailarbeit betrifft. Alle Beteiligte halten sich bereit, die Zimmer sind reserviert, die Skilehrpersonen in den «Startlöchern». Aber wir wissen auch alle, dass jederzeit alles abgesagt werden kann. Die Abläufe des Projektes «Deux im Schnee» wurden im Vorfeld optimiert. Der Anreiz dieses zweisprachigen Skilagers besteht darin, dass es für die jeweiligen Lehrpersonen kaum Planungsaufwand gibt. Alles wird von den Verantwortlichen im Voraus geplant: die Unterbringung und der Skiunterricht, der Transport und die Ausrüstung.

Wie hoch beziffern Sie den gesamten Aufwand?
Der finanzielle Aufwand der Lagerdurchführung mit den ursprünglich Angemeldeten für 2022 und ohne personelle Leistungen durch GST liegt bei rund 370’000 Franken.

Wie und vom wem wird dieses Gesamtpaket finanziert?
Von mehreren, es ist ein gutes Beispiel erfolgreicher Kooperation. Die Kantone liegen mit ihrer Unterstützung von 60 Franken pro Kind bei der Gesamtsumme von rund 37’000 Franken. Movetia hat als nationale Agentur für Austausch und Mobilität für dieses Jahr einen Betrag von rund 65’000 Franken zugesichert. Saanen und Lauenen unterstützen «Deux im Schnee» ebenso wie die Skischulen vor Ort und diverse Sportgeschäfte. Hinzu kommen Beträge von der Wilsdorf-Stiftung und vom Bundesamt für Sport BASPO. Für all diese Partner ist das Projekt eine «Herzensangelegenheit». Ich möchte hierbei auch die Jugendherberge Gstaad und die Bergrestaurants erwähnen, welche sich immer wieder in der Zusammenarbeit erkenntlich zeigen.

Wie hoch ist der Anteil für die Eltern für eine Lagerwoche?
Den Schulen werden 290 Franken pro Teilnehmer in Rechnung gestellt. Darin ist vom Skiticket über Material und Raummieten bis hin zum Essen im Bergrestaurant alles enthalten. Allerdings haben die meisten Kantone, Gemeinden oder Schulen noch einen Fonds, aus welchem sie schöpfen können. Danach bezahlt eine Schülerin, ein Schüler aus Basel-Stadt in der Regel rund 150 Franken.

Die zahlreichen Zusagen vor der verschärften Coronasituation zeigten deutlich, dass ein grundsätzliches Interesse besteht. Ist das ein Signal, es im nächsten Winter wieder so zu versuchen?
Definitiv. Die Schulklassen haben aus dem letzten Jahr einen «Nachholbedarf» und dieser erstreckt sich nun auch ins nächste Jahr. Sämtliche Klassen, die heuer absagen mussten, haben bereits für nächstes Jahr wieder zugesagt. Ich sehe aber die Situation noch grösser. Initiativen wie «Deux im Schnee» haben ein grosses Potenzial, um den Schneesport weiterzuentwickeln und den Zugang zum Schneesport weiterhin zu ermöglichen. Die Herausforderungen werden aber gleichzeitig nicht kleiner, insbesondere nicht für die Lehrpersonen und die Organisation solcher Lager. Innovative und nachhaltige Projekte sind deshalb im Alpenraum gefragt. Übrigens nicht «nur» im Winter.


ZUR PERSON

Wer ist Michel Zysset und welche Rolle hat er im Projekt «Deux im Schnee»?

Michel Zysset ist Leiter Infrastrukturen & Projekte bei Gstaad Saanenland Tourismus (GST). Ursprünglich hat er Sport und Französisch studiert. Seine Masterarbeit beinhaltet einen Aspekt dieses speziellen Lagers. Er absolvierte die Pädagogische Hochschule als Sport- und Französischlehrperson. In seiner Rolle als OK-Mitglied vertritt er im Projekt die Destination und kann dabei seine Vorkenntnisse und seine Position einbringen. Zysset ist zuständig für die Organisation des Projektes insgesamt und selbstverständlich insbesondere für die Durchführung in der Destination Gstaad. Neben ihm ergänzen noch fünf weitere Mitglieder das OK: je eine Vertretung für Sprachaustausch aus den Bildungsdirektionen der Kantone Bern, Genf und Basel-Stadt, der CEO von Go Snow (Schneesportinitiative) und eine Vertreterin von Movetia (nationale Agentur für Austausch und Mobilität). Zysset ist bereits in den Anfängen von «Deux im Schnee» in Kontakt mit dem Projekt gekommen. «Deux im Schnee» gibt es seit 2016 und es wird von der Uni Bern seit 2021 auch als «soziale Innovation im Schweizer Berggebiet» gelistet.

https://www.sozinno.unibe.ch/ soziale_innovationen/inventar/index_ger.html

 


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