Dreifachrücktritt von Skirennfahrerinnen aus dem Saanenland

  24.09.2021 Sport, Interview

Mit Belinda Schwenter aus Schönried, Bigna Däpp aus Gstaad und Jasmine von Siebenthal aus Saanen verabschieden sich gleich drei junge Frauen der Region aus dem Skirennsport. Die Gründe für einen Rücktritt sind vielschichtig.

JENNY STERCHI
Waren meine Resultate so, wie ich sie mir gewünscht habe? Hat mich das Material überzeugt? Habe ich meine Kapazitäten voll ausgeschöpft? Diese und viele andere Fragen beschäftigen einen Leistungssportler, im speziellen einen Skirennfahrer, wenn er aus der Saison kommt und die nächste vorbereiten muss.

Unter vielen Bewegungswissenschaftlern kursiert das Bild eines Uhrwerks beim Beschreiben der Voraussetzung, Leistungen im Sport zu steigern. «Die Uhr funktioniert nur dann präzis, wenn alle Rädchen harmonieren.» In diesem Fall stehen die Rädchen für die oben genannten Bedingungen und Komponenten, die im Training aufeinander abgestimmt und immer wieder justiert werden müssen.

Für die Skirennfahrerinnen Jasmine von Siebenthal, Belinda Schwenter und Bigna Däpp hat das Pendel hin zum Rücktritt ausgeschlagen. Keine der jungen Athletinnen hat sich diesen Entscheid leicht gemacht. Ein Lebensabschnitt, der komplett mit dem Sport ausgefüllt war, geht zu Ende. Neue Möglichkeiten ergeben sich, Positionen müssen gefunden und neue Strukturen geschaffen werden. Da sagt keiner aus einer Laune heraus: «Ich höre auf.»

Alle drei sind sich einig, dass es nicht nur einen einzigen Grund gibt, der zum Aufhören bewegt. Während die einen aus einer Verletzung kommend den Anschluss nicht so einfach finden, raubt anderen die vermeintliche Stagnation in den Leistungen die Motivation. Bei manchen scheint keine Materialkombination zu funktionieren, wieder andere entdecken, dass es doch noch andere spannende Bereiche im alltäglichen Leben zu erkunden gibt. Und nicht zuletzt stellt der Skirennsport, bei dem sich viel über die Beziehung zwischen Trainer und Athlet abspielt, besondere Anforderungen an den zwischenmenschlichen Austausch, andere, höhere, als dies zum Beispiel in Mannschaftssportarten der Fall ist.

Diese Rücktrittsserie ist für den Skirennsport im Saanenland eine bittere Pille, aber für die drei jungen Frauen jeweils ein sorgfältig getroffener Entscheid.


«Skirennen zu fahren war ein grosser, wichtiger und bedeutender Teil meines Lebens»

Wie lange sind Sie leistungs- und rennorientiert auf den Ski gestanden?
Da muss ich kurz rechnen. Zuerst bin ich JO-Rennen gefahren, habe meine Trainings im RLZ absolviert. An die U14- und U16-Rennen schlossen sich die FIS-Rennen an. Also im Ganzen war ich zehn Jahre im Skirennsport dabei. In den letzten fünf Jahren mit den Rennen auf FIS-Stufe war ich wirklich so richtig auf den Sport fokussiert.

Sie waren in der Saison 2018/19 verletzt. Hat sich der Rücktrittsgedanke damals schon angemeldet?
Nein, überhaupt nicht. Ich war fest entschlossen, wieder anzugreifen. Mein Kreuzbandriss heilte sehr gut und ich hätte nach sechs Monaten schon wieder auf die Ski gedurft. Leider hat Corona dann für geschlossene Bergbahnen gesorgt und ich musste mich noch drei weitere Monate gedulden. Meine Motivation war ganz oben, ich wollte unbedingt wieder angreifen.

Und wenn das Leben so ausgefüllt war mit dem Skirennsport, ist dann das Aufhören nicht doppelt so hart?
Einfach ist es ganz sicher nicht. Skirennen zu fahren war ein grosser, wichtiger und bedeutender Teil meines Lebens. Das wird mir bleiben. Aber ich bin überzeugt, dass es noch mehr zu entdecken gibt.

Dann war es schlicht Lebensneugier, die zu diesem Entschluss geführt hat?
So eine Entscheidung beruht nie auf einer Einzelheit. Eine Ausbildung neben dem Leistungssport nimmt immer etwas mehr Energie in Anspruch. Das wird jeder Leistungssportler, der in einer Ausbildung steht oder die Matura daneben macht, bestätigen. Dazu kehrte ich aus der Verletzungspause zurück und hatte einen etwas unsteten Wiedereinstieg. Mal lief es gut und dann wieder gar nicht. Ich habe mir selber sehr viel Druck auferlegt.

Aber Ihre Resultate im letzten Winter sprechen eine andere Sprache. Europacupeinsatz, Top-Ten-Platzierungen bei Schweizermeisterschaften, Podestplätze an den Rennen des Citizen-Cups und praktisch immer in den FIS-Punkte-Rängen. Haben Sie wirklich noch mehr von sich erwartet nach der Rückkehr aus einer Verletzungspause?
Ja, irgendwie schon. Ich wollte unbedingt, dass der Wiedereinstieg nach Mass klappt und ich mich für ein Weiterkommen in Richtung Swiss-Ski-Kader empfehlen kann. Offenbar haben die Resultate nicht ausgereicht. Augenscheinlich stimmen die Strukturen im BOSV nicht, um mit solchen Resultaten im Damenteam die nötige Unterstützung und das Vertrauen zu erhalten.

Gab es während Ihrer Karriere einen Moment oder ein Erlebnis, das Sie nachhaltig beeindruckt hat?
Besonders in Erinnerung bleiben werden mir all die Begegnungen mit Leuten. Dazu kommen die vielen Orte, die ich durch das Skifahren erkunden durfte. Zudem konnte ich an meinem allerletzten Rennen meine Karriere mit einem Podest abschliessen.

Und was kommt jetzt nach dem Kapitel Skirennsport?
Im Moment bin ich an der Rezeption im Hotel Hornberg in Saanenmöser im Einsatz. Und ich geniesse es, keine Zeit stehlen zu müssen, weder für die Arbeit noch für den Sport. Und für die nähere Zukunft möchte ich mal raus aus dem Saanenland. Nicht, weil es nicht schön ist, sondern vielmehr, weil ich glaube, dass Erfahrungen, die ich irgendwo in der Fremde sammeln kann, sehr wertvoll sein werden. Und natürlich freue ich mich auf das Skifahren mit meiner Familie und mit Freunden, ohne dafür dauernd irgendwo anders meinen Renndress auspacken zu müssen.

INTERVIEW: JENNY STERCHI


«Ich habe nicht nur sportartspezifisch gelernt»

Wie viele Jahre sind Sie als aktive Skirennfahrerin im Einsatz?
Insgesamt war ich acht Jahre mit dem Skirennsport beschäftig. Die ersten fünf Jahre sind ähnlich verlaufen wie die bei Belinda. In den drei letzten Jahren war ich dann auf der FIS-Stufe unterwegs.

Auch Sie kommen aus einer Verletzungspause. Hat diese Pause den Rücktritt vom Rennsport ausgelöst?
Ja und nein. Im ersten Trainingslager vor Beginn der letzten Saison verletzte ich mich am Fuss. Der Bänderriss im Fussgelenk war meine erste grosse Verletzung und ich verbrachte einen ganzen Winter ohne Skifahren und Rennaktivität. Natürlich haben mir der Sport und der ganze Rhythmus gefehlt. Gleichzeitig habe ich es aber auch genossen, nicht zu müssen. Ich hatte Zeit für ganz viel anderes. Es war wie ein Wechselbad.

Und mit dem Rücktritt verabschieden Sie sich komplett vom Rennsport?
Naja, ich selber werde keine Punkterennen mehr fahren. Wenn Kadertrainings an den Hublen angesagt sind, darf ich hier und da mal noch einen Slalomlauf fahren. Das hat mir meine ehemalige Trainerin versichert. Und sehr gerne werde ich mich der Nachwuchsarbeit zuwenden und mich in den JO-Trainings engagieren. Und natürlich werde ich auch selber Skifahren gehen, aber ohne Zeitnahme und nicht immer auf der gleichen Piste.

Gab es während Ihrer Karriere ein Ereignis, das sie für den Rest des Lebens begleiten wird?
Ein Erlebnis herauszupicken ist wohl nicht möglich. Zu viel habe ich in der ganzen Zeit erlebt. Es sind vielleicht die vielen verschiedenen Skigebiete, die ich gesehen und befahren habe. Man könnte denken, Skifahren sei immer das Gleiche. Mit dem Lift hinauf und dann einfach hinunterfahren. Aber es ist tatsächlich überall anders und darum hatte ich womöglich so viel Spass dabei.

Und was kommt bei Ihnen nach dem Skirennsport?
Auch ich halte die Zeit, die ich mit dem Sport verbracht habe, für eine sehr wichtige und lehrreiche. Ich habe nicht nur sportartspezifisch gelernt. Das was ich in den vergangenen Jahren durch Training und Rennsituationen über mich selber gelernt habe, wird mich immer begleiten und sicher noch von Nutzen sein. Nach der Matura im nächsten Jahr werde ich ein wenig in die Ferne schweifen und neue Eindrücke holen.

INTERVIEW: JENNY STERCHI




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