Vom Berufspolitiker zum Verwaltungsdirektor

  25.04.2022 Saanenland, Gemeinde, Volkswirtschaft, Saanen

Roman Gimmel ist seit rund 100 Tagen Verwaltungsdirektor der Gemeinde Saanen. Wie schafft der ehemalige Berufspolitiker den Wechsel in die Verwaltung und welche Herausforderungen stehen an? Im Interview gibt er Antworten.

ANITA MOSER

Roman Gimmel, Sie haben als Lehrer viele Jahre unterrichtet, haben dann in die Politik gewechselt und nun in die Verwaltung. Weshalb?
Ich bin mit 36 Jahren in den Gemeinderat von Thun gewählt worden. Es war von Anfang an klar, dass ich nicht bis zum Pensionsalter im Amt bleiben würde, sondern mich nochmals beruflich neu orientieren möchte. Als Gemeinderat hat mich fasziniert, wie die Mitarbeitenden auf der Verwaltung gearbeitet haben, wie sie umgesetzt haben, was zum Beispiel der Gemeinderat an den Sitzungen beschlossen hat. Durch diese Erfahrung habe ich berufsbegleitend die Masterweiterbildung zum Executive Master of Public Administration gemacht – ohne eine konkrete Vorstellung zu haben, wohin mich mein beruflicher Weg führen würde. Dann kam diese Stellenausschreibung. Ich habe sie genau vor einem Jahr in unseren Ferien in Saanenmöser gesehen und sie hat mich nicht mehr losgelassen.

Wie gelingt Ihnen der Wechsel von der Exekutive in die Administration?
Darauf werde ich viel angesprochen, denn häufiger verläuft der Weg in die andere Richtung. Ich gebe zu, es ist nicht ganz einfach. Man muss aktiv daran arbeiten. Man kann nicht aus der Berufspolitik aussteigen, den Hebel umlegen und am nächsten Tag ist man ein Verwaltungsmensch. Ich habe mich bei gewissen Geschäften auch schon mal beim Gedanken ertappt, dass ich dazu auch eine Meinung hätte oder argumentieren könnte.

Oft hört man den Vorwurf, die Verwaltung mache die Politik und nicht der Gemeinderat.
Das ist nichts Saanen-Spezifisches. Auch in der Stadt hörte man immer wieder, es seien die Verwaltung, die Abteilungsleiter, die den Kurs bestimmten. Eine Verwaltung hat schon eine gewisse Macht und auch politische Anteile – das hat auch meine Weiterbildung gezeigt. Aber die astreine Politik muss bei der Politik bleiben. Die Exekutive soll zudem den Anspruch haben, alle Entscheidungsgrundlagen zu bekommen und deren Aufbereitung ist dann unser Business.

Was reizt Sie an Ihrem neuen Job?
Die Vielfältigkeit der Aufgaben. Die Arbeit an und in einer effizienten Organisation. Die optimale Zusammenarbeit unterschiedlichster Dienstleistender. Die effektive Unmittelbarkeit. Auf der Gemeinde ist man am Puls der Gesellschaft, nahe bei den Menschen. Das gefällt mir.

Sie wohnen in Thun. Wie definieren Sie Nähe?
Das Saanenland ist meine zweite Heimat. Wir verbringen seit Jahrzehnten die Ferien hier. Ich kenne zwar noch nicht jede Flurbezeichnung, aber ich fühle mich in Saanen ziemlich heimisch und ich lebe nun ungefähr die halbe Woche hier. Von daher bin ich zwar ein «Furthariger» und «keina vo üns» – mit dem Herzen aber ganz nah dabei.

Ihre beiden Vorgänger waren Juristen. Ein Vorteil?
Das kann sein. Ebenfalls per 1. Januar 2022 wurde zusammen mit mir eine junge, einheimische Juristin gewählt.

Das wäre ein vielversprechendes Setting gewesen. Leider kam es nicht zustande. Anstatt die Stelle sofort auszuschreiben, haben wir im Laufe des vierten Quartals 2021 entschieden, dass wir erst mal abwarten und die Stelle dann ausschreiben, wenn klar ist, was wir wirklich brauchen. In dieser Phase befinden wir uns aktuell.

Wie viel Einfluss haben Sie als Verwaltungsdirektor?
Man kann meinen Job mit dem eines Geschäftsführers vergleichen. Stellen Sie sich eine Sanduhr vor: Oben sind der Gemeinderat als strategisches Gremium, die Ressortleitungen und Kommissionen. Dort, wo es dünn wird, ist die Verwaltungsdirektion und in der unteren Hälfte die Verwaltung mit den Abteilungen, Bereichen und Aussenstandorten. Der Sand rinnt aber in beide Richtungen. Es ist für einen Generalisten eine ganz spannende Aufgabe. Du hast ein Cockpit voll mit Hebeln und Knöpfen, mit denen du steuern kannst. Auf der anderen Seite ist es die Schnittstelle zwischen der Verwaltung und der Politik. Man muss sehr behutsam sein und sich immer wieder fragen: Was ist meine Rolle, was gehört auf meinen Tisch und was auf andere Pulte?

Was sind die grössten Herausforderungen?
Die grösste Herausforderung ist die Fülle an Herausforderungen an sich.

Das reicht von personellen Vakanzen durch Fachkräftemangel über unfalloder krankheitsbedingte Abwesenheiten – insbesondere während der Pandemie – bis hin zu zahlreichen grossen Sachgeschäften. Im März beschäftigte uns zum Beispiel ganz stark die Ukraine, beziehungsweise auf Stufe Gemeinde die Konsequenzen, welche dieser Konflikt auslöst.

Was heisst das konkret?
Wir mussten zu speziellen Massnahmen greifen und haben für eine reibungslose Bewältigung der zahlreichen neuen Aufgaben eigens eine Taskforce gebildet. Bei einzelnen Stellen beansprucht das ziemlich viele Ressourcen. Wir müssen alles aufgleisen, absprechen und koordinieren. Man weiss nie, was am andern Tag gilt. Wir stellen uns interdisziplinär so auf, dass wir parat sind, wenn allenfalls eine Anweisung oder Information vom Bund oder dem Kanton, über Asyl Berner Oberland oder über das Regierungsstatthalteramt kommt.

Was steht noch auf der Prioritätenliste?
Ganz viel, darunter verschiedene Sachgeschäfte wie die Gesundheitsversorgung oder die Schulstrategie. Das sind sehr anspruchsvolle und komplexe Geschäfte. Herausfordernd ist aber auch das Thema bezahlbare Erstwohnungen. Es gibt viele Leute, die zwar hier arbeiten, aber in Château-d’Oex oder in Zweisimmen wohnen. Der Fachkräftemangel in der Region ist gross. Aber all diese Arbeitskräfte müssen auch irgendwo wohnen können. Das Projekt «Zukunft Saanen – zäme für ünsi Gmein» nimmt sich auch dieses Themas an.

Apropos Personal: Wie sieht es aus auf Verwaltungsebene? Sind alle Stellen besetzt?
Die Personalsituation, die Rekrutierung von Arbeitskräften, aber auch die Arbeitgeberattraktivität sind Themen, die wir schon in den Vorgesprächen besprochen haben. Auf Stufe Verwaltungsdirektion müssen wir uns noch verstärken. Vakanzen haben wir vor allem in der Abteilung Bauinspektorat, Raumplanung, Infrastruktur. Da fehlen derzeit ein abteilungsleitender Bauverwalter, Verfahrensleiter für die Bearbeitung von Gesuchen sowie eine Verstärkung im Bereich Bauinspektorat. Sonst habe ich den Eindruck, dass die Organisation «Dienstleistungszentrum Einwohnergemeinde» zweckdienlich und effizient aufgestellt ist. Aber wir müssen unbedingt die offenen Stellen besetzen. Sonst droht eine permanente Überbelastung des verbleibenden Personals. Und dann sind wir wieder bei der Thematik Arbeitgeberattraktivität.

Ist für Sie und Ihre Familie ein Umzug ins Saanenland denkbar?
Aktuell nicht. Unsere Kinder sind noch in Schulen und Berufsbildung.

Sie haben zweimal den Beruf gewechselt. Wie lange bleiben Sie Verwaltungsdirektor in Saanen?
(lacht) Das hat mich noch niemand gefragt. Es soll kein Kurzzeitengagement werden – im Gegenteil. Ich habe ja «relativ viel» investiert für den Branchenund Regionswechsel. Im Extremfall könnte das sogar der letzte Job sein – im März 2039 werde ich pensioniert…

Sie sind Mitglied der SVP und aktuell noch Mitglied im Kantonsparlament. Steht Ihnen Ihre Parteizugehörigkeit manchmal im Weg?
Bisher nicht. Ich bin noch bis Ende Mai Grossrat. Danach verliert meine politische Aktivität noch weiter an Bedeutung. Meinen Fokus richte ich bereits jetzt voll auf meine Aufgabe als Verwaltungsdirektor und auf die Gemeinde Saanen. Aber man müsste es mir sagen, wenn mir meine politische Haltung in die Quere käme. Ich habe keine Hemmschwelle, ich bin bereits sehr früh mit allen hiesigen Parteipräsidenten zusammengekommen, wir hatten einen guten Austausch.

Gibt es Parallelen zwischen Saanen und Thun?
Die gibt es durchaus. Von aussen – wenn man Saanen nur aus den Ferien kennt – nimmt man es gar nicht so richtig wahr: Saanen ist fast wie eine kleine Stadt, zwar ländlich und mit den Strukturen einer Bergregion. Aber es gibt verschiedene Ähnlichkeiten mit Thun und zwar bezüglich der Organisation, Institutionen, Strukturen, Vielseitigkeit oder der Geschäfte. Und auch die Zahlen sind eher vergleichbar mit einer kleinen Stadt als mit einem ländlichen Dorf mit knapp 8000 Einwohnern. Interessant ist in diesem Zusammenhang der Faktor 6. Von der Fläche her ist Saanen sechsmal grösser als die Stadtfläche, hat aber sechsmal weniger Einwohner als Thun.

In Thun gibt es ein Parlament, in Saanen die Gemeindeversammlung. Sie müssen dort allenfalls direkt rechtliche Fragen beantworten.
Das ist in der Tat recht neu für mich. Den Parlamentsbetrieb in Thun kenne ich in- und auswendig. Das System hier in Saanen mit der «Grossen Gemeinde» und den Kommissionen ist für mich schon noch gewöhnungsbedürftig, es funktioniert aber offenbar auch hervorragend. Ich bin wirklich gespannt auf die Gemeindeversammlung, an der Stimmberechtigte auch Anträge stellen können – das kann man in einem Stadtrat nicht. Es ist ein total neues Element für mich. Und ja, als Verwaltungsdirektor muss ich Fragen beantworten können, das OGR auswendig kennen. Vielleicht hilft mir diesbezüglich auch meine Erfahrung als Politiker. Und ich bin ja nicht ganz alleine…

Sie müssen am Schluss der Versammlung das Protokoll vorlesen.
Genau, darauf stelle ich mich ein. Nicht zuletzt deshalb hätte ich gerne vorgängig eine Gemeindeversammlung besucht, um mir ein Bild zu machen. Ich hatte mir den 3. Dezember auch schon lange reserviert. Dann kam zwei Tage zuvor die Meldung der Absage.

Ihr Vorgänger Thomas Bollmann hat seine Stelle im März 2020 angetreten, in seiner Amtszeit fand aber keine Gemeindeversammlung statt und auch die neuen Abstimmungsgeräte kamen nie zum Einsatz…
…und er kam auch nie in den Genuss des Vorlesens eines Protokolls (lacht). Die Geräte werden voraussichtlich am 10. Juni in der Tennishalle zum Einsatz kommen. Und wir hoffen natürlich, dass es mit der Technik klappt.


ZUR PERSON

Roman Gimmel ist glücklich verheiratet und stolzer Vater von drei Kindern im Alter von 19, 16 und 13 Jahren. Die Familie wohnt in Thun. Der 48-Jährige ist von Haus aus Lehrer – Primar- und Reallehrer, Sekundarlehrer, Berufswahllehrer, Berufsschullehrer und Ausbildner – und hat zuletzt am Berufsbildungszentrum BBZ IDM Thun unterrichtet. Noch als Lehrer stieg er für die SVP als Stadtrat in die Politik ein. Mit der Wahl in den Gemeinderat im Jahr 2010 wurde das Hobby zum Beruf. In den elf Jahren als Gemeinderat stand er den Direktionen Bau und Liegenschaften sowie Bildung Sport Kultur vor. Im letzten Herbst rückte er zudem als erster Ersatz im Kantonsparlament nach. Bei den Grossratswahlen vor knapp einem Monat verpasste er jedoch trotz ausgezeichnetem persönlichem Ergebnis die Wiederwahl – was kein Nachteil für ihn ist, im Gegenteil. Er kann sich nun voll seiner neuen Herausforderung in der Gemeinde Saanen widmen.

Roman Gimmel hat vor Kurzem am Kompetenzzentrum für Public Management (KPM) an der Universität Bern die zweijährige berufsbegleitende interdisziplinäre Master-Führungsausbildung für den öffentlichen Sektor erfolgreich abgeschlossen.

Seit 1. Januar ist er Verwaltungsdirektor der Gemeinde Saanen.

ANITA MOSER

 


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