Mehr Interessierte als Dorfbewohner am Workshop

  25.05.2022 Abländschen

Die Entvölkerung, die Zunahme der Touristen und damit des Verkehrs, die Arbeitsplätze und vieles mehr waren die Themen am Zukunftsworkshop in Abländschen. 50 Personen haben sich über die Zukunft des Bergdorfes Gedanken gemacht.

BLANCA BURRI
Zukunftsworkshops haben Hochkonjunktur. Erst Saanen, dann Lauenen und nun Abländschen. Die Zukunftsgestaltung anzupacken scheint auch nötig zu sein in Abländschen. In den 1950er-Jahren noch von 130 Personen bevölkert, ist die Zahl auf 38 Personen gesunken – nein, auf 39, denn vor wenigen Wochen ist ein Junge zur Welt gekommen. Inzwischen eine Seltenheit im Bergdorf.

Zustande gekommen ist der Zukunftsworkshop aufgrund von Hinweisen aus der Bevölkerung, insbesondere von Landeigentümern. «Wegen der Coronasituation gab es viel mehr Besucher, die sich in den Bergen und in der Natur aufgehalten haben», gibt Philipp Becker, Fachleiter Infrastrukturen, Einblick. Das habe zu wilden Parksituationen, mehr Verkehr und auch anderen unerwünschten Situationen geführt. Überhaupt sei die Passstrasse in den vergangenen Jahren immer beliebter geworden, sagt der Fachleiter, der sich selbst gerne in den Kletterfelsen der Gastlosen aufhält. Statt die einzelnen Problemfelder separat zu diskutieren, beschloss die Gemeinde, eine Kerngruppe einzusetzen und gemeinsam mit Gstaad Saanenland Tourismus, Betroffenen, Leistungsträgern und Interessierten eine Auslegeordnung zu machen. Diese fand am 14. Mai in Abländschen im Restaurant Zytbödeli statt. Gekommen sind mehr, als Abländschen Einwohner hat. Mit diesem Vorgehen ist auch Tourismusdirektor Flurin Riedi glücklich. «Dieser moderne Ansatz der Zusammenarbeit zwischen Tourismus und Gemeinde ist sehr positiv.»

Alle, ausser die Jungen
Zum Teilnehmerfeld sagt Philipp Becker bildhaft: «Wir hatten alle Farben des Regenbogens ab etwa 35 Jahren.» Dazu gehörten Wohnansässige, Landwirte, Ferienhausbesitzer, Gastgeber, politische Vertreter der Gemeinden Saanen und Jaun sowie die Hüttenwarte der SAC-Grubenberghütte. Nur die jüngste Generation war nicht anwesend. Der Leiter Infrastrukturen sucht eine Erklärung für ihr Fehlen. Es hat in Abländschen wenig Junge und das Interesse an solchen Prozessen keime oft erst ab 30 Jahren. Natürlich sei das Thema Jugend mit grossem Interesse diskutiert worden. «Wir haben uns gefragt, wie man die Jungen nach Abländschen zurückbringen kann.»

Eine Massnahme allein genügt nicht
Vorschläge, wie die Wiederansiedlung vorangetrieben werden kann, gab es einige. «Wenn man ein einzelnes Thema zu diskutieren beginnt, zieht das viel nach sich», hält Becker fest. Deshalb sei es mit dem Einzonen von Bauparzellen allein noch lange nicht getan. Neben der Förderung von Erstwohnungen müsse die Infrastruktur in den Bereichen Mobiltelefonie, Internet, Verkehrswege, Verkehrslenkung und vor allem öffentlicher Verkehr ausgebaut werden. Aber auch das Schaffen von Arbeitsplätzen ausserhalb der Landwirtschaft und des Gastgewerbes sei erwähnt worden.

Projekte und …
Die Bedürfnisse und Anregungen der Workshop-Teilnehmenden wurden eingeteilt in umsetzbare Projekte, Utopien und Visionen. Drei Themenbereiche stehen dabei im Vordergrund und die gilt es nun eingehender zu prüfen. Erstens die Parksituation verbessern: Im Winter könnte für die Skitourengänger im Dorf und im Sommer für Wanderer und Kletterer auf dem Mittelberg ein Parkplatz zur Verfügung gestellt werden. Hierfür wird das Gespräch mit den Landbesitzern gesucht. Auf dem Mittelberg sind 50 bis 60 Parkplätze vonnöten. «Das entspricht der Grösse des Tanklagers hinter dem Coop in Gstaad», vergleicht Philipp Becker. Vorhandene Parkplätze lösen das Problem nur auf der einen Seite. Der zunehmende Verkehr führt auch zu Spannungen zwischen den Anwohnern und den mobilen Touristen. Deshalb fasst die Gemeinde ein Gesamtverkehrskonzept ins Auge. Wie dieses aussehen werde, sei noch offen, so Becker.

ÖV und Naturenergie
Als ebenso dringlich wie die Parkplätze wird das ÖV-Angebot erachtet. «Mindestens dreimal täglich könnte ein Bus zwischen Jaun, Abländschen und Saanen verkehren, ist der Wunsch.» In einem ersten Schritt soll das ÖV-Angebot in den grünen Monaten zwischen Mai und Oktober geprüft werden. Am liebsten hätten die Abländschner aber eine ganzjährige direkte Anbindung an Saanen. «Wir suchen nun das Gespräch mit PostAuto, dem Kanton Freiburg sowie der Gemeinde Jaun», erklärt Becker die nächsten Schritte. Flurin Riedi ergänzt: «Abländschen soll sich entwickeln, ohne dass die Landschaft beeinträchtigt wird. Deshalb ist uns naturnaher Tourismus wichtig und bei der Entwicklung ist mit Bedacht vorzugehen.»

Überrascht wurde das Kernteam mit dem Bedürfnis nach einem Flusskraftwerk. «Die Anwohner sind motiviert, bei der Planung mitzuhelfen», erzählt Becker. Da die Planungsherausforderungen dafür gross sind, sei die sorgfältige Wahl der Partner zentral.

… Utopien und Visionen
Die Organisatoren haben auch nach Visionen und Utopien gefragt. Hier gab es erstaunliche Vorschläge. Eine Gondelbahn zum Grossmutterloch in der Gastlosen oder eine Tunnelverbindung zu Saanen. Von der Utopie zur Vision: Becker beurteilt einen eingebrachten Punkt als besonders spannend: ein einheitliches Label für Abländschen. «Man könnte sämtliche Produkte wie Lebensmittel und Wanderwege mit einem Gütesiegel auszeichnen, das für den Qualitätstourismus von Abländschen steht.

Nun wird die Kerngruppe eine Priorisierung vornehmen, Arbeitsgruppen bilden und sich an die Umsetzung machen.


KERNTEAM
– Toni von Grünigen, Gemeindepräsident
– Martin Hefti, Gemeinderat
– Flurin Riedi, Tourismusdirektor
– Hanspeter Dänzer, Dorforganisation Abländschen
– Philipp Becker, Gemeinde Saanen
– Dominik Siegrist, Berater von der Ostschweizerischen Fachhochschule


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