«Wenn wir uns in der Natur aufhalten, befinden wir u

  21.06.2022 Interview

Der Jagd- und Wildschutzverein Saanenland feiert heuer sein 100-jähriges Bestehen. Im Jubiläumsinterview erzählt der ehemalige Präsident Marcel Addor von der Tollwut in den 60er-Jahren. Der aktuelle Präsident Tom Schild vergleicht die Jagd mit einem Garten.

BLANCA BURRI

Wo haben Sie das Jagdfieber aufgelesen?
Marcel Addor (MA):
Ich bin damit aufgewachsen. Mein Vater und mein Onkel haben gejagt. Ich habe damit begonnen, bevor ich es hätte tun sollen (lacht). Das erste Patent löste ich 1958 mit 24 Jahren.
Tom Schild (TS): Bei mir war es ähnlich wie bei Marcel Addor. Ich ging oft mit meinem Grossvater auf die Jagd. Er hat mir die Leidenschaft vermittelt. Damals diente die Jagd noch der Fleischbeschaffung, die Gesetze wurden nicht immer eingehalten. Da habe ich schon einiges erlebt.

Wie war die Jagdprüfung damals?
MA:
Die habe ich etwa mit 20 Jahren, also um 1954, in Bern gemacht. Damals war das Obligatorium ganz frisch. Dafür musste ich recht viel lernen, mehr als für die Praxis (lacht).
TS: Ich bin in Brienzwiler aufgewachsen, habe aber die Jagdprüfung erst gemacht, als ich bereits in Gsteig wohnte. Ich schloss sie vor 26 Jahren ab, damals war ich der jüngste Gsteiger Jäger, heute der älteste (schmunzelt).

Kann die Jagdprüfung noch mit früher verglichen werden?
TS:
Wenn ich das Ausbildungsmodul von heute mit meinem vergleiche, ist da schon ein grosser Unterschied. Es ist heute viel zeitintensiver. Vielleicht hat es damit zu tun, dass es mehr Neulinge gibt, die dementsprechend ein kleineres Vorwissen haben, als solche, die mit der Jagd aufgewachsen sind. Die Jagd ist schliesslich auch nicht mehr so selbstverständlich wie früher.

Das Jägerleben wird nicht immer verstanden. Im Frühling retten Jäger Rehkitze aus dem hohen Gras. Im Herbst erlegen sie ebendiese.
TS:
Ein Grossteil der Bevölkerung hat sich von der Natur entfernt. Dass sie in der Jagd einen gewissen Widerspruch sieht, kann ich nachvollziehen, besonders weil wir Jäger einerseits hegen und pflegen und andererseits Beute machen. Aber es geht eigentlich darum, dass wir den Wildbestand nutzen, den wir pflegen. Ich vergleiche unsere Arbeit gerne mit der eines Gärtners. Der Hobbygärtner bereitet die Erde im Frühling vor, setzt Salat und Gemüse. Er giesst und jätet, damit er später ernten kann. Ich denke, der Jäger tut dasselbe. Zusätzlich übernehmen wir für den Kanton eine Aufgabe, die die Öffentlichkeit theoretisch finanzieren müsste. Statt eine Bezahlung zu erhalten, dürfen wir im Herbst auf die Jagd gehen und die vom Kanton vorgegebenen Tierarten bejagen, also quasi «ernten». Dies natürlich nicht kostenlos.

Verstehen das die Menschen, wenn Sie es ihnen erklären?
TS:
Menschen, die offen sind, versuchen es zu verstehen oder sie können meine Argumentation nachvollziehen. Aber nicht jeder ändert deshalb seine Meinung.

Wie können wir uns ein Jägerjahr vorstellen?
TS:
Im Frühling beobachtet man das Wild, dann folgt die Rehkitzrettung. Im Sommer gibt es das Schiesstraining, im Herbst die Jagd und im Winter die Winterjagd, um den Fuchs kurz zu halten, damit das Niederwild geschont wird. Hinzu kommen verschiedene Hegetätigkeiten rund ums Jahr. So tragen wir das ganze Jahr lang eine Verantwortung.

Auch für die Jagdhunde?
TS:
Wir sind auch in der Jagdhundeausbildung engagiert. Das ist hochinteressant. Man lernt Fährten zu lesen, bildet den Hund aus, Schweissspuren (Anm. der Red. Blutspuren) zu verfolgen. Aber es gibt auch viel Arbeit. Ein krankes (Anm. der Red. verletztes) Tier suchen und finden. Auch nach einem Verkehrsunfall. Ich habe selbst einen jungen Hund und bin oft mit ihm unterwegs.

Ist das Schiesstraining obligatorisch?
TS:
Ja. Die Jäger machen jedes Jahr eine kleine «Schiessprüfung», müssen einen sogenannten Schiessnachweis erfüllen. Dies ist sicher eine sehr wichtige und gute Sache. Tragen wir doch gegenüber dem Wild eine grosse Verantwortung, damit wir es sicher und schmerzlos erlegen. Aber auch gegenüber der Öffentlichkeit. Wer sonst darf sich mit einer Waffe frei in der Natur bewegen?
MA: Mit den Schiessübungen haben wir in den 1950er-Jahren im Rohr, Lauenen, begonnen. Dort haben wir einen Schiessstand errichtet. Das war wichtig: Früher gab es Waffen, die ein bisschen «schitter» daherkamen, ohne Zielfernrohre, zum Teil jagte man mit dem Karabiner. Heute geht niemand auf die Jagd, ohne sein Gewehr einzuschiessen.

Sie betonen die Hege. Was können wir uns darunter vorstellen?
TS:
Wir setzen uns in unserer Freizeit für die Wildtiere ein. Wenn ich denke, wie viele x Stunden das sind …! Beispielsweise installieren wir Verblendungen am Strassenrand, um Wildtierunfälle zu vermeiden, wir organisieren die Rehkitzrettung, heute teilweise mit modernster Technik, sehr oft durch das Absuchen von ganzen Wiesen. Immer öfter befassen wir uns aber auch mit Aufgaben zum Erhalt und zur Pflege von Lebensräumen, wir entfernen beispielsweise alte Zäune. Man spricht dabei von Biotophege.

Ich habe bei der Jagd Schweiz gelesen: «Jagd heute – Botschafter der Natur.»
TS:
Das sind wir in der Tat. Wir Jäger stehen für das Wild ein. Zwar gibt es Tierschutzorganisationen, welche sich auch für die Fauna und Flora einsetzten, aber wir Jäger sind wirklich vor Ort, im Gelände, im Wald. Wir geben dem Wild eine Stimme. Beispielsweise suchen wir das Gespräch mit Personen oder Berufsgruppen, die dem Wild schaden. Es gibt Landwirte, welche vielleicht aus Unwissenheit ihre Felder vor dem Mähen nicht verblenden und deshalb Rehkitze vermähen. Wir sensibilisieren sie, sagen ihnen, wenn wir Rehe im Feld gesehen haben. Ein klärendes Wort ist im richtigen Moment oft mehr wert als Aufklärungstafeln und Verbote.

Was bedeutet verblenden?
MA:
Die Rehgeissen werfen ihre Kitze in der Regel im hohen Gras. Da die Kitze geruchlos sind, können sie vom Fuchs nicht gefunden werden, ein sicherer Ort also, die ersten Tage zu verbringen, bevor sie mit der Mutter in den angrenzenden Wald dislozieren. Zwei Tage bevor der Landwirt das Heu mäht, stellt er weisse Leintücher ins Feld. Das warnt die Geissen, sie flüchten mit den Kitzen.

War das früher anders?
MA:
Ich habe viele Kitze erlösen müssen, als das Verblenden noch nicht so verbreitet war. Wir Jäger haben die Landwirte auf die Technik aufmerksam gemacht. Es ist inzwischen zu einer gängigen Praxis geworden.

Marcel Addor, wann haben Sie den Luchs zum ersten Mal gesehen?
Den sah ich 1965 auf der Wispile. Er war leider tot. Um den Grund für sein Sterben zu erfahren und die Art zu bestimmen, haben wir den Luchs mitgenommen und nach Bern gesandt. Das «Büssi» mit langen Ohren war neu für uns.

Woran war der Luchs gestorben?
MA:
An der Tollwut. Die Tollwut war schon schlimm. Wildhüter Walter Hauswirth musste nach Bern fahren. Dort haben sie einen ganzen Tag lang Hühnerköpfe mit Medikamenten gefüllt. Diese haben wir anschliessend im Saanenland bis nach Zweisimmen der alten Strasse entlang verteilt. Am nächsten Tag kontrollierten wir. Da waren sie schon alle weg, gefressen von den Füchsen.

Wurde es besser?
MA:
Ja, das war eine gute Sache.

Heute hat man fast vergessen, was die Tollwut ist. Wen betrifft sie? Nur Raubtiere?
MA:
Nein, die Tollwut macht vor niemandem halt. Füchse, Luchse, Gämsen, Steinwild. Alle haben sie bekommen, als sie ausgebrochen ist.
TS: Tollwut wird durch ein Virus übertragen, auch auf die Menschen.

Welche Begegnungen hatten Sie mit dem Luchs, Tom Schild?
Ich muss zu meiner Schande eingestehen, dass ich noch nie einen Luchs gesehen habe. Ich verbringe seit dreissig Jahren sehr viel Zeit in der Natur. Im Frühling, Sommer, Herbst und Winter. Ich weiss nicht, weshalb er sich mir nicht zeigen will.
MA: Ich habe den Luchs oft beobachtet. Auch bei den zwei Futterstellen der Rehe, die ich immer mit Heu bestückt habe. Das war wie ein Serviertablett für den Luchs, deshalb habe ich aufgehört zu füttern. Vor mehr als 20 Jahren jagte ein Luchs direkt neben dem Haus des Försters eine Geiss. Die Luchse sind nah, man sieht sie nur nicht.

Gibt es momentan viele Luchse?
TS:
Das Saanenland und das Simmental haben eine der grössten Luchsdichten im Kanton Bern, und zwar 4,8 Luchse pro 100 Quadratkilometer. Das ist eine stolze Anzahl.
MA: Der Rehbestand hat deshalb stark abgenommen. Dafür ist der Hirschbestand gestiegen.

Luchs und Wolf sind ein Dauerthema in den Medien, bei den Landwirten, den Naturschützern, in der Politik, am Stammtisch. Was wünschte sich der Jäger, wenn es um die Abschusspraxis geht?
TS:
Der Luchs und der Wolf gehören zu unserer Natur. Aber mir tut es im Jäger- und Naturliebhaberherz weh, wenn unser Wild durch ihn zu sehr unter Druck gerät. Wir Jäger geben uns Mühe, wir hegen und pflegen. Wir retten die Rehkitze vor der Mähmaschine. Ich liebe es, sie beim Äsen in Lichtungen und am Waldrand zu beobachten. Und plötzlich sind sie weg. Von den Raubtieren gefressen oder durch ihre Präsenz in die Deckung gedrängt. Da kommt mir das Bild vom Garten wieder in den Sinn. Es ist, wie wenn ein Hagelgewitter über den Garten fegt. Der Luchs «hagelt» uns in den Wildbestand, könnte man sagen.

Welchen Einfluss hat der Luchs auf andere Tierarten?
TS:
Wenn der Rehbestand zu stark zurückgeht, weicht der Luchs auf Bodenbrüter aus. Dann kommen Hasen, Birkwild und Auerhähne an die Kasse. Erst wenn er hungert, zieht er irgendwann weiter. Das Rehwild erholt sich in der Regel schnell. Aber ich frage mich, wie es beim Birkwild, dem Hasen und den anderen Beutetierarten aussieht. Ich vermute, da dauert es länger.

Marcel Addor, heute sind Luchs und Wolf ein grosses Thema. Was war früher während Ihrer Präsidentschaft von 1971 bis 1977 wichtig?
Während besonders strengen Wintermonaten haben wir das Rehwild gefüttert, damit es den Winter gut übersteht. Damals war das hoch angesehen. Ich hatte selbst zwei Krippen mit bis zu sechs Rehen, die sich dort verköstigten.

Gehen wir in der Geschichte noch weiter zurück. Das Steinwild im Gebiet Tschärzis– Gummfluh wurde 1957 vom Jägerverein angesiedelt. Haben Sie Erinnerungen daran?
Im Jahr 1958 erhielten der Wildhüter Walter Hauswirth und ich den Auftrag, bei der Gummfluh zwei Steingeissen zu narkotisieren und ins Tal zu bringen. Sie sollten nach Rumänien exportiert werden und mussten vorher in die Tollwutquarantäne. Wir mussten vorsichtig sein, dass sie sich nicht verletzten, deshalb trug ich die ausgewachsenen Tiere bis zur Strasse. Zwei Mal hoch und runter. Von dort wurden sie mit dem Auto nach Bern gebracht. Leider brach bei ihnen die Tollwut aus – kurz vor Ende der Quarantäne. Der ganze Chrampf war also eigentlich für die Füchse.

Tom Schild, Sie sind erst seit vier Monaten Präsident. Was liegt Ihnen am Herzen?
Die Kameradschaft. Wir Jäger sind oft allein unterwegs. Beim Beobachten oder auf der Jagd. Aber es ist immer wieder schön, bei einem Jägerabend oder Jagdschiessen zusammenzukommen und sich auszutauschen. In diesem Bereich möchte ich mir noch etwas einfallen lassen. Aber auch die Öffentlichkeitsarbeit möchte ich intensivieren. Beispielsweise mit dem Jubiläumsanlass im Juli, an dem wir einen Erlebnisparcours anbieten.

Weshalb der ganze Aufwand?
TS:
Heute reicht es nicht mehr aus, etwas gut zu machen, man muss auch darüber reden. Ich möchte erreichen, dass wir Jäger wieder hinstehen und mit Stolz sagen können, dass wir Jäger sind, ohne vor der Reaktion des Gegenübers Angst haben zu müssen.

Was ärgert Sie als Jäger?
MA:
Eigentlich nichts (lacht). Ich bin froh, dass ich 52 Jahre jagen durfte. Ich habe einzig deshalb aufgehört, weil ich die Beute nicht mehr selbst ins Tal tragen konnte. Ich hätte nicht gewollt, dass das jemand anderes für mich tut. Natürlich interessiere ich mich noch sehr dafür. Heute wird das Gewehr mit dem Spiegel (Fernglas, Anm. der Red.) ersetzt.
TS: Mich ärgert, wenn sich Menschen in der Natur rücksichtslos verhalten. Laut und lärmend hindurchspazieren, dabei durch ihr Verhalten Tiere erschrecken und Pflanzen und Bäume beschädigen oder verletzen. Wenn wir uns in der Natur aufhalten, befinden wir uns im Wohnzimmer von Wildtieren und Pflanzen. In diesem Wohnzimmer sollte sich der Mensch so verhalten, wie er es von einem Besuch in seiner eigenen Stube erwartet.
MA: Besonders störend sind die Biker, die überall durchfahren, auch neben den Wegen. Es gibt genug Bikewege, die so angelegt sind, dass sie dem Wild nicht schaden.

Was macht Sie glücklich?
MA:
Der Anblick von Wild, auch von Weitem, ist sehr erfüllend. So war es jeweils auch nicht tragisch, wenn es bei der Jagd nicht zum Abschuss kam.
TS: Das intensive Einssein mit der Natur. Es ist nicht dasselbe, wenn man spazieren oder wandern geht, oder ob man mehrere Stunden an demselben Ort ausharrt mit geschärften Sinnen. Man sieht und hört alles. Eine vorbeirennende Maus beispielsweise. Das Naturerlebnis Jagd ist ein ganz besonderes. Ein ähnlich tiefes Gefühl habe ich auch, wenn auf der Jagd ein gewisser Plan aufgeht. Wenn ich ein Tier über Tage, Wochen beobachte mit dem Ziel, es zu fotografieren oder zu erlegen, und es schliesslich gelingt. Hinzu kommt der Nutzen des hervorragenden Naturprodukts. Man erlegt das Tier, bringt es nach Hause, zerlegt es und geniesst die Produkte später. Das gehört alles dazu. Wenn im Winter der Vollmond leuchtet, dann kann ich nicht zu Hause bleiben. Dann zieht es mich raus «zum Fuxen»

Man hört auch von Dingen, die nicht klappen. Manchmal trifft ein Jäger falsch, das Tier flüchtet verletzt. Wie gehen Jäger unter einander um, wenn so etwas passiert?
TS:
Mir ist es auch schon passiert, dass ich ein Tier nicht so getroffen habe, dass es auf der Stelle liegen blieb. Wichtig ist, dass man sich nachher richtig verhält. Den Vorfall meldet, einen geeigneten Hund zum Suchen anfordert und alles tut, um das Tier so schnell wie möglich zu finden. Das sind unschöne Momente, aber das kann jedem passieren. Wichtig ist, dass man sich richtig verhält und die Lehren daraus zieht.

Wie geht es Ihnen bei einem Fehlschuss?
TS:
Ich habe die ganze Nacht nicht geschlafen, es geht einem schon nah.

Was kann man tun, damit Fehlschüsse nicht passieren?
TS:
Mit präventiver Arbeit: regelmässiges Schiesstraining, sorgfältige Waffenpflege und mit grossem Respekt gegenüber der Kreatur. Den Finger gerade lassen, wenn nicht alles passt.
MA: Deshalb habe ich oft jüngere Kollegen auf die Jagd mitgenommen und ihnen das Handwerk gezeigt. Sie waren dankbar.

Was ist Ihnen unter die Haut gegangen, Marcel Addor?
Ich habe einmal einen Gemsbock lange beobachtet und dann schliesslich erlegt. Als ich das Tier von Nahem sah, bereute ich meine Tat. Es war das schönste Tier, das ich zeitlebens gesehen habe. Wenn ich gekonnt hätte, hätte ich es wieder zum Leben erweckt.

Diese Antwort verrät eine tiefe Demut.
TS:
Es ist wichtig, die Ethik und Achtung gegenüber dem Tier zu wahren. Viele von uns müssen sich heute die Freizeit erkämpfen oder sie ist nur bedingt vorhanden. Ist man nun auf der Jagd und hat das Glück, ein Tier erlegen zu können, sollte man sich bewusst sein, dass man der Natur etwas entnommen hat. Man sollte sich die Zeit für ein Danke, einen letzten Bissen, ein Hutziehen und einen kleinen Schnaps nehmen, um damit der Kreatur seine Achtung zu erweisen. Das tönt vielleicht etwas kitschig, aber sehr viele Jäger machen dies ganz bewusst. Da kullert beim einen oder anderen sogar manchmal eine Träne. Mich eingeschlossen. Dies sind Werte, die man unbedingt pflegen und jungen Jägern weitergeben sollte.

Braucht es den Verein in 100 Jahren noch?
TS:
Unbedingt. Viele Menschen entfernen sich von der Natur und sind sich oft nicht bewusst, was ihr Verhalten auslösen kann. Deshalb ist es wichtig, dass es Leute gibt, welche sich für die Fauna und Flora einsetzen.

Was wünschen Sie dem Verein zum Geburtstag?
TS:
Ich wünsche ihm, dass er auch noch ein 200-jähriges Jubiläum feiern kann. Dass er immer mit der Zeit gehen kann und die Passion Jagd auch dann noch genau gleich wertvoll und bedeutend ist wie heute.

Das Jubiläumsfest findet am 9. Juli beim Schiessstand Oey in Saanen statt.


Wissenswertes und Anekdoten aus der Vereinsgeschichte In den 100 Jahren Vereinsgeschichte gab es viele Trends, Neuerungen und auch einige Anekdoten, die es ins kollektive Vereinsgedächtnis schafften: von der Gründung über die Ansiedelung des Steinwilds in den 1950er-Jahren bis zu amüsanten «Frävelgschichtleni», erzählt von alt Gerichtspräsident William Moor.

Bei der Jägerschaft im Saanenland entstand der Wunsch, sich zu organisieren. Die Idee war, dass ein Verein sich besser mit jagdpolitischen Fragen befassen kann und so auch mehr Mitsprachemöglichkeit erhält, um sich gegenüber Politik und Gesetzgebung mehr Gehör zu verschaffen.

Mit Mund-zu-Mund-Propaganda versuchte man, die Jäger aus den Gemeinden Saanen, Lauenen und Gsteig für eine Vereinsgründung zu begeistern. So fand unter der Leitung von Grossrat Fritz Reichenbach am 26. Februar 1922 die Gründungsversammlung des «Jägervereins des Amtes Saanen» im Gasthof zum Olden in Gstaad statt. An der Gründungsversammlung nahmen 12 Jäger Teil: Fritz Reichenbach, Adolf Boss, Arthur Riniger, Hans Ruesch, Arnold Burri, Fritz Ryter, Ernst Graa, Arnold Annen, Robert Reichenbach, Gottfried Matti und Johann Werren. Der Grossrat und Holzhändler Fritz Reichenbach wurde erster Präsident.

Steinwild vom Augstmatthorn in den Tschärzis
1956 wurde erstmals die Frage der Bildung einer Steinwildkolonie im Tschärzistal–Arnensee diskutiert. An der Februarversammlung erhielt der Vorstand den Auftrag, alle notwendigen Vorkehrungen zu treffen, um das Vorhaben in die Tat umzusetzen. Im Sommer 1957 wurden die Tiere am Augstmatthorn beim Stockmädli eingefangen, ins Saanenland transportiert und anschliessend beim Fleuteneläger im Tschärzistal wieder ausgesetzt. Als Erstes wurden damals vier Böcke und drei Geissen erfolgreich angesiedelt. In den folgenden Jahren wurden insgesamt 20 Stück Steinwild ausgesetzt. Die Kolonie erreichte 1994 den vorläufigen Höchstbestand von ungefähr 170 Tieren. Die Zählung von 1996 ergab ein Total von rund 140 Tieren. Von diesen haben 90 Stück ihren Einstand auf Berner Boden und 50 Stück auf Waadtländer Boden. Diese erfreuliche Bestandeszunahme ermöglicht es auch, dass seit 1980 mit einem beschränkten jährlichen Abschuss begonnen werden konnte.

Der «Chüngel» und das Reh
Irgendwo im Saanenland kam ein allgemein angesehener Mann auf die frevlerische Idee, ein Reh zu erlegen, was ihm auch ohne allzu grosse Anstrengung gelang. Nach weidmännischer Art erfolgte der Aufbruch mit anschliessendem Transport in sein trautes Heim, wo das Wildpret nach alter Väter Sitte zerlegt und vor neugierigen Blicken geschützt fein säuberlich (beim Nachbarn) gelagert wurde. Auch ohne Patent und erst noch viel billiger kommt man zu einem erfolgreichen Jagderlebnis, dachte sich stolz der Jäger. Dieser machte seine Rechnung allerdings ohne einen neidischen Mitbürger, welcher eine Anzeige beim Gerichtspräsidenten veranlasste. Die unverzüglich angeordnete Hausdurchsuchung brachte jedoch weder Schweiss (Blut, Anm. der Red. ) noch Fleisch zutage, doch schien der Keller erst vor Kurzem einer äusserst gründlichen Reinigung unterzogen worden zu sein, was Polizei und Wildhut zu einer noch genaueren Spurensuche anstachelte. Nicht umsonst, wie sich dann schliesslich herausstellte, liessen sich doch einige Haare finden, die aber von einem kürzlich geschlachteten Kaninchen stammten, wie der angeschuldigte Mann gutgläubig versicherte. Zweifel hatte jedoch der Gerichtspräsident, welcher in Bern eine wissenschaftliche Untersuchung der gefundenen Beweismittel verlangte. Eindeutig erwiesen sich diese als Rehhaare, was zur Folge hatte, dass nicht nur unser Jäger, sondern auch dessen Nachbar, bei dem das Rehfleisch dann gefunden wurde, eine saftige Busse zu bezahlen hatten.

Aus «75 Jahre Jagd- und Wildschutzverein 1922 bis 1997»


Image Title

1/10

Möchten Sie weiterlesen?

Ja. Ich bin Abonnent.

Haben Sie noch kein Konto? Registrieren Sie sich hier

Ja. Ich benötige ein Abo.

Abo Angebote