Ernst Anderegg – Architekt des Sportzentrums

  03.08.2022 Gstaad

Im AvS vom Dienstag, 19. Juli erschien als Beilage ein Sonderheft zum 50-Jahr-Jubiläum des Sportzentrums Gstaad. Die «Zyitig» enthält interessante Informationen zu Planung und Baugeschichte und viel, zum Teil historisches Bildmaterial. Der Architekt, der dem Zentrum sein unverwechselbares Aussehen gegeben hat, war Ernst Anderegg aus Meiringen. Aus gegebenem Anlass möchte ich einige Informationen zu ihm und zu seinem Schaffen ergänzen.

Ernst Anderegg (1928–2006), Sohn eines Hoteliers aus Meiringen, absolvierte eine Bauzeichnerlehre in Bern und erhielt 1951 am Technikum Burgdorf das Diplom als Architekt. In Paris arbeitete er in verschiedenen Architekturbüros, die Jahre von 1953 bis 1957 verbrachte er in den USA, wo ein Onkel von ihm lebte. Ein Jahr lang arbeitete er bei einem der ganz grossen Architekten des 20. Jahrhunderts, Frank Lloyd Wright, der ihn stark geprägt hat. In vielen Bauten von Anderegg lassen sich Spuren dieses Einflusses erkennen, sogar im Sportzentrum. Seinen ersten Bauauftrag als selbstständiger Architekt erhielt er in New Glarus für das Eigenheim des ausgewanderten Käsehändlers Alex Stauffer. 1957 kehrte er in die Schweiz zurück und gründete in Meiringen sein eigenes Büro, wo er bald zum gefragten Architekten wurde.

Ernst Anderegg hat in den Sechzigerund Siebzigerjahren am Hasliberg etliche moderne Chalets gebaut, die sich harmonisch in die Landschaft einfügen und die als Musterbeispiele zeitgenössischer alpiner Chaletarchitektur gelten. Wie auf den Fotografien zu erkennen ist, sind ihre Grundformen und die Proportionen durch traditionelle Bauten geprägt. Sie kommen ohne Balkone aus, das Innere erhält durch grosse Fensterflächen viel Licht. Dass er solche Häuser überhaupt bauen konnte, war keine Selbstverständlichkeit: Es brauchte offenbar immer wieder viel Überzeugungsarbeit, bis die Behörden ihre Zustimmung gaben. «Moderne Architektur im Berner Oberland ist Schmuggelware, legal ist dies oft nicht möglich.» (Zitat aus dem am Schluss erwähnten Kunstführer)

Wenn im Jubiläumsheft steht «1972, Architektur und Technik aus einem Guss: Das Hallenbad Gstaad fügt sich dank Chalet-Baustil mit gestaffelten Giebeln harmonisch ins Gstaader Dorfbild ein», so würde ich hier doch ein Fragezeichen setzen.

Ernst Anderegg wäre mit dieser Charakterisierung wohl nicht einverstanden gewesen. Chaletstil war gerade nicht sein Ding, da er der fraglosen Übernahme von gewohnten Formen und Dekorationen kritisch gegenüberstand. Er hatte zwar grossen Respekt vor traditionellen Bauformen (Zeit seines Lebens hat er sich immer wieder für den Heimatschutz und für das Freilichtmuseum Ballenberg engagiert), verband diese aber in seinen Bauten oft mit innovativen Technologien zu etwas Neuem, wie z.B. grossen Isolierfenstern für Licht und Weite, oder Verbundhölzern, die grossen Spannweiten wie im Hallenbad ermöglichten. Seine Bauten sind – je nach Funktion und Zweck – von innen nach aussen gestaltet und folgen nie einem vorgegebenen Aussehen. Zeitlebens verfolgte er die «Philosophie eines organischen Bauens» (Zitat).

Auch heute noch hätten die eleganten Häuser dieses renommierten Architekten hier – weil sie nicht der Typologie der ortsüblichen Bauweise entsprechen – wohl keine Chance auf eine Baubewilligung. Umso erfreulicher, dass Gstaad mit dem Hallenbad ein wichtiges Zeugnis seines Schaffens hat, das jetzt sorgfältig renoviert wurde.

Zu erwähnen ist ein weiterer wichtiger Aspekt: Im grossen Büro von Frank Lloyd Wright, zu dem viele junge Architekten pilgerten, hatte Ernst Anderegg erlebt, wie dieser zu seinen Architekturstudenten kein distanziertes Verhältnis, sondern eine Meister-Gesellen-Beziehung pflegte, die den Lernenden viel Spielraum liess. So soll es Ernst Anderegg auch in seinem eigenen Büro gehalten haben.

Neben einer grossen Zahl von Privatund Ferienhäusern entwarf Anderegg viele Bauten für Gemeinden, Tourismus und Sport. Beispiele sind die Ecole d’Humanité von 1968 bis 1970 und das Reka-Ferienzentrum von 1993 bis 1994 am Hasliberg, Masterplan der Anlage und Infrastrukturbauten im Museum Ballenberg und natürlich das Sportzentrum von 1972 und das Kirchgemeindehaus von 1977 in Gstaad. Spektakulär sind auch das Berghaus Jungfraujoch von 1983 bis 1987 und das Bergrestaurant Alpentower, Hasliberg Reuti von 1999.

HANS-RUEDI WEHREN, BASEL/GSTAAD

Wer sich intensiver mit Ernst Anderegg beschäftigen möchte, findet in der Reihe «Schweizerische Kunstführer GSK» eine ihm gewidmete Nummer: «Daniel Wolf, Jost von Allmen, Ernst Anderegg, ausgewählte Bauten in der Region Interlaken-Oberhasli». Die Fotografien sind diesem Kunstführer entnommen. www.gsk.ch


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