Gstaad Züglete 2022 – ein Erlebnis in jeder Hinsicht

  03.09.2022 Gstaad, Tradition, Tourismus, Saanenland, Landwirtschaft

Die siebte Ausgabe der Gstaad Züglete zog am letzten Samstag einen wahrhaften Besucherstrom in die Gstaader Promenade. Neben traditionell geschmückten Kühen, defilierten auch Ziegen und Kälber an den Zuschauenden vorbei. Der «Anzeiger von Saanen» durfte Familie Moosmann von der Produktion des Blumenschmucks bis zum Marsch durch die Promenade begleiten.

JENNY STERCHI
Samstag, kurz vor 12 Uhr, auf der Alp Berzgumm. Die Kühe und Gusti der Familie Gery Moosmann stehen an ihren Plätzen in den beiden Alpställen. Es ist dunkel, die Luft feucht und die Stimmung friedlich. Spätestens als Moosmanns mit Glocken und Treicheln über die Schwelle treten, wissen die Tiere scheinbar, dass heute nicht wie jeder andere Tag ist. «Sie merken, dass etwas geht», versichern mir Moosmanns. «Der Rhythmus ist ein anderer als an den übrigen Tagen des Alpsommers.» Und dennoch stehen sie dort, jedes an seiner Stelle.

Das, was die vielen hundert Zuschauenden in der Promenade sehen, ist nur ein Bruchteil dessen, was zur Züglete dazu gehört.

Geläut und Blumenschmuck anlegen
Jung und Alt sind damit beschäftigt, den Tieren das Geläut anzulegen. Das geschieht nicht wahllos. Jeder Kuh und jedem Gusti wird eine Glocke oder Treichel zugedacht, es ist zumeist die gleiche.

Der Blumenschmuck, der am Vortag mit viel Liebe und Tannengrün sowie herbstlicher Blumenpracht produziert wurde, wird mittels Riemen um die Hörner der Kühe gespannt. Mir fällt auf, dass Bauer Gery Moosmann dabei viel mit seinen Tieren spricht. Freundlich, bestimmt und irgendwie auf das Verständnis und die Mithilfe der Kühe hoffend. Und vielleicht ist das der Grund für die andauernde Ruhe im Stall. Auch die Zeit spiele eine entscheidende Rolle, lasse ich mir von Moosmanns erklären. «Sobald man selber in Stress gerät, merken das die Tiere und reagieren. Das wird dann entsprechend mühsam.» Am Samstagmittag jedenfalls ist auf der Alp Berzgumm von Stress nichts zu spüren, jedenfalls äusserlich. «Jeder von uns ist angespannt, denn die Verantwortung, die Tiere unversehrt ins Tal zu bringen und dazu den Zeitplan der Gstaad Züglete einzuhalten, ist gross.»

In der Alphütte selber ist viel mehr Durchgangsverkehr als im Stall. Die Herren legen die Stallkleider ab und tauschen sie gegen Edelweisshemden und kurze Hosen. Die Frauen stecken schon in besagten Hemden und flechten sich gegenseitig die Haare zu kunstvollen Frisuren. Die jungen Zügelhelfer stärken sich mit Zopf, Käse und Fleisch. Und Sirup.

Wehe, wenn sie losgelassen
Ich erwarte, dass die Kühe und Rinder völlig aus dem Häuschen geraten, wenn sie gewahr werden, nicht mehr angebunden zu sein. Aber weit gefehlt. Als würden sie der Sache noch nicht ganz trauen, bleiben sie stehen, kaum dass sie den Stall verlassen haben. Sie schauen sich um, nehmen die vielen Zügelhelfer mit ihren Stecken wahr und warten. Kein «Muh», kein Stampfen, nichts. Als sie die treibenden Rufe wahrnehmen, setzen sie sich endlich in Bewegung. Die Gustis kommen von rechts, die Kühe verlassen den Stall durch den Hintereingang. Auf dem Schotterweg unterhalb der Hütte kommen alle zusammen und setzen sich als ganzer Zug mit moderatem Tempo in Bewegung. Doch ich bin vorgewarnt. «Bevor wir auf die Strasse kommen, gibt es eine Passage ohne Zaun und Begrenzungen, die sie oft für einen kleinen Ausflug nutzen und wo sie ungeordnet und ziemlich rasant unterwegs sind.»

Die Gelegenheit
Froh um den Hinweis, Bergschuhe anzuziehen, gehe ich an eben dieser Stelle querfeldein, hoch motiviert und ziemlich gespannt. Denn die Tiere haben die Strasse verlassen. Die einen nehmen eine kleine Abkürzung durch die Weide, die anderen eine Extrarunde durch den Wald. Alle Zügelhelfer sind im Laufschritt an dieser Stelle. Die, die vorausgehen, genauso wie jene, die seitwärts begleiten. Und wir, die hinten am Schluss des Zuges sind, sowieso. Die Kamera pendelt mir um den Hals, das Telefon zur Videoaufnahme aufrecht gehalten, bin ich im Laufschritt unterwegs, jedoch einfach zu langsam. Die Tiere sind mir mindestens drei Kuhlängen voraus und ich bin froh, dass es nicht von mir abhängt, ob die Tiere wieder in ihre Zügelformation zurückfinden.

Und dann, als der Schotterweg in eine asphaltierte Strasse führt, haben sie genau diese Ordnung wiederhergestellt. Alle Tiere sind dabei und gottlob alle Zügelhelfer auch. Es beginnt zu regnen. Aber ich schwitze derart, dass die Feuchtigkeit mittlerweile von allen Seiten eindringt. Die Kühe und Gustis interessiert der Niederschlag herzlich wenig. Sie laufen unbeirrt talwärts, hier und da aufgehalten von saftigem Grün am Strassenrand. Der Blumenschmuck ist nicht mehr bei jedem Tier so ganz intakt, aber das tut ihrem eindrücklichen Auftritt keinen Abbruch.

Die Tiere der Züglete
In Gstaad folgen Moosmanns Kühe auf die Zügleten der Familien Ernst Reichenbach, Familie Matthäus von Grünigen, Mathias von Siebenthal und Familie Johann von Grünigen.

Ihnen war der Stier Nils vorausgegangen. Der 1,3 Tonnen schwere Muni, der scheinbar extra fürs Posieren den langsamsten Gang eingelegt hatte, wurde von seinen Besitzern Bernhard und Peter Zumbrunnen zur Eröffnung der Gstaad Züglete durch die Promenade geleitet.

Nach Moosmanns ziehen noch die Tiere der Familien Ueli Bach und Erhard Kübli durch die Promenade.

Botschafter und Streicheltiere
Für Matthäus und Gisela von Grünigen war es ein Anliegen, sich mit den Landwirten zu solidarisieren, die in diesem Sommer Tiere an den Wolf verloren haben. Als Zeichen dafür trugen ihre Ziegen ein schwarzes Band. Neben dem Solidaritätsgedanken wollten von Grünigens auch auf die Präsenz des Wolfes aufmerksam machen.

Für die Zwergziegen von Patricia und Erich Haldi bestand am Samstag hingegen keine Gefahr durch Raubtiere. Sie spazierten munter und amüsant vorbei an den begeisterten Zuschauern in Richtung Streichelzoo. Dort wurden sie neben Kälbern und Hühnern sehnlichst erwartet. Den ganzen Tag über war die Streichelnachfrage gleichbleibend hoch.

Ich jedenfalls, lasse Moosmanns und ihre Tiere nach anderthalb Stunden ziehen, setze mich an den Rand des Streichelzoos und muss ausruhen.


RÜCKBLICK AUF EINE GELUNGENE AUSGABE DER GSTAAD ZÜGLETE

Zum siebten Mal zogen die Kühe am letzten Samstag auf dem Weg von der Sommeralp durch die Gstaader Promenade. Die Gstaad Züglete wird von vier Organisationen getragen. Der Hotelierverein Gstaad, der Gewerbeverein Saanenland, die Landwirtschaftliche Vereinigung Saanenland und die Dorforganisation Gstaad wirken mit ihren Vertretern seit der ersten Ausgabe dieses Anlasses im Organisationskomitee mit. Als Koordinator zwischen OK und jenen, die in irgendeiner Weise an der Gstaad Züglete teilnehmen, fungiert Gstaad Saanenland Tourismus. Dazu kommt die Unterstützung zahlreicher Unternehmen und der Bevölkerung im Saanenland. Konkretes Beispiel für diese Form der Mithilfe ist die Tatsache, dass diverse Gastronomiebetriebe die Musikanten kostenlos verpflegen. «Es sind so viele kleine Dinge, die in der Gesamtheit an Bedeutung gewinnen», betont OK-Präsident David Schmid. «Wenn jeder etwas gibt, dann entsteht etwas Grosses.» Dazu komme die Grundidee, mit der Gstaad Züglete einen Anlass ohne Gewinnorientierung zu gestalten. «Es ist quasi ein Aufruf zum Dorffest, für das wir als OK das Datum festlegen, und die Werbung sowie die Musikgruppen organisieren. Der Erfolg der Gstaad Züglete wird schliesslich an den Rückmeldungen der Besuchenden, der Restaurants und der Standbetreiber gemessen. «Und die waren auch in diesem Jahr durchgehend positiv», freut sich David Schmid. «Die Zuschauer waren gekommen, um zu verweilen. Das Interesse an den Tieren, dem Brauchtum und den Traditionen war enorm. Ebenso erfreut waren die Standbetreiber über die hohe Aufmerksamkeit der Gäste.» Das Bündeln dieser zahlreichen Kräfte erlaubt es dem OK, trotz eines bescheidenen Budgets einen grossartigen Anlass durchzuführen.

JENNY STERCHI

 


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