Kunst kommt von Können

  12.09.2022 Kultur, Kultur, Gstaad, Saanenland, Event, Konzert, Kunst

Nach der traditionellen Vorstellung der Sponsoren durch Marcel Bach sagte Mathias Pruessing (CEO bei BKW Building Solutions AG) einen Satz, der die 33. Country Night ganz gut zusammenfasst: «Es ist ein Privileg, nach der Pandemie, angesichts des Ukrainekrieges und der angekündigten Energiekrise, an einem Anlass wie diesem hier dabei zu sein.»

THOMAS RAAFLAUB
Es stimmt: Marcel und sein Organisationskomitee boten ein breit gefächertes Programm, das von traditioneller Country Music bis New Country reichte und in dem auch Bastian Baker mühelos seinen Platz fand. Dies zur grossen Freude des zahlreichen Publikums, das vom Kinderwagenkind über die Jugendlichen, Familien, Cowboys und -girls bis zu in Ehren ergrauten Häuptern reichte. Wie immer ein aufmerksames, begeisterungsfähiges Publikum von Musikkennern und -liebhabern.

Fabelhafte Superlative für Marty Stuart
Beginnen wir mit dem Schluss des Abends – mit Marty Stuart und seinen Fabulous Superlatives. Was wie eine unangemessene Übertreibung tönt – fabelhafte Superlative – ist eher eine Untertreibung, denn auf der Bühne standen vier Vollblutmusiker, vier Virtuosen mit begnadeten Stimmen, in ausgefallenen Kostümen, mit langen Haaren und zündeten ein musikalisches Feuerwerk der Extraklasse, das jede Zuhörerin und jeden Zuhörer bis in die hintersten Reihen elektrisierte. Zu Beginn instrumental, entwickelte sich die Musik variantenreich, fantasievoll, mit viel Humor und immer wieder überraschend.

Die drei Gitarren tönten wie deren sechs und füllten das Festivalzelt mit Musik, welche das Publikum mitriss. Dabei stellte sich Marty Stuart noch so gerne in den Hintergrund und liess Kenny Vaughan an der Gitarre, Chris Scruggs am Bass und Harry Stinson als Schlagzeuger als Solisten auftreten – mit ihrem Instrument und als Sänger. Der Drummer erhielt sogar eine standing ovation für seine gesangliche Darbietung. Die Zuhörerinnen und Zuhörer befanden sich auf einer musikalischen Reise, entdeckten unbekannte und doch vertraute Harmonien und Melodien und schwebten über fein gewobene Klangteppiche in ungeahnte Sphären. Marty Stuart und die Fabulous Superlatives sind talentierte Alleskönner, was sie mit ihrer Zugabe nach dem grossen Abschlussapplaus des stehenden Publikums noch einmal mit einem wunderschönen a-capella-Gospel bewiesen.

Stuart sammelt Spenden für ein Country-Music-Kulturzentrum: www.martystuart.com

Sehnsüchtige Balladen von Carly Pearce
Carly Pearces unverwechselbare Stimme ging unter die Haut. Ihre vier Mitmusiker auf der Bühne taten alles, damit diese Stimme voll zur Geltung kam. Pearce wurde 2021 von Dolly Parton eingeladen, Mitglied der Grand Ole Opry zu werden und sie gewinnt im gleichen Jahr den von der Country Music Association verliehenen Award als beste Sängerin des Jahres. In ihren gefühlvollen Balladen, ihren musikalischen Wanderungen, schwingen Sehnsucht, Enttäuschung, Verlust aber auch Hoffnung und Mut mit.

Die Enkelin einer «coal miners daughter», der Tochter eines Bergmanns, weiss, wovon sie singt. Ihre persönlichen Erfahrungen – Verluste, Brüche, Schwierigkeiten – fliessen in ihre Musik ein und machen sie authentisch. Das ist besonders spürbar bei «29: Written In Stone». Als Carly 29 Jahre alt war, heiratete sie und liess sich im gleichen Jahr wieder scheiden. Eine schmerzliche Erfahrung, die sie im beschriebenen Album verarbeitete. Sie zeigt damit auch einen sehr persönlichen Weg auf, wie sich die Country-Music in Zukunft entwickeln, wie sich New Country anhören könnte. Denn Hand aufs Herz: Eine Welt, eine Musikwelt ohne gefühlvolle Balladen, grossartige Stimmen und virtuose Instrumentalisten wollen wir uns nicht vorstellen.

Der Publikumsliebling aus Les Diablerets
Mit Bastian Baker stand ein Schweizer auf der Country-Night-Bühne. Die Karriere des Musikers begann nach dem Abschluss des Sportgymnasiums mit einem Profivertrag beim Eishockeyverein HC Fribourg-Gottéron. Er beschloss jedoch, sich auf die Musik zu konzentrieren. Claude Nobs, Mitbegründer des Montreux Jazz Festivals, entdeckte Baker, als dieser in einer Bar in Zermatt spielte. Er ermöglichte es Baker, am nächsten Montreux Jazz Festival auf einer kleinen Gratis-Bühne zu spielen.

2012 gewann Baker den Swiss Music Award als «Best Breaking Act National» und den «Prix Walo Newcomer». 2011 veröffentlichte er sein Debütalbum «Tomorrow May Not Be Better.» Es erreichte Platz 3 der Schweizer Charts und wurde mit Platin ausgezeichnet.

In Gstaad spielte er in seiner Nachbarschaft, denn er besitzt ein Chalet in Les Diablerets. Seine eingängigen Melodien und Harmonien, die ihn schon im Zirkus Knie zum Publikumsliebling machten, begeisterten auch das Gstaader Publikum. Der Umstand, dass er in Gstaad einige seiner Musikstücke stilmässig der Country Music annäherte, wurde noch zusätzlich geschätzt.

Rhonda Vincent lässt Bluegrass wachsen
Was für ein Auftakt zur 33. Country Night! Die Bluegrass Queen & The Rage machten glänzende Musik, gleissender als Rhonda Vincents Paillettenkleid im Scheinwerferlicht. Die Stimme der Sängerin brachte das verstockteste Herz zum Schmelzen, die Virtuosität der Instrumentalisten verwandelte jeden skeptischen Kritiker in einen bedingungslosen Fan. Mindestens nach dem neunteiligen Medley, das die Solisten hervorragend zur Geltung brachte, waren alle musikalischen Wünsche erfüllt, was das gut gelaunte und sehr aufmerksame Publikum mit viel Applaus belohnte. Fehlte nur noch die Hühnerhaut. Die wurde prompt durch Rhonda mit einem Solo mit Gitarre geliefert, einem Gospelsong, der feuchte Augen machte. Das Publikum begrüsste die traditionelle Musik wie einen alten Bekannten, den man nach langer Zeit endlich wieder einmal sieht. Wer genau hinsah, der konnte feststellen, wie langsam auf dem Zeltboden blaues Gras zu wachsen begann, höher und höher wuchs und sich zu einer Bluegrass-Wiese ausdehnte, die im Rhythmus der Musik auf- und ab und hin und her wogte. Übrigens sang Rhonda mit ihrer Band in der Kirche Gsteig.

Hier kann das Video gesehen werden: https:// www.facebook.com/RhondaVincentOfficial/ videos/3074750382766371 Es lohnt sich!

Vorfreude ist die schönste Freude
Karl Valentin, der Münchner Kabarettist, hat einmal gesagt: «Kunst kommt von Können. Wenn sie von wollen käme, würde sie Wunst heissen.» Am Freitagabend standen so viele Könnerinnen und Könner auf der Country-Night-Bühne, so viel wahre Künstlerinnen und Künstler, dass wir uns alle auf die 34. Ausgabe 2023 freuen können. Es ist doch so: Vorfreude ist die schönste Freude und wenn sie ein ganzes Jahr andauern kann, umso schöner. 


TANJA COULTER

Die Aargauerin ist seit 18 Jahren mit einem Schweizer verheiratet, der einmal schweizerisch-amerikanischer Doppelbürger war. Zu Hause wird ein Gemisch von Deutsch und Englisch gesprochen. Das Paar hat zwei Töchter, 13- und 14-jährig, und wohnt in Zweisimmen. Seit zwanzig Jahren wohnt die Familie im Oberland. Ehefrau und Ehemann, beide Buchhändler, sind heute in anderen Berufen tätig. Beide lieben die Country Music und besonders den Bluegrass. Ihnen gefällt auch die Stimmung in der Tennishalle: «Die Country Night bringt Leben nach Gstaad, bringt die Menschen zusammen», sagt Tanja. Während die Eltern im Festzelt dem Konzert folgen, machen die Töchter den Vergnügungspark vor der Tennishalle unsicher. Tanjas Befürchtung, dass die Musik, je länger der Abend dauert, desto lauter werde, erfüllt sich glücklicherweise nicht: Die Techniker an ihren Pulten leisten hervorragende Arbeit.

THOMAS RAAFLAUB


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