Gute Musik kennt keine Grenzen

  24.10.2022 Kultur

Mit einem glamourösen Oktett, bestehend aus Streichern und Bläsern, fand am Sonntag im «Temple» von Château-dOex das traditionelle Musikfestival «Le Bois qui Chante» seinen Abschluss. Während zehn Tagen war die Luft in der Region wohlig musikgeschwängert.

LOTTE BRENNER
Wie gelingt es der künstlerischen Leiterin Beatrice Villiger immer wieder, Unbekanntes, zum Teil Ausgefallenes, auf sehr hohem Niveau zu präsentieren? Auf diese Frage lautet die Antwort: «Das hängt wahrscheinlich mit meinem Charakter zusammen. Schon immer pflegte ich Vorlieben für ‹das etwas andere›, für ausgefallene Sachen. Gute Musik kennt keine Grenzen. Es kann und muss nicht alles allen gefallen. Doch geht man die Sache mit Herzblut an, kann es doch eigentlich nur gut herauskommen. Das Festivalprogramm ist eine Frage der Balance. Und dieses Gleichgewicht ist eine Mischung von Vertrautem und Unbekanntem. Es ist für mich immer wieder überwältigend, wie gerne und mit wie viel Vertrauen sich das Publikum auf Neues, Ausgefallenes einlässt. Es liegt jedoch auch an den Ausführenden, diese neue Art von Konzerten zu gestalten: Es macht die Kunst lebendig und menschennah; es geht um Emotionen und Austausch.»

Dass diese Art von Musikerlebnissen das Publikum berührt und die rund ein Dutzend Anlässe rund um Châteaud’Oex noch lange nachschwingen, zeigt sich in der von Jahr zu Jahr zunehmenden Beliebtheit von «Le Bois qui Chante».

Brücken schlagen
Das Publikum setzt sich aus französisch- und deutschsprachigen Musikliebhabern, Menschen aus dem Saanenland und dem Pays-d’Enhaut zusammen. Doch diese Brücke zwischen der Kantons- und der Sprachgrenze ist nicht die einzige, die Beatrice Villiger akrobatisch schlägt. Sie weiss auch musikalisch Grenzen zu überwinden wie beispielsweise die Verbindung von Klassik und Volksmusik oder Jazz – und zwar so, dass Klassikkenner wie Liebhaber von Volksmusik und Jodel oder Jazzfreunde auf ihre Rechnung kommen.

Villiger lässt ihren Musikerinnen und Musikern sowie den Ensembles dabei sehr viel Spielraum. Meistens werde dies geschätzt, sagt die einfallsreiche Intendantin. In den zehn Jahren ihrer Tätigkeit als künstlerische Festivalleiterin sei es nur einmal vorgekommen, dass ein Musiker keine Idee auf Lager hatte, als sie ihn um ein etwas weniger konventionelles Standardprogramm anging. Manchmal engagiere sie ein Ensemble, weil bereits ein ausgefallenes Programm vorläge und manchmal überlege sie mit den Musikern zusammen, was als Programm und in welcher Besetzung ins Festival passen würde.

Das singende Holz
Immer wiederkehrende Elemente wie das Orchesteratelier, die Waldbegehung und der Kinofilm stehen im Mittelpunkt des Festivals, welches das Motto «Le Bois qui Chante» prägt und in Erinnerung an das aus dem einheimischen Wald geschlagene Holz für den Instrumentenbau abgehalten wird. Doch immer wieder wird das Leitthema an Konzertveranstaltungen durchbrochen, zum Beispiel mit Blechbläsern. Und doch präsentiert sich im ganzen Dörfchen das Symbol der Holzinstrumente. Wie gelingt es, diese Brücke zu schlagen und dennoch dem Motto gerecht zu bleiben?

Auch darauf weiss Beatrice Villiger eine Antwort: «Ja, das Festival war die ersten zehn Jahre sehr stark auf Streichinstrumente fokussiert. Ich liebe dieses Repertoire und diese Identität. Sie darf auch gerne bleiben. Ist es aber nicht die Vielfalt, welche die Musik so reich und spannend macht? Blechinstrumente verleihen einem Stück eine zusätzliche Farbe und einen etwas anderen Charakter. Die Instrumentenfamilien erklingen im Festival manchmal separat (‹Duo Synergie›, ‹Le Chant des Cordes›) aber auch zusammen (‹Fiacorda›), um die unglaubliche Vielfalt an Farben und Emotionen zu unterstreichen. Auch haben wir im Pays-d’Enhaut und Saanenland eine wunderbare Tradition an Streichern (Menuhin, Lysy) und Blechmusik (Brass Band Berner Oberland BBO und all die wunderbaren regionalen Musikvereine von Zweisimmen bis Rossinière). Im Unterland wird auch etwa gedacht, ‹Le Bois qui Chante› sei ein Gesangs- und Opernfestival. Ob Holz- oder Blechinstrumente oder Gesang ist für mich kein Thema. Wahrscheinlich wäre es mir zu eintönig, nur das eine oder andere zu programmieren. Mit einer Vielfalt bereichern wir uns alle, und gerade das macht es so schön!»

Wer steckt dahinter?
Klar gibt es auch rahmenbedingte Einschränkungen, sowohl finanziell als auch örtlich. Worauf muss bei der Programmwahl Rücksicht genommen werden und wer steckt eigentlich dahinter, dass alles finanziell und rechtlich abgesichert ist? Dafür steht der engagierten, vor Fantasie sprühenden Macherin ein ehrenamtlicher Vorstand mit motivierten, grosszügigen Menschen zur Verfügung. Das kleine, aber gut etablierte Musikfestival geniesst beim Publikum, den Musikern und den Sponsoren einen soliden Ruf. Villiger kann sich also auf ein effizientes Helferteam berufen, und für die Sponsorensuche zeichnet ein umsichtiger Kassier.

Zu den Ausführungsorten meint Beatrice Villiger: «Von den Räumlichkeiten her bin ich eingeschränkt: Wir haben herausragende Kirchen, aber keinen Konzertsaal. Ein 18-köpfiges Kammerorchester ist mein absolutes Maximum. Mehr bringe ich nicht auf die Bühne. Das Gute daran ist, dass kleinere Ensembles weniger kosten als grosse Orchester. So gesehen, kann ich beim Budget sparen, ohne es eigentlich zu wollen.

Der Grossteil der Konzerte findet in der Kirche von Chateau-d’Oex (im «Temple») statt. Diese hat eine wunderbare Konzertakustik, mit wenig Hall, und auf ihrem Standort, dem Hügel, herrscht wohltuende Ruhe. Es ist mir aber auch wichtig, andere Dörfer des Pays-d’Enhaut mit einzubeziehen. Letztes Jahr war es Rossinière, heuer Rougemont; und ich möchte unbedingt einmal nach L’Etivaz … aber das passende Projekt dazu hat meinen Weg dahin noch nicht gekreuzt. Doch es kommt ganz bestimmt.»

Bis hin zur 25. Austragung
Das war die 22. Ausgabe dieses etwas anderen Festivals, das auch in den letzten zwei Jahren ununterbrochen durchgeführt werden konnte. Zufrieden stellt Beatrice Villiger fest: «Vielerorts schmolzen die Publikumszahlen pandemiebedingt. Bei uns ist es genau das Gegenteil: Das Publikum hat zwar die Tickets im letzten Moment gekauft, war aber an jedem Anlass zahlreich anwesend.» Sie hat Zukunftspläne, die bis ins Jubiläumsjahr 2025 hinein reichen. Ihr Rezept ist weiterhin die Mischung von Bekanntem und Unbekanntem, «eine Prise Überraschung und ganz viel gute Energie», möglichst unter Einbezug von Musikern aus der Region. Aber enthüllen will sie das Programm vom nächsten Jahr frühestens im Frühling.


DIE INTENDANTIN TRITT SELBST AUF

Am Donnerstagabend trat Beatrice Villiger als künstlerische Leiterin von «Le Bois qui Chante» selbst auf. Zusammen mit dem DS Quartett, bestehend aus Florence von Burg und Hélène Morant, Violine, Dor Sperber, Bratsche, und Elsa Dorbath, Cello, bestritt sie als Sopranistin ein Programm, beginnend mit einem alten Werk aus dem 16. Jahrhundert, über eine traditionelle irische Melodie bis hin zu einer Jodelserenade des zeitgenössischen anwesenden Komponisten Reto Stadelmann, der instrumentale moderne Klänge mit Jodelelementen kunstreich zu verbinden weiss. Beatrice Villiger verblüffte mit gepflegtem Jodel, welcher in vollem Stimmumfang weit ins Land hinausgetragen wurde. Dabei wandte die Sopranistin eine berührende Naturstimme an – ganz anders als in den anschliessenden Schubertliedern.

Nach der Pause folgte der ernste Teil: Das Quartett spielte wunderbar eindringlich erschütternd «Der Tod und das Mädchen» von Franz Schubert. Es folgten die beiden Lieder «Fischerweise» und «Taubenpost», in welchen sich die Sängerin als wunderbare Schubert-Interpretin enthüllte. Mit der sanften Zugabe «An die Musik» verabschiedeten sich Beatrice Villiger und das einfühlsame Quartett».

LOTTE BRENNER

 


Image Title

1/10

Möchten Sie weiterlesen?

Ja. Ich bin Abonnent.

Haben Sie noch kein Konto? Registrieren Sie sich hier

Ja. Ich benötige ein Abo.

Abo Angebote